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Neuer Hausarrest für Suu Kyi

Myanmars Militärs stellen Oppositionsführerin bis nach Wahlen kalt / Weltweiter Protest

Nach fast dreimonatigem Prozess mit mehreren Verzögerungen wurde Myanmars Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi am Dienstag (11. Aug.) zu weiteren 18 Monaten Hausarrest verurteilt. Ein Sondergericht in Yangon (Rangun) befand sie für schuldig, durch die Beherbergung eines ungebetenen Besuchers aus den USA die Auflagen ihres Hausarrests gebrochen zu haben.

Das Urteil gegen Aung San Suu Kyi fiel milder aus, als von ihren Anhängern in aller Welt befürchtet worden war. Die von den Richtern verhängten drei Jahre Arbeitslager wurden vom Chef des Militärrats von Myanmar, General Than Shwe, zu 18-monatigem Hausarrest umgewandelt, um »Frieden und Ruhe aufrechtzuerhalten« und weil Suu Kyi die Tochter von Nationalheld Aung San ist.

Letzte Meldung

Suu Kyi will in Berufung gehen

Die Oppositionspolitikerin Aung San Suu Kyi aus Myanmar will ihre erneute Verurteilung juristisch anfechten. "Wir betrachten die Gerichtsentscheidung als falsch", sagte einer ihrer Anwälte am 12. August. Auch die Verteidiger des ebenfalls verurteilten US-Bürgers John Yettaw kündigten an, in Berufung gehen zu wollen. Ein Gericht in Rangun hatte am Dienstag (11. Aug.) einen Hausarrest von 18 Monaten gegen Kyi verhängt. Während sich der UN-Sicherheitsrat in einer ersten Dringlichkeitssitzung nicht auf eine Reaktion einigen konnte, verbat sich Myanmars Regierung jegliche Einmischung.



Der ungeladene Besucher, der US-Amerikaner John Yettaw, wurde zu sieben Jahren Haft, davon vier Jahre Arbeitslager, verurteilt.

Obwohl sich Myanmars Militärregierung durch das für ihre Verhältnisse milde Urteil offenbar international in ein besseres Licht rücken wollte, rief der Schuldspruch gegen die Friedensnobelpreisträgerin des Jahres 1991 weltweit heftigen Protest hervor. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier sprach von einem »weiteren Rückschlag für Menschenrechte«, Britanniens Premier Gordon Brown war »traurig und wütend«, EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso bezeichnete das Urteil als »unberechtigt und in jeder Hinsicht inakzeptabel«, EU-Regierungen forderten eine weitere Verschärfung der Sanktionen gegen Myanmar.

Auch der menschenrechtspolitische Sprecher der LINKEN im Bundestag, Michael Leutert, sprach von einem »gezielten Schlag gegen die Demokratiebewegung«. Das Militärregime zeige erneut, dass es bereit sei, »für den bloßen Machterhalt die Menschenrechte außer Kraft zu setzen«. Kurz vor Ablauf des jahrelangen Hausarrests gegen Aung San Suu Kyi sei nur ein Vorwand gesucht worden, um die Oppositionsführerin auszuschalten.

Aung San Suu Kyis Verteidigung wird Berichten zufolge keine Berufung gegen das Urteil einlegen. Die 64-Jährige durfte das Insein-Gefängnis am Dienstagnachmittag verlassen und in ihre Kolonialvilla in Yangon zurückkehren. An den für nächstes Jahr geplanten Wahlen wird sie sich jedoch nicht beteiligen können. Suu Kyi könnte frühestens freikommen, wenn die neue Regierung unter Dach und Fach ist.

Oppositions- und Exilkreise des Landes diskutieren derzeit eine neue Taktik: Ihre »Vorschläge zur nationalen Versöhnung« sehen auch Gespräche mit den Militärs vor. Die Freilassung aller politischen Gefangenen und eine Überarbeitung der Verfassung werden weiter gefordert, doch der Dialog mit den Generälen ist nicht länger tabu. Die für ihre hohen moralischen und ethischen Ansprüche bewunderte Suu Kyi gilt manchen auch als Hindernis bei Bemühungen, Sanktionen zu lockern und den Dialog zu suchen. Ausgerechnet das britische Magazin »Economist«, das sich über Jahre als Sprachrohr Suu Kyis verstand, fragte kürzlich, ob das »Postergirl der Demokratie«, an dessen Mut niemand zweifele, »Ikone oder Hindernis« sei. Sanktionen und Boykotte hätten »nirgendwo in Asien den demokratischen Übergang ausgelöst – im Gegenteil«.

* Aus: Neues Deutschland, 12. August 2009


Demokratie-Ikone bleibt in Hausarrest



Sie war "auf das Schlimmste vorbereitet" Hilmar König **


»Danke für das Urteil«, soll Aung San Suu Kyi mit ironischem Unterton gesagt haben, bevor sie wieder dorthin gebracht wurde, wo sie die meisten der vergangenen 20 Jahre verbracht hat: in das streng bewachte Anwesen an der University Avenue von Yangon (Rangun).

Für den schlimmsten Fall hatten die Anhänger der »Demokratie-Ikone« mit einer Verurteilung zu fünf Jahren Gefängnis gerechnet. Schon Ende Juli war dieses Urteil erwartet worden, doch die Richter vertagten die Verkündung, um – wie es hieß – den Fall noch einmal zu überprüfen. Am Dienstag ordneten die Richter des Sondergerichts im Insein-Gefängnis von Yangon für die prominenteste Oppositionspolitikerin des Landes zunächst drei Jahre Arbeitslager an. Staatschef Than Shwe intervenierte jedoch sofort und reduzierte das Strafmaß auf 18 Monate Hausarrest. Begleitet von ihren beiden mitangeklagten und verurteilten Hausangestellten Khin Khin Win und Win Ma Ma, kehrte Aung San Suu Kyi noch am Dienstagnachmittag auf ihr Familienanwesen zurück, wo sie ohnehin seit Jahren lebt – streng bewacht und weitgehend isoliert von der Außenwelt.

Mit der Korrektur des Richterspruchs beabsichtigten die Generäle offensichtlich, die Welle internationaler Proteste abzuschwächen. Zwar will die Militärregierung westlichem Druck nicht nachgeben, zugleich jedoch eine gewisse Dialogbereitschaft signalisieren, um eine Verschärfung von Sanktionen zu vermeiden. Jedenfalls verhindert das Urteil eine Teilnahme der prominenten Politikerin an den für 2010 angekündigten Wahlen, die einen ersten Schritt zur Lockerung der Militärherrschaft darstellen sollen. Präsidentin hätte die Friedensnobelpreisträgerin des Jahres 1991 ohnehin nicht werden können, weil sie mit einem Ausländer verheiratet war.

Der Prozess gegen Frau Suu Kyi hatte am 15. Mai begonnen. Angeklagt war sie, die Auflagen ihres Hausarrests, der sich seinem Ende näherte, verletzt und damit gegen die innere Sicherheit verstoßen zu haben. Der 53-jährige USA-Bürger John William Yettaw war über den Inya-See zum streng bewachten Haus der Politikerin geschwommen und hatte dort zwei Tage verbracht. Auch er stand vor Gericht und wurde am Dienstag zu sieben Jahren Haft verurteilt. Yettaw erklärte vor Gericht, er habe Suu Kyi »vor Attentätern retten« wollen. Gott habe ihn geschickt. Noch am Montag befand er sich wegen epileptischer Anfälle und schwerem Diabetes im Krankenhaus. Erst gegen Mitternacht wurde er wieder ins Gefängnis verlegt, womit die Weichen für die Urteilsverkündung gestellt waren.

Aung San Suu Kyis Anwalt U Nyan Win äußerte vor dem Urteilsspruch, seine Mandantin sei »auf das Schlimmste vorbereitet«, obwohl sie unschuldig sei und freigesprochen werden müsste. Sie habe den Eindringling nicht eingeladen und gegen kein Gesetz verstoßen. »Aber das ist ein politischer Fall und die Behörden entscheiden von einem politischen Standpunkt aus. Mir ist kein Fall von einer Freisprechung in einem politischen Prozess bekannt«, erklärte der Anwalt illusionslos.

Das Regierungsblatt »The New Light of Myanmar« bestritt freilich den politischen Charakter des Verfahrens. Die Anklage basiere »auf klarem kriminellem Verhalten«.

** Aus: Neues Deutschland, 12. August 2009


Tochter des Nationalhelden wurde zum Staatsfeind Nr. 1 Von Hilmar König, Delhi ***

Myanmars regierungstreue Medien geizen nicht mit Anklagen gegen Aung San Suu Kyi: Sie sei eine »Handlangerin von Neokolonialisten«, eine »Interessenvertreterin Washingtons und des Westens«. Für sie ist die 64-jährige Generalsekretärin der Nationalen Liga für Demokratie (NLD) die gefährlichste Gegnerin der Militärregierung.

Schon Tage vor der Urteilsverkündung am Dienstag (11. Aug.) warnte die einheimische Presse die Bürger Myanmars (Burmas), sie sollten nicht »aufrührerischen, vom Ausland gesteuerten Elementen« auf den Leim gehen und sich nicht an Protestbekundungen beteiligen.

Prozess und Urteil fielen nämlich in die Zeit um den 21. Jahrestag des Massenaufstands »8888« vom 8. August 1988. Der wurde seinerzeit gewaltsam niedergeschlagen, hatte jedoch zur Folge, dass das Militär 1990 Parlamentswahlen ansetzte, bei denen die NLD unter Führung Aung San Suu Kyis einen haushohen Sieg errang: 394 von 492 Abgeordnetenmandaten. Unter normalen politischen Verhältnissen wäre die Politikerin Premierministerin geworden. Doch die Generäle akzeptierten das Wahlergebnis nicht. Hunderte Anhänger der Demokratiebewegung wurden inhaftiert oder flohen ins Ausland.

Von den seither verstrichenen 21 Jahren musste die 1991 mit dem Friedensnobelpreis geehrte NLD-Generalsekretärin 14 innerhalb der eigenen vier Wände oder in Gefängnissen zubringen.

Jahrzehnte zuvor hatte sie im Ausland studiert, gearbeitet und gelebt. Deshalb wirft ihr die Militärregierung vor, sie sei gar keine echte Burmesin, verstehe die Bräuche und Traditionen der Heimat nicht, missachte nationale Besonderheiten des Vielvölkerstaates Myanmar und wolle dem Land das kulturelle und wirtschaftliche System des Westens überstülpen. Wasser auf die Mühlen der Generäle ist, dass Suu Kyi Touristen und Geschäftsleute mehrfach aufforderte, nicht ins Land zu kommen und die Diktatur nicht noch durch Investitionen zu stärken.

Die »Demokratie-Ikone« stammt aus prominentem Haus. Ihr Vater, General Aung San, gilt als Gründer der modernen burmesischen Armee, als Nationalheld, der 1947 mit der britischen Kolonialmacht die Bedingungen für die Unabhängigkeit aushandelte. Die Tochter erhielt ihre Bildung zunächst an einer englischen katholischen Schule, ist allerdings bis heute bekennende Buddhistin. Der ältere Bruder emigrierte in die USA und wurde deren Staatsbürger. Als ihre Mutter 1960 als Botschafterin nach Indien ging, studierte die Tochter in Delhi Politikwissenschaften und verinnerlichte Gandhis Philosophie der Gewaltlosigkeit. Sie setzte ihre Studien in Oxford fort und arbeitete später bei der UNO in New York.

1972 heiratete Suu Kyi den britischen Tibetologen Dr. Michael Aris und lebte mit ihm mehrere Jahre in Bhutan. Das Paar hat zwei Söhne. Dr. Aris starb 1999. Er durfte seine Frau, die seit 1988 wieder in Myanmar lebte, zum letzen Mal im Jahre 1995 besuchen. Danach erhielt er kein Einreisevisum mehr.

Zurückgekehrt war Suu Kyi 1988, um ihre im Sterben liegende Mutter zu pflegen. Zugleich begann sie jedoch politisch zu arbeiten. Im August jenes Jahres forderte sie auf einer Kundgebung vor 500 000 Menschen in Yangon (Rangun) demokratische Verhältnisse. Einen Monat später gründete sie die Nationale Liga für Demokratie (NLD). Mehrmals wurde sie vom regierenden Militärrat gedrängt, das Land zu verlassen. Sie lehnte dieses Ansinnen jedoch ab, weil sie sich als Integrationsfigur des gewaltlosen Widerstands versteht, trotz der begrenzten Wirkungsmöglichkeiten. Der emeritierte Prof. Josef Silverstein, ein Landeskenner, kommentierte: »Schreibt sie nicht ab. Wenn man ihr zu leben erlaubt, dann hat sie noch eine bedeutsame Rolle im Drama Burmas zu spielen.«

*** Aus: Neues Deutschland, 12. August 2009

Zur Person: Der Schwimmer ****

Verrückt sei er nicht, aber exzentrisch, gibt Betty Yettaw zu, die zweite Frau John William Yettaws, dessen mysteriöser Besuch bei Aung San Suu Kyi den Prozess gegen die Oppositionspolitikerin auslöste. Sicher sei sich ihr Mann der Folgen seines Tuns nicht bewusst gewesen, fügte Betty noch hinzu.

Dabei war Yettaw – Vietnamkriegsveteran, Vater von sieben Kindern, strenggläubiger Mormone, seit 20 Jahren ohne feste Beschäftigung, von einer Behindertenrente lebend – schon im vergangenen Jahr einmal durch den Inya-See zum Haus Suu Kyis geschwommen. Damals soll er von Hausdienern abgewiesen worden sein. Als er am 3. Mai dieses Jahres erneut in der Villa auftauchte, will ihn Suu Kyi persönlich aufgefordert haben, ihr Anwesen wieder zu verlassen. Doch der 53- jährige Yettaw klagte über Erschöpfung und Beinkrämpfe, weshalb sich die Lady, wie sie auch genannt wird, erbarmte. Was nicht erklärt, warum Yettaw gleich zwei Tage blieb. Als er zurückschwamm, wurde er von den Sicherheitskräften gefasst und wegen illegalen Betretens einer Verbotszone und Verletzung der Einwanderungsgesetze angeklagt.

Politische Ziele habe er nicht gehabt, sagt seine Frau Betty. Deren Vorgängerin Yvonne will von einer Arbeit über Trauma und Vergebung wissen, an der ihr Exgatte arbeitete. Anhänger Suu Kyis sind nur wütend über den »elenden Amerikaner«. Einer der Anwälte schimpfte: »Er ist ein Idiot.« Der Verdacht, die Militärs selbst hätten Yettaw zur Lady geschickt, um einen Anlass für die Verlängerung ihres Hausarrests zu haben, ist nach dem Urteil – sieben Jahre Haft – noch nicht wieder laut geworden.

Detlef D. Pries

**** Aus: Neues Deutschland, 12. August 2009




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