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Moldawien vor und nach der Wahl: Es bleibt alles beim alten

Blockade im Parlament wird weiter bestehen - Fronten verhärtet / Beziehungen zu Rumänien auf Tiefpunkt

Moldawien wird auch nach den von der Opposition erzwungenen Neuwahlen am 29. Juli nicht zur Ruhe kommen. Die stärkste Partei, die "Kommunistische Partei Moldawiens" wird zwar mit Abstand stärkste Partei bleiben, verfügt aber nicht über genügend Stimmen, um den Präsidenten stellen zu können. Dies bleibt aber auch den Oppositionsparteien - selbst wenn sich alle verbünden - versagt. Die moldauische Verfassung schreibt für die Wahl des Präsidenten eine Dreifünftelmehrheit im Parlament vor.
Im Folgenden dokumentieren wir drei Vorwahl-Berichte, die über die Konfliktlinien in Moldawien Auskunft geben. Zunächst aber die letzte Hochrechnung (im Kasten).



Letzte Meldung

Kommunisten verlieren Machtmonopol

Die regierende Kommunistische Partei Moldawiens liegt zwar laut den Hochrechnungen der Ergebnisse der Parlamentswahlen vom Mittwoch (29. Juli) in Führung, die Oppositionsparteien bekommen aber eine Mehrheit im Parlament. Das erfuhr RIA Novosti am Donnerstag in der Wahlleitung.

"Nach der Auswertung von 97 Prozent der Stimmzettel kommen die Kommunisten auf 45,1 Prozent der Stimmen und bekommen damit 48 Sitze im Parlament", hieß es. "Die Liberaldemokratische Partei liegt mit 16,34 Prozent bzw. 17 Sitzen auf Platz zwei, die Liberale Partei bekommt 14,4 Prozent bzw. 15 Sitze, die Demokratische Partei 12,5 Prozent bzw. 13 Sitze und die Allianz Unser Moldova 7,4 Prozent bzw. acht der insgesamt 101 Parlamentssitze."

Der Präsident Moldawiens braucht 61 Stimmen der Parlamentsabgeordneten, um gewählt zu werden.

Russische Nachrichtenagentur, 30. Juli 2009



Moldawien: Opposition setzte sich durch - es muß gewählt werden

Chisinau. Am heutigen Mittwoch (29. Juli) muß Moldawien erneut wählen. Das setzte die bürgerlich-nationalistische Opposition mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln durch. Zwar hatte die Kommunistische Partei (PKRM) des südosteuropäischen Staates bei den Parlamentwahlen im April 49,9 Prozent der Stimmen und damit 60 der 101 Abgeordnetensitze gewonnen, doch legten Dauerdemonstrationen, ein versuchter Sturm auf den Präsidentenpalast und der geeinte Boykott des Parlamentsbetriebs durch die Rechte das politische Leben lahm.

Etwa 2,5 Millionen Wahlberechtigte entscheiden nun darüber, wohin sich das Land orientiert: Ob hin zu Rumänien und der EU, wie von den Liberalen (PL), Liberaldemokraten (PLDM) und Konservativen der Partei »Unser Moldawien« gefordert oder in Richtung Moskau. Dafür plädierte die KP in den vergangenen Monaten - unter der Losung »Verteidigt unser Mutterland« (Foto aus Chisinau) - wieder verstärkt, nachdem sie lange Zeit versucht hatte, eine Annäherung an die EU zu vollziehen. Offenbar gibt es - sprachlich und wirtschaftlich - eine Rückbesinnung auf Traditionen der ehemaligen Sowjetrepublik »Moldauische SSR«. Diese hatte sich als »Republica Moldowa« 1991 für unabhängig von der UdSSR erklärt.

Acht Parteien stehen nun zur Wahl, neben der PKRM werden vier Oppositionsparteien Chancen eingeräumt, die Fünf-Prozent-Hürde zu überspringen. Wahlforscher sehen die Kommunisten an erster Stelle, allerdings dürften sie wieder nicht ausreichend Stimmen erhalten, um den nächsten Präsidenten aus eigener Kraft zu wählen. Denn die drei wichtigsten Oppositionsparteien schließen bislang jede Zusammenarbeit mit den Kommunisten kategorisch aus.

* Aus: junge Welt, 29. Juli 2009


Die Fronten sind extrem verhärtet

Wer stiftete den gewaltsamen Aufruhr nach dem Urnengang im April an?

Von Irina Wolkowa, Moskau **

Am heutigen Mittwoch (29. Juli) sind die Bürger der Republik Moldova zum zweiten Mal in diesem Jahr aufgerufen, eine neue Volksvertretung zu wählen. Das erst am 5. April aus einer turnusgemäßen Abstimmung hervorgegangene Parlament hatte bereits Mitte Juni wieder aufgelöst werden müssen. Der seit acht Jahren regierenden Partei der Kommunisten der Republik Moldova (PCRM) fehlte genau eine Stimme, um Premierministerin Sinaida Greceanii ins Präsidentenamt zu wählen.

Moldovas Staatsoberhaupt wird nicht direkt, sondern mit Dreifünftelmehrheit vom Parlament gewählt. Dort aber verfügte die PCRM nach den Wahlen am 5. April nur über 60 der insgesamt 101 Mandate. Alle Versuche, einen oppositionellen Abgeordneten – und damit die fehlende 61. Stimme – zu gewinnen, scheiterten am geschlossenen Boykott der Opposition. Der bisherige Präsident Wladimir Woronin, der nach zwei Amtsperioden nicht wieder kandidieren durfte, musste das gerade erneuerte Parlament laut Verfassung wieder auflösen.

Eben durch die April-Wahlen und die darauf folgenden Unruhen hatten sich die Fronten zwischen den verfeindeten Lagern extrem verhärtet. Proteste wegen vermeintlichen »Wahlbetrugs« der Kommunisten waren am 6. und 7. April zu Tumulten und Pogromen eskaliert. Hunderte meist jugendliche Demonstranten randalierten fast zwei Tage lang im Zentrum der Hauptstadt Chisinau, verbrannten Fahnen der KP und der Sowjetunion, verwüsteten das Parlamentsgebäude und den Sitz des Präsidenten. Zwei Menschen kamen zu Tode, etliche wurden verletzt, der materielle Schaden belief sich auf einen zweistelligen Millionenbetrag.

Bis heute sind Motive und Hintermänner des Aufruhrs umstritten. Woronin verortete die Drahtzieher in Rumänien, zu dem Moldova von 1918 bis 1940 und von 1941 bis 1944 gehörte. Bukarest habe oppositionelle Jugendorganisationen für einen Staatsstreich aufmunitioniert. In der Tat hatten viele bei den Pogromen rumänische Fahnen geschwenkt und die Wiedervereinigung gefordert.

Die liberale Opposition dagegen macht die PCRM selbst verantwortlich. Die habe zuerst die Wahlen manipuliert und dann die Unruhen angezettelt, um die Opposition zu diskreditieren und die Gesellschaft von den schweren sozialen und wirtschaftlichen Problemen des Landes abzulenken.

Darüber hinaus wirft sie Woronin den Verrat nationaler Interessen in Verhandlungen mit der abtrünnigen Dnjestr-Republik vor. Die mehrheitlich von Russen und Ukrainern bewohnte Region am östlichen Dnjestr-Ufer hatte sich nach blutigen Kämpfen zu Beginn der 90er Jahre für unabhängig erklärt. Alle Vermittlungsversuche der internationalen Gemeinschaft, die diese Unabhängigkeit nicht anerkennt, sind bisher erfolglos geblieben. Bei Dreierverhandlungen unter der Schirmherrschaft des russischen Präsidenten Dmitri Medwedjew im März war Woronin den Separatisten jedoch entgegengekommen.

Obwohl die April-Wahlen nach Ansicht internationaler Beobachter im Wesentlichen den üblichen Standards entsprachen, beklagte die Opposition Unregelmäßigkeiten und Behinderungen. Vlad Filat, Chef der Liberaldemokratischen Partei (PLDM), sprach beispielsweise von tausenden »toten Seelen« in den Wählerlisten. Eine Neuauszählung der Stimmen, erklärte Filat schon im April, reiche daher nicht, seine und die beiden anderen ins Parlament gelangten liberalen Parteien würden durch ihr Stimmverhalten bei der Wahl des Präsidenten daher einen neuerlichen Urnengang erzwingen. Was ihnen denn auch gelang.

Die Wählerlisten seien immer noch nicht in vollem Umfang korrigiert worden, behaupteten Oppositionelle zu Beginn dieser Woche. Auch hätten die überregionalen Fernsehkanäle die Kommunisten im Wahlkampf bevorzugt, klagten sie. Zwar hat Woronin unabhängig vom Wahlausgang Kompromisse und Koalitionen angeboten, doch die Opposition will nichts anderes als die Verdrängung der PCRM aus der Regierung.

In den letzten Umfragen lagen die Kommunisten zwischen 32 und 38 Prozent, was einen erheblichen Verlust gegenüber dem offiziellen Ergebnis der Aprilwahlen erwarten ließe. Die Rechnung vor der Wahlwiederholung enthält jedoch eine Unbekannte: Marian Lupu, ehemaliger Parlamentschef, zeitweilig sogar als Nachfolger Woronins im Präsidentenamt gehandelt, verließ Anfang Juni die PCRM, erhob schwere Vorwürfe gegen seine einstigen Genossen und wurde umgehend zum Spitzenkandidaten der Demokratischen Partei (PDM) gekürt, die in den Umfragen prompt auf rund 10 Prozent kletterte. Mancher sieht darin ein Manöver Woronins, seiner Partei einen Koalitionspartner zu sichern.

** Aus: Neues Deutschland, 29. Juli 2009


Frostige Beziehungen Bukarest – Chisinau

Rumäniens Konzept: Ein Volk, zwei Länder

Von Detlef D. Pries ***

Die Beziehungen zwischen Moldova und dem benachbarten Rumänien sind auf einem Tiefpunkt angelangt – obwohl Bukarest sich als Anwalt Moldovas in der EU versteht und die in Chisinau regierenden Kommunisten durchaus EU-freundlich sind.

Es sei unmöglich, durch Verhandlungen mit Rumäniens derzeitiger Führung irgendwelche Probleme zu lösen, erklärte Moldovas amtierender Präsident Wladimir Woronin am 15. Juli. Deshalb bitte man die Europäische Union um Unterstützung. Die EU müsse ihr Mitglied Rumänien dazu bewegen, Souveränität und territoriale Integrität Moldovas zu respektieren, und Gespräche über eine Normalisierung der Beziehungen vermitteln. Deren Ergebnis sollten nach Woronins Vorstellungen ein politischer und ein Grenzvertrag zwischen beiden Staaten sein.

Das lehnt Rumäniens Präsident Traian Basescu jedoch strikt ab. Ein Grenzvertrag, erklärte Basescu kürzlich, würde den Molotow-Ribbentrop-Pakt von 1939 legitimieren. Der Hintergrund: Das Gebiet zwischen Dnjestr und Pruth, das 300 Jahre lang unter osmanischer Herrschaft stand, bevor es 1812 Russland angeschlossen wurde und sich 1918 zu Rumänien schlug, war nach einem geheimen Zusatzprotokoll zu jenem Pakt dem sowjetischen Interessengebiet zugeordnet worden und bildete nach dem Zweiten Weltkrieg die Moldauische Sowjetrepublik. Während Woronin und seine Anhänger seit der Unabhängigkeitserklärung 1991 auf einer Stärkung der moldauischen Identität samt Sprache und Geschichte bestehen, sind die Moldauer für Basescu und einen großen Teil der moldauischen Opposition ganz einfach Rumänen. Bukarest vertrete das Konzept »Ein Volk, zwei Länder«, sagt der rumänische Präsident.

Entsprechend freigiebig verfährt seine Regierung bei der Ausgabe von Pässen: Laut Basescu werden demnächst zwei Millionen Bürger Moldovas die rumänische Staatsbürgerschaft besitzen, die ihnen Zugang zum EU-Arbeitsmarkt sichert. Zugleich werden in Rumäniens Presse prominente Stimmen laut, die eine Vereinigung beider Staaten – notfalls auch unter Verzicht auf die abtrünnige Dnjestr-Republik – fordern.

Woronins Vorwurf, Bukarest habe die Unruhen nach den Wahlen im April angeheizt, konterte Basescu im Interview mit einem gewagten Vergleich: Woronin verstehe sein Volk und insbesondere die Jugend nicht – wie schon »ein anderer kommunistischer Führer im Dezember 1989«. Gemeint war Nicolae Ceausescu.

*** Aus: Neues Deutschland, 29. Juli 2009


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