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Ein hoffnungsloser Fall?

Hintergrund. Vom Westen isoliert, im Inneren gespalten: Das Militärregime in Myanmar setzt weiter auf forcierte Entwicklung, die dortige Oppositionspartei auf Einmischung des Westens. Sanktionen führen nur zur Verhärtung der Fronten

Von Uta Gärtner *

Zum dritten Mal in den letzten zwei Jahren hat Myanmar international für Schlagzeilen gesorgt. Im September 2007 waren es die von Mönchen geführten Demonstrationen, im Mai 2008 die Folgen des Wirbelsturms Nargis, der über 130000 Menschen in den Tod gerissen und das fruchtbare Delta des Ayeyawady (Irrawaddy) teilweise verwüstet hatte. Jetzt sind es der Prozeß gegen Daw Suu Kyi, Tochter des Nationalhelden General Aung San und Ikone der gegen die Regierung Myanmars gerichteten Bewegungen, sowie die gegen sie und die anderen Beteiligten gefällten Urteile. Die Beherbergung des illegal in ihr Grundstück eingedrungenen US-Bürgers John W. Yettaw bot der Regierung Gelegenheit, mit juristischen Mitteln zu sichern, daß Daw Suu Kyi auch nach Ablauf des Hausarrestes am 27.5.2009 nicht am öffentlichen Leben teilnehmen kann, also von der Vorbereitung auf die für 2010 angekündigten Wahlen ausgeschlossen bleibt. Um jeden Preis möchte die Regierung ein Wahlergebnis wie 1990 verhindern, als die von Suu Kyi geführte National League for Democracy (NLD) fast 60 Prozent der Stimmen und damit 80 Prozent der Sitze im Parlament gewonnen hatte. Ohne sie stellt die NLD wahrscheinlich keine nennenswerte Gefahr dar. Manche Medien verbreiteten deshalb die Vermutung, daß das Vorkommnis von myanmarischen Stellen selbst inszeniert oder zumindest toleriert worden war.

Das Ergebnis dient aber auch jenen Kräften, die die zunehmende Erkenntnis, daß die Strategie der Sanktionen gegen die Regierung Myanmars fehlgeschlagen und ein konstruktiver Umgang mit ihr notwendig ist, torpedieren wollen. Die internationalen Medien stellen Mr. Yettaw als einen in privater Mission handelnden Exzentriker dar. Doch bei näherer Betrachtung kommen Zweifel auf: Woher hat er, der als mittellos gilt, das Geld für die Flugtickets im November 2008 und Mai 2009 genommen, wie hat er über mehrere Wochen die Hotels im thailändischen Mae Sot, wo viele Antiregierungsgruppen versammelt sind, und in Yangon bezahlt? Seine Aktion war erfolgreich: In ihrem Ergebnis wird die mit einem Strategiewechsel verbundene Frage beantwortet, ob es gerechtfertigt ist, weiterhin die Freilassung von Daw Suu Kyi und der auf mehr als 2000 geschätzten politischen Gefangenen zum Dreh- und Angelpunkt westlicher Politik gegenüber der Regierung Myanmars zu machen: Sie steht wieder an erster Stelle der Agenda. Vor kurzem hatte ein langjähriger Aktivist der Demokratiebewegung auf einer Tagung eingeschätzt, daß dies derzeit strategisch falsch sei, wolle man Fortschritte erreichen. So bitter diese Feststellung ist, so realistisch ist sie wohl: Für die Regierung ist die freie politische Betätigung ihrer Gegner keine Voraussetzung fairer Wahlvorbereitung, da diese im Gegensatz zu ihr mit der moralischen Unterstützung des westlichen Auslands und der Sympathie der Bevölkerung rechnen können.

Die Kontrahenten

Myanmar wird oft als die »dienstälteste Militärdiktatur der Welt« bezeichnet. In der Tat ist es 47 Jahre her, seit unter Führung von General Ne Win das Militär die Macht ergriff mit dem Bewußtsein, die Gesellschaft effektiver führen und entwickeln zu können als die zivilen Kräfte. Dieses Bewußtsein nahm seinen Anfang in der Entstehungsphase der Streitkräfte 1942, als diese nach dem Einmarsch der japanischen Truppen, mit denen sie gegen die Briten verbündet waren, im Hinterland auch zivile Aufgaben beim Aufbau einer neuen Verwaltung erfüllten. Es bekam Auftrieb, als die Militärs, enttäuscht von der Diktatur des faschistischen Japan, aktiv an der Vertreibung der japanischen Truppen teilnahmen und ihr Führer General Aung San (1915--1947) den Briten in Verhandlungen die Unabhängigkeit abrang. Es formte sich aus, als die zu Beginn des 1948 entflammten Bürgerkriegs sehr schwachen Regierungstruppen im Verlauf der Kämpfe erstarkten und das zentrale Becken wieder unter Regierungskontrolle bringen konnten. Inspiriert von den Instabilitäten und Turbulenzen während der Phase der parlamentarischen Demokratie ab 1948 entwickelten sie schon Mitte der 1950er Jahre politische und wirtschaftliche Konzepte, die sie während der Treuhandregierung 1958 bis 1960 erprobten und ab 1962, abgeschottet von der Welt, als »Burmesischer Weg zum Sozialismus« umzusetzen versuchten.

Er führte zum einem wirtschaftlichen Fiasko und einer massiven Verschlechterung der Lebenslage der Bevölkerung. Ein Funke genügte, um im März 1988 den aufgestauten Frust zur Explosion zu bringen. Es folgte ein Sommer hoffnungsvollen Aufbegehrens mit Forderungen nach Demokratie. Das zunehmende Auftreten von Mob -- Plünderungen, Mord -- sowie der drohende Zusammenbruch von Verwaltung und Wirtschaft lieferten die Rechtfertigung für die erneute direkte Machtergreifung durch das Militär. Das Fiasko hatte dessen Bewußtsein nicht zerstört, einzige Kraft zu sein, die Stabilität, Gerechtigkeit und Wohlstand sichern konnte. Ausgehend von den Erfahrungen mit dem Zwist politischer Parteien, der während der parlamentarischen Demokratie wiederholt zu Instabilität geführt hatte, sahen sie nicht ihre Führungsqualität gescheitert, sondern nur den Weg, worin der Niedergang des sozialistischen Lagers sie bestärkt haben mag. Das Konzept der Militärs, die am 18. September 1988 die Macht übernahmen und sich als »Staatsrat für die Wiederherstellung von Recht und Ordnung« (SLORC) -- ab 1997 »Staatsrat für Frieden und Entwicklung« (SPDC) -- konstituierten, setzt auf Entwicklung durch Marktwirtschaft, Öffnung des Landes gegenüber der Welt und Orientierung an weltweit üblichen Normen der Staatsführung wie Mehrparteiensystem und Wahlen -- allerdings nur in dem Maße, in dem ihre Kontrolle der politischen und wirtschaftlichen Prozesse im Lande nicht gefährdet wird. Solch eine Gefährdung wurde sichtbar mit der Resonanz, die das öffentliche Auftreten von Aung San Suu Kyi ab Sommer 1988 in der Bevölkerung fand. Ihr flogen die Herzen zu: Als Tochter des Nationalhelden General Aung San, des Vaters der Nation, ihm wie aus dem Gesicht geschnitten, stand sie den Menschen nahe wie eine Schwester. Sie wurde als Alternative zur diskreditierten Herrschaft der Militärs, als Setkya empfunden, der mythologische Retter aus der Not. Den Militärs erschien sie eher als Minlaun, der in der myanmarischen Tradition Anspruch auf den Thron, d. h. die Herrschaft, erhebt und ihnen die Kontrolle streitig macht. Angesichts ihrer Popularität haben sie ihr Verständnis von Wahlen schon 1989 präzisiert: Nicht der Partei, die die Wahlen am 27. Mai 1990 gewinnt, sondern nur einer Regierung, die auf der Grundlage einer neuen oder erneuerten Verfassung gebildet wird, könnten sie die Macht übergeben. Die Ausarbeitung dieser Verfassung und nichts anderes sei die Aufgabe des zu wählenden Gremiums.

Zwei Konzepte der Legitimität

Daw Suu Kyi, geboren 1945, kam schon früh mit den Ideen der westlichen Welt in Berührung. Zunächst in einer katholischen Schule Yangons erzogen, setzte sie ihre Ausbildung ab 1960 in Neu Delhi fort, wohin sie ihre Mutter Daw Khin Kyi während deren Einsatzes als Botschafterin in Indien begleitet hatte, erwarb 1967 in Oxford den Bachelor-Grad für Philosophie, Politik und Ökonomie, studierte weiter in New York, arbeitete von 1969 bis 1971 in der Verwaltungs- und Finanzabteilung des UN-Sekretariats, anschließend als Wissenschaftlerin in Großbritannien. Dort heiratete sie 1972 den britischen Wissenschaftler Dr. Michael Aris, ihre beiden Söhne sind britische Staatsbürger. Das heißt, ihre politische Prägung hat sie im westlichen Ausland erfahren und die Ideale der liberalen Demokratie verinnerlicht. Als sie sich ab März 1988 zur Pflege ihrer schwer erkrankten Mutter in Myanmar aufhielt, wurde sie, die bis dahin politisch kaum engagiert war, in den Strudel der Ereignisse gezogen.

Ihre Herkunft und ihr persönliches Charisma machten sie bald zur Lichtgestalt der oppositionellen Bewegung mit erheblichem Einfluß auf deren Verlauf. Sie prägte entscheidend das Profil der von ihr am 27. September 1988 mitbegründeten Nationalen Liga für Demokratie (NLD). Deren Politisches Manifest vom November 1989 definiert allgemeine, freie und gleiche Wahlen als Eckpfeiler der Demokratie. In logischer Konsequenz bestanden Daw Suu Kyi und ihre Partei nach deren Wahlsieg 1990 auf der bedingungslosen Übergabe der Macht, und diese Forderung halten sie bis heute aufrecht. Die hohen ethischen Ansprüche an sich selbst und die Mitmenschen, die ihr von Gefährten bescheinigt werden, schlagen sich nieder auch in der Unversöhnlichkeit sowohl gegenüber den herrschenden Generälen als auch innerhalb der eigenen Partei. Grundtenor ihrer Politik nach der Verweigerung der Machtübergabe ist die Forderung, die Generäle durch Sanktionen, Boykotte und Verurteilungen unter Druck zu setzen. Zwar spricht sie -- bis heute -- immer wieder von der Vordringlichkeit des Dialogs, der getragen sein soll von Aufrichtigkeit, gegenseitigem Respekt und der Absicht, für das Wohl der Bevölkerung zu arbeiten. In der Praxis jedoch haben Begegnungen mit führenden Militärs, namentlich Senior General Than Shwe und General Khin Nyunt, wie sie zwischen 1994 und 2001 wiederholt stattfanden, zu keinen Lösungen geführt. Das läßt vermuten, daß die Machtfrage als Vorbedingung eine erhebliche Rolle gespielt hat. Nach Aufhebung des ersten Hausarrestes am 10. Juli 1995 verschärfte sie die Sanktionsforderungen noch und bezog im Vorfeld des »Visit Myanmar Year 1996« sogar den Tourismus ein, sehr zum Nachteil und Unverständnis vieler Klein- und Kleinstunternehmer, die von ihm abhängen. Erst müsse die politische Frage gelöst sein, ehe an Entwicklung zu denken sei. Die Forderungen dieser gewählten Repräsentantin eignen sich als Rechtfertigung der harten Maßnahmen zur Disziplinierung der Militärregierung seitens der USA und der EU. Für diese wäre ein liberal-demokratisches Regime von höchstem Interesse: Zusammen mit Indien und Thailand könnte es einen Damm gegen die weitere Ausdehnung des Einflusses der VR China bilden.

Für die militärischen Eliten, die im September 1988 die Macht ergriffen -- bzw., in ihrer Lesart, die historische Verantwortung für das Land auf sich genommen -- haben, besitzen die Wahlen nicht zwingend legitimierenden Wert, da sie -- abhängig z.B. von der Wahlbeteiligung -- nicht unbedingt den Willen der Mehrheit des Volkes widerspiegeln. Offensichtlich folgen die Militärs dem gleichen Verständnis, das General Aung San und seine Kampfgefährten der Konzipierung des neuen, unabhängigen Staates zugrunde legten: Sie verbanden von den Briten eingepflanzte Muster der parlamentarischen Demokratie mit traditionellen Prinzipien der Legitimation durch bewiesene Fähigkeit zur Führung des Landes. Nach buddhistischem Staatskonzept kann ein König seine Legitimation nur aufrechterhalten durch Gewährleistung der Stabilität und des Gedeihens des ihm anvertrauten Landes. Die 1995 definierten je vier politischen, ökonomischen und sozialen Ziele, die man täglich in der Regierungszeitung und auf dem Vorblatt jedes Buches lesen kann, zeigen, daß der Militärrat sich diese Tradition zu eigen gemacht hat und seine Legitimität durch intensive Entwicklungspolitik zu beweisen sucht. Das wird etwa von Gerhard Will, einem deutschen Politologen, treffend als »Entwicklungsdiktatur« bezeichnet.

Die Entschlossenheit und Zielstrebigkeit, mit der die Maßnahmen umgesetzt werden, sind beispiellos in der Geschichte Myanmars. Zahlreiche Bewässerungsanlagen, Straßen, Brücken, Eisenbahnlinien, aber auch neue Produktionsstätten, Bildungseinrichtungen, Krankenhäuser zeugen davon. Einige wenige Beispiele: Gab es über den Hauptstrom Ayeyawady bis 1997 nur eine Brücke, sind es jetzt mindestens sieben; stolz verwiesen Bewohner des Deltas 2005 darauf, daß sie jetzt dank der Brücken und neuen Straßen mit der Welt, d. h. dem Kernland Myanmars, verbunden sind und ihre landwirtschaftlichen Produkte leicht im Land vertreiben können. Die zirka 3,5 Kilometer lange Bahn- und Straßenbrücke über die Mündung des Thanlwin bei Mawlamyine (siehe Foto) macht die Provinz Taninthayi jetzt leicht auf dem Landweg erreichbar. Insgesamt meldet die Regierung den Bau von 229 Brücken über 60 Meter Länge seit 1988. Durch Zulassung und Förderung von Privatinitiative besonders in den Bereichen Leichtindustrie und Service hat sich ein beträchtlicher privater Sektor und mit ihm eine z. T. recht vermögende Mittelschicht entwickelt. Das Warenangebot hat sich verbessert, zumindest in den Städten. Zur Kehrseite gehört, daß wie in anderen Ländern auch die Einführung ungezügelter Marktwirtschaft eine Verschärfung sozialer Gegensätze und das Absinken von Bevölkerungsteilen in Armut mit sich bringt. Der durch Industrie, Hotels, Regierungsansprüche, private Haushalte enorm gestiegene Bedarf an Elektrizität kann nicht gedeckt werden, so daß die Bevölkerung chronisch mit Stromausfall konfrontiert ist, was den Unmut wachsen läßt. Symptomatisch ist die Antwort einer Bekannten auf die Frage, wem sie bei Wahlen ihre Stimme geben würde: »Denjenigen, die 24 Stunden Strom garantieren.« Trotz alledem -- es wurde ein Wertzuwachs geschaffen, der späteren Regierungen zugute kommen wird.

Die ethnische Dimension

Auch auf einem weiteren für die Stabilität und Entwicklung entscheidenden Gebiet scheint sich der SPDC auf General Aung Sans Ideen zu berufen: dem des friedlichen Zusammenlebens der Völker Myanmars. In der Überzeugung, daß die gleichberechtigte Entwicklung aller Landesteile Konflikten den Boden entziehen und den Wunsch nach Trennung nicht aufkommen lassen wird, konnte er der Forderung der Shan- und Kayah-Eliten nach Verankerung des Sezessionsrechtes in der föderalistischen Verfassung von 1947 nachgeben. Seine Vision erfüllte sich nicht. Dieses komplexe Thema kann hier nicht angemessen behandelt werden. Im Kontext der »Entwicklungsdiktatur« aber ist zu erwähnen, daß es dem Militärrat gelang, mit 17 größeren und 26 kleineren kriegführenden Gruppen Waffenstillstandsabkommen zu schließen, und daß sein Wille zur nachholenden Entwicklung der Berggebiete in der Schaffung spezieller Organe, Gesetze und Maßnahmen Niederschlag fand. In der Praxis behindern Mittelknappheit sowie tradierte Vorurteile und Eigeninteressen beider Seiten die Konfliktlösung. Neben den fortgesetzten Kampfhandlungen mit dem militärischen Arm der christlichen Karen National Union (KNU) sowie weiterer bewaffneter Gruppen sind die jetzt neu aufgeflammten Auseinandersetzungen der Regierungstruppen mit den Organisationen der Kokang und Wa im Grenzgebiet zu China ein ernstes Symptom.

Seitens der NLD sind über allgemeine Aussagen, wie sie auch in der Verfassung formuliert sind, hinaus keine Konzepte zur Lösung der ethnischen Problematik bekannt -- sie steht ebenso wie die Entwicklung des Landes erst nach ihrer Übernahme der politischen Macht auf der Tagesordnung.

Wechselwirkungen

Die Entwicklungsleistung des Militärrats wird von dessen Gegnern im In- und Ausland nicht anerkannt. Damit ist seine Strategie, durch Entwicklung Legitimation beim eigenen Volk und der Welt zu erringen, ebenso gescheitert wie das Bemühen westlicher Staaten, durch politische und wirtschaftliche Ausgrenzung Einfluß auf die Innenpolitik zu gewinnen.

Erstens hat die Sanktionspolitik den Militärrat veranlaßt, die Beziehungen mit anderen, nicht in der westlichen »internationalen Gemeinschaft« vernetzten Staaten, namentlich VR China, ASEAN-Länder1, Rußland, neuerdings auch Nordkorea, zu intensivieren, die in Verfolgung eigener Interessen ökonomische und politische Unterstützung gewähren. Der VR China ist neben massiven wirtschaftlichen Zielen daran gelegen, einen ihr verpflichteten und nicht USA-hörigen Staat an seiner Südflanke zu wissen, der auch ihren geostrategischen Interessen entgegenkommt, besonders dem Landzugang zum Golf von Bengalen, was wiederum Indien beunruhigt und zu einer versöhnlicheren Haltung gegenüber Myanmar veranlaßt. Die ASEAN-Staaten ihrerseits versuchen, diesem Trend entgegenzuwirken und wirtschaftlichen Nutzen zu ziehen. Also ist Myanmar keinesfalls isoliert, sondern pflegt vielfältige Kontakte, aber vorwiegend mit Ländern, die auch kein demokratisches Staatswesen im westlichen Sinne haben. Klagen darüber, daß diese Länder den Erfolg der Sanktionen verhindern, sind müßig.

Zweitens wären ohne diesen Beistand die inneren Auswirkungen der Sanktionen noch schlimmer ausgefallen. Auch so schon tragen deren wirtschaftliche Konsequenzen zur Verschlechterung der Lebenslage großer und wachsender Bevölkerungsteile bei und forcieren deren Abneigung gegen die Regierung als der Schuldigen für alles Ungemach; so bestätigt sich quasi die überlieferte Volksweisheit, daß Obrigkeit zu den großen Plagen gehört wie Feuersbrunst oder Überschwemmung. Die ständigen Anfeindungen und Blockaden im Verein mit der Nichtanerkennung der Leistungen verschärfen das Bedrohungsgefühl der Regierenden und schlagen sich in verschiedenen, allesamt für wirtschaftliche und politische Fortschritte nachteiligen Entscheidungen nieder: Verstärkt werden Mittel eingesetzt für die Stärkung der Streitkräfte und für die Sicherung von Loyalität durch Privilegien und Zuwendungen, insbesondere für Angehörige der bewaffneten Organe und deren Familien, großzügige Spenden für die Spitzen des Sangha, den buddhistischen Klerus. Seit der zweiten Hälfte der 1990er Jahre ist zunehmend eine Verwendung staatlicher Mittel für repräsentative Zwecke, die der Selbstlegitimierung dienen, zu beobachten: der Bau von Pagoden, Klöstern und ehemaligen Königspalästen, der Pomp um die weißen Elefanten, die Errichtung der neuen Hauptstadt Nay Pyi Taw (seit 2006) zirka 400 Kilometer landeinwärts und ihres High-tech Pendants »Cyber City« Yadanabon nahe Mandalay, in denen die angestrebte moderne, entwickelte Gesellschaft als Mikrokosmos geschaffen wird. Empfundene Bedrohung verstärkt das Bedürfnis der herrschenden Eliten, alles zu kontrollieren, und ihr Mißtrauen gegen jede nicht von ihnen veranlaßte Bewegung. Das schränkt die Chancen zivilgesellschaftlicher Tätigkeit ein, ganz zu schweigen von politischer. Nach der Logik der in die Ecke gedrängten Militärs gibt es nur drei Möglichkeiten: Entweder man kooperiert im gesteckten Rahmen, oder man wird aus dem Verkehr gezogen, oder man bleibt passiv. Der Militärrat hat Suu Kyi wiederholt zur Mitwirkung im Entwicklungsprogramm zu bewegen versucht, ohne Erfolg. Zuletzt hatte Senior General Than Shwe auf Empfehlung von UN-Sonderberater Ibrahim Gambari im Oktober 2007 Gespräche mit ihr angeboten unter der Voraussetzung, daß sie die Forderung nach Sanktionen einstellt. Darauf ist sie nicht eingegangen. Jedes Einlenken würde ihr Image beschädigen. Die Friedensnobelpreisträgerin ist Gefangene ihrer Rolle als Ikone der Demokratiebewegung Myanmars.

Die Fixierung auf die Kontrahenten im Kampf um die Macht ist verhängnisvoll. Im Grunde genommen sind sie nur Spielkarten im Monopoly der Großmächte um strategische und ökonomische Vorteile in Südostasien. Um das Wohl der Menschen in Myanmar geht es dabei nicht. Die Kooperation zur Bewältigung der Folgen des Wirbelsturms Nargis 2008 aber hat bewiesen, daß problembezogene Zusammenarbeit funktioniert und Vertrauen aufbaut. Sie würde auch jene Kräfte stärken, die im Rahmen der jetzigen Möglichkeiten für Wandel agieren und die unverzichtbar sind für seine Nachhaltigkeit.

Anmerkung

1 Association of South East Asian Nations (ASEAN), der 1967 in Thailand gegründete Verband Südostasiatischer Staaten mit Sitz in Jakarta (Indonesien); Mitglieder sind Brunei Darussalam, Indonesien, Kambodscha, Laos, Malaysia, Myanmar, Philippinen, Singapur, Thailand und Vietnam --
d. Red.

Uta Gärtner ist Myanmaristin. Sie war bis Mai 2007 Mitarbeiterin am Institut für Asien- und Afrikawissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin

Aus: junge Welt, 7. September 2009



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