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Suu Kyi bleibt zu Hause

Myanmars Oppositionsführerin lehnt Formel für Parlamentariereid ab *

Kraftprobe in Myanmar: Suu Kyi verweigert den Amtseid als Parlamentarierin, die Regierung will die Formel für den Schwur nicht ändern.

In einer ersten Kraftprobe zwischen der Regierung Myanmars und Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi haben am Montag beide Seiten nicht nachgegeben. Weil die frisch ins Parlament gewählte Suu Kyi (66) sich weigerte, einen Amtseid abzulegen, in dem sie den Schutz der umstrittenen Verfassung geloben soll, blieb sie der Sitzung fern. 36 weitere Mitglieder ihrer Partei, die am 1. April ebenfalls Sitze im Unterhaus gewonnen hatten, taten es ihr gleich. Ungeachtet der Auseinandersetzung setzte die Europäische Union in Anerkennung der Reformbemühungen des einstigen Militärregierung praktisch alle Sanktionen gegen Myanmar am Montag aus.

»Wir halten nur an unseren Prinzipien fest«, sagte der Sprecher von Suu Kyis Partei, der Nationalen Liga für Demokratie (NLD), Nyan Win. Er bot an, das Wort »Schutz« in der Eidesformel durch »Respekt« zu ersetzen. Präsident Thein Sein ließ bei einem Besuch in Japan nach Angaben von mitreisenden Journalisten keine Kompromissbereitschaft erkennen. »Es ist ihre Entscheidung, wir würden sie im Parlament begrüßen«, erklärte er.

Der Amtseid könne nur von den Abgeordneten geändert werden, meinten Rechtsexperten. Ein Viertel der Sitze ist laut Verfassung für das Militär reserviert - ein Artikel, für dessen Änderung sich Suu Kyi einsetzen will. Die militärnahe USDP hält mehr als drei Viertel der restlichen Sitze. Präsident Thein Sein ist ihr Vorsitzender. Die USDP blieb hart: »Ich habe keine Pläne, die Formulierung zu ändern, das ist keine wichtige Sache«, meinte Aung Thaung, Mitglied des Parteivorstands.

Suu Kyi hatte mit ihrer NLD bei den Nachwahlen am 1. April zum Parlament 43 von 45 Sitzen gewonnen, davon 37 im Unterhaus. Die Gewählten sollten am Montag an ihrer ersten Sitzung teilnehmen. Ein Sprecher der Kraft der Nationalen Liga (NLF), die sich 2010 von der NLD abgespalten hatte, um schon damals an den Wahlen teilnehmen zu können, drängte Suu Kyis Partei zu Kompromissen. »Wenn sie jetzt nicht an den Parlamentssitzungen teilnehmen, ignorieren sie den Wunsch des Volkes«, sagte der NLF-Vorsitzende Kwin Maung Swe. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass der ganze Annäherungsprozess (zwischen Suu Kyi und der Regierung) wegen so einer Sache auseinanderfällt«, meinte ein europäischer Diplomat in Yangon. »Aber die Leute sind ziemlich dickköpfig hier.«

Die EU hat angesichts der Öffnung Myanmars ihre Sanktionen gegen das Land ausgesetzt. Fast 500 myanmarische Führungspersönlichkeiten dürfen wieder nach Europa reisen, wie der Rat der EU-Außenminister am Montag in Luxemburg beschloss. Auch der Handel mit Edelhölzern, Metallen und Steinen ist wieder erlaubt. Die EU verkauft allerdings weiter keine Waffen an Myanmar und liefert keine Ausrüstung, die zur Repression verwendet werden könnte.

Die Aufhebung gilt zunächst für ein Jahr. »Wir sind noch nicht über den Berg«, sagte der Staatsminister im Auswärtigen Amt Michael Link. Für eine befristete Aufhebung sei der Zeitpunkt jedoch richtig. Mit ihrem Schritt würdigt die EU unter anderem die Freilassung politischer Gefangener in den vergangenen Monaten und den Verlauf der Nachwahlen zum Parlament am 1. April.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 24. April 2012


Weiter Streit um den Eid

Myanmar: Aung San Suu Kyi will nicht auf die Verfassung schwören

Von Thomas Berger *


Aung San Suu Kyi und die anderen Vertreter ihrer Nationalen Liga für Demokratie (NLD), die bei der Nachwahl am 1. April gewählt worden waren, wollen nicht die bislang vorgesehene Eidesformel sprechen. Diese verlangt den Abgeordneten das Bekenntnis ab, die Verfassung zu schützen. Die Konstitution ist jedoch noch unter der Militärdiktatur ausgearbeitet und in Kraft gesetzt worden.

Der Konflikt um den Schwur gefährdet die jüngsten Fortschritte im Öffnungs- und Demokratisierungsprozeß des südostasiatischen Landes. Allerdings hat Präsident Thein Sein am Rande eines Staatsbesuches in der japanischen Hauptstadt Tokio durchblicken lassen, daß eine Änderung der aktuellen Formulierung für ihn durchaus vorstellbar ist. Auch einige regierungsnahe Parlamentarier äußerten bereits gegenüber Journalisten, daß ein solcher Schritt schon in den nächsten Tagen erfolgen könnte. Der Regierung in Naypyidaw ist offenkundig nicht daran gelegen, das in den letzten Monaten positiv gewandelte Bild des Landes mit einem zugespitzten Streit in dieser Angelegenheit wieder zu belasten, zumal erst zu Beginn dieser Woche die EU mit Ausnahme des Verbots von Waffenlieferungen ihre bisherigen Sanktionen zunächst für ein Jahr ausgesetzt hat. Eine Änderung der Eidesformel benötigt jedoch die Zustimmung von 75 Prozent der Abgeordneten. Das ist nur zu erreichen, wenn die regierende Union Solidarity and Development Party (USDP) mitspielt und die Initiative für eine solche Verfassungsänderung ergreift.

Die NLD-Führung und die Machthaber hatten sich zuletzt deutlich angenähert. Die vor vier Wochen durchgeführten Nachwahlen für 45 Parlamentssitze, die wegen des Aufrückens der vormaligen Inhaber in Regierungsämter freigeworden waren, galten als Test dafür, ob es Thein Sein und seine Getreuen mit dem eingeschlagenen Reformkurs tatsächlich ernst meinen. Noch in dieser Woche werden UN-Generalsekretär Ban Ki Moon und die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton in Myanmar erwartet. Bis dahin soll der lästige Streit ausgeräumt sein.

Derweil hat in den Flüchtlingslagern im benachbarten Thailand eine informelle Umfrage über eine mögliche Rückkehr der dort lebenden Menschen in ihr Heimatland begonnen. In den Camps leben etwa 150000 Geflohene, überwiegend ethnische Karen, die Schutz vor den Kämpfen zwischen Rebellengruppen und der Armee gesucht haben. Weitere etwa 1,5 Millionen Menschen sind in Myanmar selbst auf der Flucht. Inzwischen hat die Regierung mit der separatistischen Untergrundorganisation Karenni National Progressive Party (KNPP) und anderen Rebellengruppen einen Waffenstillstand vereinbart. Myanmars Eisenbahnminister Aung Min ließ am Rande von Verhandlungen mit der KNPP verlauten, daß seine Regierung die baldige Rückkehr der Flüchtlinge zum Ziel habe. Bis zum Beginn der Monsunzeit im Juni soll der Rückkehrprozeß wenigstens begonnen haben.

** Aus: junge Welt, Donnerstag, 26. April 2012


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