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Moldau-Maidan in der Mache?

Demonstranten in Chisinau fordern Anschluss an Rumänien. Bevölkerung zunehmend gegen Zusammenarbeit mit EU

Von Reinhard Lauterbach *

Mehrere tausend Demonstranten haben am Wochenende in der moldauischen Hauptstadt Chisinau die Vereinigung des Landes mit Rumänien gefordert. Auf der Kundgebung wurden auch antirussische Parolen gerufen. Während der Veranstalter, eine rumänisch-nationalistische Gruppe namens »Moldauische Jugend«, die Teilnehmerzahl mit 25.000 bezifferte, sprach die Polizei von 5.000 Demonstranten. Es war schon die zweite Großdemonstration gegen die Regierung in diesem Monat. Am 3. Mai hatten sich in Chisinau unter ähnlichen Parolen etwa 15.000 Menschen versammelt. Damals hatten Redner gefordert, die Demonstranten sollten nach dem Vorbild des ukrainischen Euromaidan ein permanentes Lager aufschlagen; dazu kam es jedoch bisher nicht. In Umfragen befürworten etwa 15 bis 20 Prozent der Moldauer eine Vereinigung ihres Landes mit dem südwestlich gelegenen Nachbarstaat.

Dass die Großrumänen gegenwärtig Morgenluft wittern, hat mit einem Skandal zu tun, der seit Wochen die moldauische Öffentlichkeit erregt. Kurz vor den Parlamentswahlen im vergangenen November hatte der 28jährige Geschäftsmann Ilan Shor von drei moldauischen Geschäftsbanken, die er kontrolliert, Kredite im Umfang von etwa einer Milliarde Euro an ihm gehörende Unternehmen gewähren lassen. Die Kreditsumme war so hoch, dass die Darlehensgeber an den Rand der Insolvenz gerieten. Dies wiederum nötigte die Nationalbank des Landes, den betroffenen Banken mit einem Notkredit von knapp 900 Millionen Euro unter die Arme zu greifen, um einen Zusammenbruch des ganzen Bankensektors zu verhindern. Da Shors Unternehmen das geliehene Geld alsbald an diverse Offshoregesellschaften im Ausland transferierten, ist die Aussicht auf Rückzahlung gering; das an Shor gegangene Geld belastet somit in letzter Instanz den moldauischen Staatshaushalt und damit die Steuerzahler. Als Ergebnis erlebte Moldau einen »Bank run«; die Leute hoben ihre spärlichen Guthaben von den Banken ab, die Landeswährung wertete um 40 Prozent ab.

Was den Skandal über die landesüblichen Machenschaften hinaushebt, ist nicht nur das schiere Ausmaß des gewährten Kredits, der einem Sechstel des moldauischen Sozialprodukts entspricht. Es sind auch die engen Beziehungen, die Shor zu der mitregierenden Liberaldemokratischen Partei unterhält. Mit deren Vorsitzendem, dem zeitweiligen Ministerpräsidenten Vlad Filat, ist er nach Medienberichten gut befreundet. Filat und sein Stellvertreter Wladimir Plachotnjuk hatten es Shor zuvor ermöglicht, die vormals staatlichen Banken, die im November den Kredit bewilligten, für einen Spottpreis zu übernehmen. Die ganze Angelegenheit sieht also stark nach einem Geschäft unter Freunden aus – zum Schaden des Landes und seiner Volkswirtschaft.

Die als »prowestlich« eingestuften Liberaldemokraten hatten sich nach den Parlamentswahlen im November mit Mühe an der Macht halten können. Seit Februar regieren sie in einer Minderheitsregierung, die auf die Duldung der moldauischen Kommunisten angewiesen ist. Der Skandal ist geeignet, die Chancen der »Proeuropäer« in Moldau bei den im Juni geplanten Kommunal- und Regionalwahlen deutlich zu schwächen. Aktuelle Umfragen sagen aus, dass inzwischen 60 Prozent der Bürger Moldaus die Zukunft des Landes in der »Eurasischen Union« mit Russland und einigen anderen ehemaligen Sowjetrepubliken sehen, nur noch 40 Prozent sprechen sich für die Option einer Integration mit der EU aus. Die hat in diesem Frühjahr schon mehrere Delegationen nach Moldau geschickt, um dort politisch nach dem Rechten zu sehen. Die gewonnenen Erkenntnisse haben Brüssel offenbar nicht optimistisch gestimmt; der Resolutionsentwurf für den diese Woche in Riga stattfindenden Gipfel der »Östlichen Nachbarschaft« schweigt sich über weitere Schritte zur Annäherung Moldaus, der Ukraine und Georgiens an die EU aus.

In dieser Situation ist das Ausspielen der großrumänischen Karte aus westlicher Sicht ein denkbarer Plan B: Wenn die hausgemachte Politikerklasse nicht in der Lage ist, Moldau in die Westintegration zu steuern, könnte es naheliegen, »das Volk aufzulösen und ein anderes zu wählen«. Moldau in ein minoritäres Anhängsel Rumäniens zu überführen wäre auch eine Lösung des Streits um die Hegemonie an der Südwestgrenze der Ukraine. Allerdings steht der moldauischen Öffentlichkeit der Euromaidan in Kiew bisher als eher abschreckendes Beispiel vor Augen.

* Aus: junge Welt, Montag, 18. Mai 2015


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