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Toleranz in Myanmar gefragt

Aung San Suu Kyi lehnt Position zu ethnischem Konflikt und zur Diskriminierung der Rohingya-Minderheit ab

Von Hilmar König *

Myanmars »Demokratie-Ikone« Aung San Suu Kyi will keine Position zum lodernden Konflikt mit der ethnischen Minderheit der Rohingya beziehen. Nach einem Treffen mit Jose Manuel Barroso, dem Präsidenten der Europäischen Kommission, in der Landeshauptstadt Naypyidaw erklärte sie gegenüber BBC, sie werde ihre moralische Reputation nicht zu einseitiger Parteinahme für die muslimischen Rohingya oder die buddhistischen Rakhine nutzen.

»Wenn sich die Menschen gegenseitig umbringen und die Häuser abbrennen, wie können wir da zu einer vernünftigen Regelung kommen?« fragte sie. Sie appellierte hingegen an beide Seiten, Toleranz zu demonstrieren. Sie glaube, zuerst müsse für Gesetz und Ordnung gesorgt und dann dem Konflikt auf den Grund gegangen werden. Beide Seiten seien wegen eben dieser ihrer Haltung unzufrieden. Aber nicht nur in Myanmar, dem früheren Burma, finden die Betroffenen diese Ambivalenz inakzeptabel, auch ausländische Menschenrechtler, die sich über Jahre engagiert für Aung San Suu Kyis Freilassung aus Haft und Hausarrest eingesetzt hatten, sparen nicht mit Kritik. Der Dalai Lama schrieb in jüngster Zeit zweimal an die wohl prominenteste Parlamentsabgeordnete des südostasiatischen Vielvölkerstaates, ihren Einfluß für eine friedliche Lösung geltend zu machen.

Die zirka 800000 Rohingya werden von der Regierung, die seit Jahrzehnten mit verschiedenen ethnischen Konflikten nicht fertig wird, als illegale Einwanderer betrachtet, deren Vorfahren vor Generationen aus Bengalen einwanderten, Bengali sprechen und deshalb auch als »Bengalis« tituliert und diskriminiert werden. Wie stark deren Entfremdung inzwischen ist, läßt sich aus einem am Montag in der indischen Zeitung The Hindu veröffentlichten Augenzeugenbericht ablesen. Die Reporterin besuchte Rohingya- und Rakhine-Flüchtlingslager in bzw. am Rande der Provinzhauptstadt Sittwe. Unverhüllt wurden ihr gegenüber Mißtrauen und Angst vor der jeweils anderen Gruppe geäußert. Die tiefe Kluft ist unübersehbar. Eine Ausgangssperre in Sittwe von 22 Uhr bis fünf Uhr soll Schlimmstes verhindern.

Im Juni war es in der Provinz Rakhine zu einer ersten Welle von blutigen Ausschreitungen sowie zur Flucht und Vertreibung von rund 75000 Menschen, überwiegend Rohingya, gekommen. Im Oktober flammten die Gewalttätigkeiten wieder auf. Laut offiziellen Angaben wurden dabei 89 Menschen umgebracht, Hunderte verletzt und 5350 Häuser abgefackelt. Erneut suchten rund 32000 Menschen ihr Heil in der Flucht. Viele der Rohingya hofften auf Unterschlupf im benachbarten Bangladesch. Doch die Regierung und die Behörden in Dhaka empfangen die Hilfesuchenden nicht gerade mit offenen Armen. Der UNO-Hochkommissar für Flüchtlinge appellierte deshalb an die Regierung Bangladeschs, Flüchtlinge aufzunehmen. Vor allem im Gebiet um Cox’s Bazar bestehen bereits etliche Notlager für Rohingya, die wegen der Verfolgung in Myanmar in Schüben 1979 und 1991 ins muslimische Bangladesch flüchteten.

Wenn Aung San Suu Kyi sich schon nicht in der Lage sieht, Partei zu ergreifen, so erwarten die Notleidenden beider ethnischen Gruppen doch von ihr, sich wenigstens vehement dafür einzusetzen, daß die Gründe für den Konflikt endlich analysiert werden und die Behörden zügig an deren Beseitigung arbeiten. Zweifellos muß die Regierung am Status der Rohingya etwas ändern und wenigstens von offizieller Seite die Diskriminierung der Minderheit beenden.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 06. November 2012


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