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Aufruhr in Arakan

Der Westen Myanmars wird von Ausschreitungen erschüttert

Von Thomas Berger *

In Sittwe, Hauptstadt des westburmesischen Teilstaates Arakan, herrscht seit Wochenbeginn der Ausnahmezustand. Die Schulen sind geschlossen, Banken und viele Geschäfte ebenso, auf den sonst so belebten Märkten bieten nur wenige Händler ihre Waren denjenigen an, die sich noch auf die Straßen trauen. Dort sind in großer Zahl Polizisten und Soldaten unterwegs, die versuchen, die Situation wieder unter Kontrolle zu bringen. Zuvor hatten blutige Unruhen zwischen verschiedenen Volksgruppen allein zwischen Freitag und Montag nach staatlichen Angaben mindestens 21 Todesopfer und zahlreiche Verletzte gefordert. Mehr als 1600 Wohnhäuser in ganz Arakan sollen zerstört worden sein.

Die Auseinandersetzungen hatten sich entzündet, als im vergangenen Monat zunächst eine Buddhistin vergewaltigt und ermordet und später ein Bus mit Muslimen überfallen worden waren. In dem Konflikt stehen sich Angehörige der Rakhine, die wie die meisten Einwohner Myanmars Buddhisten sind, und muslimische Rohingya gegenüber. Letztere werden von der Regierung offiziell als Staatenlose angesehen, obwohl sie seit Generationen im Land ansässig sind. Etliche Angehörige der Volksgruppe haben deshalb begonnen, im benachbarten Bangladesch Zuflucht zu suchen. Doch auch dort sind sie nicht willkommen. Grenztruppen sollen allein in den vergangenen Tagen mindestens 1500 Flüchtlinge zurückgewiesen haben. Die Szenen erinnern an die 90er Jahre, als rund eine halbe Million der insgesamt etwa 800000 Rohingya aus Myanmar nach Bangladesch flohen. Knapp 30000 Flüchtlinge von damals harren noch dort aus, die anderen waren inzwischen zurückgekehrt.

Myanmars Präsident Thein Sein hat nun über Arakan das Kriegsrecht verhängt. Befürchtet wird, daß dies einen Rückfall in alte Zeiten mit sich bringt, war das Land doch bis vor zwei Jahren noch eine Militärdiktatur. So hat die Regierung Snapshot, eines der bekanntesten Wochenmagazine Myanmars, auf unbestimmte Zeit geschlossen. Die Redaktion des Blattes hatte ein Bild der ermordeten Frau publiziert, das aber auch an verschiedenen Stellen im Internet zirkuliert. Die Behörden werfen den Journalisten deshalb Aufstachelung vor. Regionale Regierungsvertreter warnten die Medien, die Situation nicht weiter anzuheizen. Ansonsten, so die Drohung, könnten Gesetze zur Anwendung kommen, die als Strafe für Aufwiegelung bis zu neun Jahre Gefängnis vorsehen.

Auch in anderen Teilen des Vielvölkerstaates kommt es weiter zu Kämpfen. So ist im Norden des Landes der Konflikt zwischen Armee und Rebellen der Kachin-Unabhängigkeitsarmee (KIA) neu aufgeflammt. Die junge Demokratie sei noch alles andere als gefestigt, hatte auch Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi vor wenigen Tagen bei einem Besuch in Thailand zum wiederholten Male betont.

Während Thein Sein, bis kurz vor seiner Wahl zum Staatsoberhaupt selbst General, eher auf diplomatische Lösungen der diversen ethnischen Konflikte im Land setzt, spielt der aktuelle Einsatz der Armee in Arakan den Hardlinern in Militär und Politik in die Hände, die sich mit den neuen Rahmenbedingungen noch nicht abgefunden haben.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 14. Juni 2012


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