Myanmar erhält eine Chance
Neue Regierung erfährt kräftige Aufwertung durch ASEAN, USA und eigene Opposition
Von Thomas Berger *
Einen dreifachen Ritterschlag hat
Myanmars (Burmas) neue Regierung
diese Woche erhalten. Die ASEAN
entschied bei ihrem Gipfeltreffen,
dass Myanmar 2014 den Vorsitz des
südostasiatischen Staatenbundes
übernehmen darf. Die Oppositionspartei
NLD will sich künftig an Wahlen
beteiligen, und sogar eine Lockerung
westlicher Sanktionen ist vorstellbar.
Die Reformen in Myanmar verlaufen
langsam, aber es gibt sie. Das
erkennt selbst Barack Obama an,
der am Rande des ASEAN-Gipfels
auf der indonesischen Insel Bali
einen baldigen Besuch seiner Außenministerin
Hillary Clinton im
Lande ankündigte. Zuvor hatte der
USA-Präsident ein Telefongespräch
mit der Oppositionsikone
Aung San Suu Kyi geführt. Deren
Urteil ebenso wie die Stimmung
auf dem ASEAN-Gipfel mögen seine
Entscheidung beeinflusst haben.
Der südostasiatische Staatenbund
hatte ohnehin stets mehr
auf Kooperation und Dialog mit
seinem problematischen Mitglied
gesetzt, während die USA das seit
1962 in wechselnden Konstellationen
vom Militär regierte Land zu
isolieren und durch Sanktionen
unter Druck zu setzen versuchten.
Doch seit einem Jahr hat Myanmar
wieder eine zivile Regierung
– wenngleich Präsident Thein
Sein und etliche Minister ehemalige
Offiziere sind. Und Suu Kyi, die
mehr als anderthalb Jahrzehnte
unter Hausarrest stand, kann sich
wieder frei im Lande bewegen. Da
scheinen auch die westlichen
Sanktionen nicht mehr lange zu
halten. Die versammelten ASEANStaats-
und Regierungschefs jedenfalls
sahen keinen Grund, Myanmar
den Vorsitz im Staatenbund
zu verweigern, der dem Land 2014
turnusgemäß für ein Jahr zufällt.
Demnach darf Myanmar in drei
Jahren selbst Gastgeber eines Gipfels
sein.
Die Einschätzungen über den
Grad des Wandels gehen freilich
weit auseinander. Vertreter südostasiatischer
Parlamente meldeten
Bedenken an: Die Fortschritte
seien unzureichend, es handle sich
größtenteils um »Lippenbekenntnisse
«, die Zahl der politischen
Gefangenen sei immer noch groß
und die Zentralmacht stehe in diversen
Konflikten mit ethnischen
Minderheiten. Auch in der myanmarischen
Oppositionsbewegung
werden alle Entwicklungen zumindest
mit Skepsis betrachtet. Die
Nationale Liga für Demokratie
(NLD) hatte bei den Parlamentswahlen
vor einem Jahr gar nicht
antreten dürfen. Um als Partei registriert
zu werden, hätte sie ihre
gerichtlich verurteilte Anführerin
Aung San Suu Kyi ausschließen
müssen. Nur eine Abspaltung der
Liga nahm deshalb an den Wahlen
teil. Jetzt aber entschied ein NLDSpitzentreffen,
dass sich die Partei
künftig am politischen Prozess beteiligen
werde. Suu Kyi selbst verkündete
dies am Freitag als Ergebnis
kontroverser Debatten.
Unstrittig war, dass die NLD den
Antrag auf Wiederzulassung als
Partei stellen wird. Doch hielten
einige prominente Mitglieder wie
der Oppositionsveteran Win Tin
(82) eine Wahlteilnahme unter den
Bedingungen einer noch vom Militärrat
verabschiedeten Verfassung
für das falsche Signal. Durchgesetzt
haben sich die Pragmatiker
um Suu Kyi, die auch bei der Pressekonferenz
zum Jahrestag ihrer
Freilassung zu Wochenbeginn
wieder für eine Versöhnung eintrat.
Ob die Friedensnobelpreisträgerin
bei bevorstehenden
Nachwahlen selbst für einen Parlamentssitz
kandidieren wird, ist
offenbar noch nicht entschieden.
* Aus: neues deutschland, 19. November 2011
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