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Dschingis Khans Erben feiern

Die Mongolei begeht den 800. Jahrestag der Staatsgründung

Von Renate Bormann, Ulan Bator *

Vor 800 Jahren wurde Dschingis Khan zum »Herrscher über alle in Filzzelten lebenden Völker« gewählt. 1206 gilt als Gründungsjahr des »Großen Mongolischen Staates«. Das Jubiläum wird in dieser Woche gefeiert.

Im Jahre 1206 war der Blick Dschingis Khans längst über die zentralasiatische Steppe hinaus nach Süden und Westen gerichtet: China, das »Goldene Land« und die zerstrittenen Stadtstaaten Mittelasiens gehörten bereits wenige Jahrzehnte später zum mongolischen Imperium. Dschingis Khans Nachfolger, allen voran Khubilai Khan, schufen schließlich das größte Reich, das die Welt je gesehen hatte. Richtig ist, dass die Mongolen und ihre Söldnerheere Angst und Schrecken verbreiteten, das gehörte zu ihrer Kriegstaktik. Richtig ist aber auch, dass die Handelswege zwischen Europa und Asien weder zuvor noch Jahrhunderte danach sicherer als zu Zeiten der Mongolenherrschaft im 13. und 14. Jahrhundert waren. Die Mongolen beendeten mörderische Bandenkriege in Persien, die Pax Mongolica gehört ins Weltgeschichtsbuch.

1368 zwang ein chinesisches Bauernheer die Mongolen zurück in die Steppe, ihre ehemals blühende erste Hauptstadt Karakorum verfiel, in den 80er Jahren des 14. Jahrhunderts wurde sie völlig zerstört und versank allmählich im Steppenboden. Nach mandschurischer Fremdherrschaft vom 17. bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts und einer kurzen Periode als Religionsstaat (1911-21) fanden die Mongolen den Anschluss an die Moderne in den Auseinandersetzungen zwischen Kommunismus und Kapitalismus an der Seite Sowjetrusslands und des von ihm beherrschten Teils der Welt.

Der Untergang dieser Welt brachte den Mongolen Mehrparteiendemokratie und Marktwirtschaft – und mehr Elend für jene, die nicht wendig genug für die neuen Verhältnisse waren. Trotz Millionen Dollar an Entwicklungshilfe, reichen Gold- und Kupfervorkommen leben mittlerweile 36 Prozent der 2,5 Millionen Mongolen unterhalb der Armutsgrenze. Bürgerbewegungen haben deswegen Proteste für die Feiertage angekündigt. Sie wollen auf dem Suche-Bator-Platz Jurten errichten und Neuwahlen fordern: »Die Armen haben keinen Grund zu feiern, weder 800 Jahre Staatsgründung noch 85 Jahre Volksrevolution und schon gar nicht 15 Jahre Marktwirtschaft.«

Dennoch: Dschingis Khan ist für junge und alte, arme und reiche Mongolen das vielleicht einzige Verbindende, ein Symbol, das allen gehört. Bis zur letzten Stunde vor Beginn der dreitägigen Feierlichkeiten wurde an der Verschönerung der Hauptstadt gearbeitet. Der feierlichen Einweihung einer 5,5 Meter hohen Statue des auf seinem Thron sitzenden Dschingis Khan zog am Dienstag Tausende Zuschauer an. Der ganze Denkmalskomplex vor dem Regierungsgebäude wird endgültig erst am 26. November seiner Bestimmung übergeben. Flankiert wird der erste Großkhan von zwei seiner Nachfolger und von den Reiterdenkmälern zweier seiner Generäle. Dafür musste das Mausoleum der Revolutionshelden von 1921 weichen.

Präsident Nambaryn Enchbajar betonte in einem Fernsehinterview, die Besinnung auf Geschichte und Kultur der Mongolei solle Handeln und Streben der jungen Generation befruchten. Tatsächlich ist das Land von einstiger Größe weit entfernt. Die Korruption hat alle Bereiche der Gesellschaft durchdrungen, Demagogen finden leicht Anhänger. Eine im Jahr 2004 mit großen Vorschusslorbeeren gebildete Koalitionsregierung zerbrach nach wenigen Monaten an Intrigen und Unvermögen, und die im Januar ins Amt geschobene Regierung der »Nationalen Solidarität« nimmt sich offensichtlich selbst nicht ganz ernst: Regierungsmitglieder führen sich als deren schärfste Kritiker auf. Die Parteien sind untereinander und in sich selbst zerstritten. Die älteste, größte und mächtigste Partei, die Mongolische Revolutionäre Volkspartei (MRVP), hat mit einer internen Opposition zu kämpfen, die an Zulauf gewinnt.

Nach zehn Jahren und zum Teil erbittert geführten Auseinandersetzungen verabschiedeten die Abgeordneten des Großen Staatshurals noch kurz vor den Feiertagen ein Gesetz zum Kampf gegen die Korruption. Möglich wurde dies jedoch erst, nachdem auf eine wirksame Kontrollinstanz verzichtet worden war: Freiwillige Selbstkontrolle soll alles richten.v Beschlossen wurden auch Veränderungen der Steuergesetzgebung. Die Mehrwertsteuer wurde von 15 auf 10 Prozent gesenkt, es gibt zwei Einkommensteuersätze – 10 und 25 Prozent –, und ausländische Firmen werden nicht mehr anders besteuert als einheimische. Ministerpräsident Miegombyn Enchbold (MRVP) erwartet, dass dadurch in den nächsten fünf Jahren mindestens 120 000 neue Arbeitsplätze entstehen.

Zu den Gästen aus aller Welt, die an den Feiern teilnehmen, gehört Bundestagspräsident Norbert Lammert, der unter anderem ein Projekt der deutsch-mongolischen Entwicklungszusammenarbeit im Chentii-Aimag, dem Stammgebiet der Dschingisiden, besuchen wird. Und das Deutsch-Mongolische Forum veranstaltet eine Konferenz: »Die Mongolei als Rohstoff- und Energielieferant – Perspektiven für die deutsch-mongolische Zusammenarbeit«.

* Aus: Neues Deutschland, 12. Juli 2006


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