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Pulverfass Moldova

Präsident Woronin spricht von versuchtem Staatsstreich

Von Irina Wolkowa, Moskau *

Paramilitärische Einheiten des Innenministeriums und schwer bewaffnete Sonderkommandos der Polizei hatten am Mittwochmorgen (8. April) alle Zufahrtsstraßen zu Moldovas Hauptstadt Chisinau hermetisch abgeriegelt, um zu verhindern, dass die seit Montag andauernden Unruhen neuen Zulauf bekommen.

Hunderte Menschen in Chisinau setzten am Mittwoch ungeachtet der Abriegelungen ihren Weg zu Fuß fort. Im Stadtzentrum fand eine weitere Protestkundgebung statt. Regierung und Opposition hatten nach einer Beratung am Dienstagabend ihre Anhänger in getrennten Erklärungen aufgerufen, auf Gewalt zu verzichten.

Unmittelbarer Anlass der Unruhen waren die Parlamentswahlen am Sonntag. Dabei gelang es den seit acht Jahren regierenden Kommunisten, ihre Mehrheit zu verteidigen. Und damit auch das Amt des Präsidenten, der den politischen Kurs bestimmt. Die Opposition – vor allem die gegenwärtig im Parlament vertretenen drei liberalen Parteien – hatten das Wahlergebnis angezweifelt und ihre Anhänger zu einem Protestmeeting aufgerufen. Dieses verlief anfangs friedlich, dann entglitt den Organisatoren offenbar die Kontrolle.

Letzte Meldung

Moldawischer Präsident fordert Neuauszählung der Parlamentswahl

Der moldawische Staatspräsident Wladimir Woronin hat eine Neuauszählung der Stimmen der Parlamentswahl vom vergangenen Wochenende gefordert. Damit wolle er die politische Stabilität und das Vertrauen in die Institutionen des Landes wieder herstellen, erklärte er am Freitag (10. April). Zugleich betonte er, dass die regierenden Kommunisten die Abstimmung gewonnen hätten.

Die Opposition hat der Regierung Wahlbetrug vorgeworfen. Am Dienstag (7. April) demonstrierten vor dem Parlament in Chisinau mindestens 10.000 Menschen und forderten eine Neuwahl. Bei Ausschreitungen wurde das Parlamentsgebäude beschädigt. Mehr als 90 Menschen wurden verletzt, 200 festgenommen. Am Freitag demonstrierten in der Hauptstadt abermals rund 200 Demonstranten. Sie forderten den Rücktritt der Regierung.

Die Kommunistische Partei Moldawiens (PCRM) gewann am Sonntag (5. April) nach offiziellen Angaben zum dritten Mal in Folge die Parlamentswahl und festigte damit ihre seit 2001 bestehende Regierung. Die Partei erreichte 49,9 Prozent der Stimmen. Drei Oppositionsparteien, die für eine Annäherung der ehemaligen Sowjetrepublik an die Europäische Union eintreten, kamen zusammen auf 35 Prozent. Internationale Beobachter haben erklärt, die Wahl sei fair verlaufen.

Medienorganisationen kritsierten Moldawien wegen eines Einreiseverbots für 18 rumänische Journalisten. Die Reporter wollten am Dienstag (6. April) über die gewaltsamen Proteste in der Hauptstadt Chisinau berichten. Das Einreiseverbot habe eine sachgemäße Berichterstattung über die Lage verhindert, hieß es in getrennten Erklärungen von Reporter ohne Grenzen und des Komitees zum Schutz von Journalisten. Staatspräsident Woronin hat das Nachbarland Rumänien als Drahtzieher der Unruhen beschuldigt. Rumänien hat den Vorwurf zurückgewiesen.

Nach: Presseagentur AP, 10. April 2009



Hunderte, fast ausnahmslos junge Menschen unter vierzig und vor allem Studenten, warfen Schaufenster ein, steckten Autos in Brand und versuchten, die Residenz von Präsident Wladimir Woronin im Zentrum Chisinaus zu stürmen. Sie plünderten das Parlamentsgebäude und legten dort Brände. Eine Frau erlag einer Rauchvergiftung. Es gab mehrere Dutzend Verletzte, vor allem auf Seiten der Polizei. Diese verhielt sich nach Meinung von Augenzeugen »sehr korrekt«. Sie griff erst ein, als sie angegriffen wurde, und versuchte, die Randale mit Wasserwerfern zu beenden.

Experten rätseln, in welchem Umfeld die Hintermänner der Unruhen zu suchen und wer die unmittelbaren Anstifter sind. Die Opposition weist alle Vorwürfe zurück und das erscheint inzwischen sogar aus Sicht der Regierung glaubhaft. Diese hatte den Führern der Opposition eine Neuauszählung der Stimmen angeboten, deren Ergebnis die Zentrale Wahlkommission in spätestens zehn Tagen vorlegen will. Eine diesbezügliche Vereinbarung hatten beide Seiten noch am Dienstagabend unterzeichnet.

Von Neuwahlen, wie sie die Aufrührer fordern, war indes nicht die Rede. Die Opposition weiß, dass sie dabei höchstens ein paar Stellen hinter dem Komma gewinnt. Denn Moldova ist – mit Ausnahme der Baltenstaaten – die einzige ehemalige Sowjetrepublik, der internationale Beobachter bereits mehrfach die Erfüllung demokratischer Standards bei Wahlen bescheinigten. Die Abstimmung am Sonntag war ihrer Meinung nach ebenfalls frei und fair. Dazu kommt, dass die Opposition hoffnungslos zerstritten ist und sich bisher weder auf ein gemeinsames Programm noch auf einen Führer verständigen konnte. Auch sind die Kommunisten keine Altstalinisten und um gleiche Nähe zu Moskau und zur EU bemüht. Beobachter in Moldova wie in Russland glauben, dass sich bei den Unruhen vor allem Frust wegen katastrophaler Wirtschaftsdaten und sozialer Grausamkeiten entlädt.

Regierung und Opposition vermerkten daher übel, dass rumänische Fernsehsender die gewaltsamen Ausschreitungen zur Revolution hochjubelten und Parallelen zu Georgien zogen. Korrespondenten berichteten, dass einige der jungen Leute direkt aus Rumänien kamen. Präsident Woronin sprach bereits von versuchtem Staatsstreich, mit dem Bukarest, selbst von schweren Problemen gebeutelt, seine Bürger ablenken wollte. Die moldovische Regierung verwies den rumänischen Botschafter des Landes.

* Aus: Neues Deutschland, 9. April 2009

Schlechte Karten

Krawalle in Moldawien

Von Werner Pirker **

Es mutet fast wie ein Kuriosum an, daß es in Europa noch ein Land mit einem kommunistischen Präsidenten und einer kommunistischen Regierungspartei gibt. Und was noch erstaunlicher ist: Bei den moldawischen Parlamentswahlen am vergangenen Sonntag wußten die Kommunisten ihre Führungsrolle auch noch zu behaupten. Das wurde der Kommunistischen Partei Moldawiens (PCRM) von ihren Gegnern sehr übelgenommen. Der antikommunistische Reflex tobte sich aus, als würde in der Republik Moldau, wie die ehemalige Sowjetrepublik Moldawien nun offiziell heißt, tatsächlich noch so etwas wie kommunistische Politik gemacht werden.

Dabei existiert die kommunistische Idee in diesem verarmten Land nur noch als Erinnerung an bessere Zeiten. Der hohe Stimmenanteil für die PCRM erklärt sich vor allem daraus, daß sie den gleichen Namen trägt wie die führende Kraft in der ehemaligen Sowjetgesellschaft. Daß der Präsident der Republik Moldau zudem ein Russe ist, läßt erkennen, daß die Mehrheit der Bevölkerung keine moldauischen Nationalisten und schon gar keine großrumänischen Chauvinisten sind. Umgekehrt hat sich Präsident Wladimir Woronin stets der staatlichen Souveränität und territorialen Einheit des Landes verpflichtet gefühlt. Doch ist es auch ihm nicht gelungen, das Transnistrien-Problem – die überwiegend von Russen und Ukrainern besiedelte sogenannte Dnjestr-Republik hat sich von Moldawien de facto abgespalten – einer Lösung zuzuführen.

In der Transnistrien-Frage mit Moskau zerstritten, hat sich die moldauische Führung für eine Schaukelpolitik zwischen Ost und West entschieden. Zwar gehört das Land der »Partnerschaft für den Frieden« an, die Option einer Vollmitgliedschaft in der NATO will Chisinau aber nicht ziehen, da die strategische Partnerschaft mit Rußland aufrechterhalten werden soll. Gegen diese außenpolitische Orientierung richtet sich neuerdings der »Volkszorn«. Die bei den Wahlen deutlich unterlegene Opposition tritt für eine ausschließliche Westorientierung ein. Den schnellsten »Weg nach Europa« sieht sie in einem Anschluß an Rumänien. Das aber würde die Spannungen zwischen der rumänischsprachigen Mehrheit und den slawischen Minderheiten bis zum Bürgerkrieg eskalieren lassen.

Die OSZE-Beobachter haben die moldauischen Parlamentswahlen als weitgehend fair bewertet. Der offizielle westliche Beitrag zur Entfaltung einer »bunten Revolution« ist hiermit ausgeblieben, was vermuten läßt, daß die großrumänischen Halluzinationen der moldauischen Opposition in den Machtzentren eher skeptisch betrachtet werden. Bukarest hat Moldawien zwar nie aus dem Blick verloren, doch erscheint es zweifelhaft, ob es sich die Übernahme des Armenhauses Europas überhaupt antun will. Auch dem Westen kann an einer Wiederbelebung des einst so brisanten »Bess­arabien-Konfliktes« nicht gelegen sein. Schlechte Karten somit für die antikommunistischen Radaubrüder von Chisinau.

** Aus: junge Welt, 9. April 2009


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