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Die Landfrage ist aktuell geblieben

Ignacio del Valle über den Widerstand gegen undemokratische Großprojekte in Mexiko *


Ignacio del Valle gehört zu den führenden Aktivisten in Mexiko für das Recht auf Land. In der Region Atenco, 35 Kilometer von Mexiko Stadt entfernt, war der Neubau eines Großflughafens auf rund 15 000 Hektar fruchtbaren Landes geplant, der aufgrund von Protesten schließlich auf Eis gelegt wurde. Der 59-jährige Siebdrucker wurde kriminalisiert, saß vier Jahre seiner 112-jährigen Haftstrafe ab. Mit ihm sprach Knut Henkel.


In Mexiko machen Großprojekte im Energiebereich Schlagzeilen. Hat Präsident Enrique Peña Nieto auch die alten Pläne zum Bau eines neuen Flughafens in San Salvador de Atenco wieder reaktiviert?

Nein, bis dato nicht, aber auszuschließen ist es nicht, denn er gehört schließlich zu denjenigen, die das Großprojekt damals realisieren wollten und uns nicht einmal nach unserer Meinung fragten, sondern mit Verordnungen, Weisungen und Enteignungen vorgehen wollten.

Sie waren einer der Koordinatoren des Widerstands – was machen Sie heute?

Oh, wir kämpfen nach wie vor für Gerechtigkeit, denn die Verbrechen, die an uns verübt wurden, sind bis heute nicht gesühnt und wir sind derzeit in Europa, um auf soziale Bewegungen in Mexiko aufmerksam zu machen und uns zu vernetzen. Wir brauchen internationale Solidarität, müssen uns gegenseitig helfen.

Wie ist denn die aktuelle Situation?

Lassen Sie uns vorne anfangen. Das internationale Flughafen-Projekt Atenco ist niemals Realität geworden, dafür haben wir mit unserem Widerstand gesorgt, der 2001 begann und 2002 einen ersten Höhepunkt erreichte. Wir sind damals von den mexikanischen Institutionen nie ernst genommen worden, man wollte über unsere Köpfe hinweg entscheiden.

Wer steckte dahinter?

Es waren Investorengruppen, die letztlich ein Auge auf unser Land geworfen hatten, die geostrategisch wichtige Region entwickeln und bebauen wollten. Die Region hätte zu einem Güter-Umschlagplatz werden können, doch traditionell ist es eine Agrarregion und daran wollten wir nichts ändern.

Warum haben Sie sich engagiert?

Ich bin kein Bauer, sondern Siebdrucker, arbeite hin und wieder auch als Lehrer, aber ich habe einen echten und engen Bezug zu dem Land meiner Ahnen, einen Bezug zum Boden. Das Land ist es, welches uns Arbeit gibt und das Leben ermöglicht. Wir haben uns gegen unsere Bevormundung gewehrt und für das Recht auf Land und den Anbau von Bohnen, Kürbis und Mais gekämpft. Das hat uns geeint, wir haben uns in der Front der Völker zur Verteidigung der Erde (FPDT) organisiert. Begonnen hat es, als wir von den Plänen der Regierung erfuhren, danach haben wir in Versammlungen auf der Straße gemeinsam entschieden uns nicht alles gefallen zu lassen.

Gab es Unterstützung auf nationaler Ebene?

Anfangs nicht, später ja, denn es kam schließlich zu handfesten Zusammenstößen, so zum Beispiel am 11. Juli 2002 als Dutzende von uns festgenommen, geschlagen und inhaftiert wurden – in dieser ersten Etappe. Dagegen haben wir uns aufgelehnt und insgesamt wurden mehr als sechshundert Aktivsten unserer Frente verfolgt, geschlagen, inhaftiert. Wir haben uns für den zivilen Ungehorsam entschieden, denn der Boden ist keine Ware.

Wofür steht das Beispiel Atenco in Mexiko ...?

Wir stehen für die Grundrechte der Bevölkerung, für das Recht auf Land, für die Forderungen der mexikanischen Revolution von 1910. Land verkauft man nicht, Land ist kollektives Eigentum, ist ein Allgemeingut und dafür stehen wir.

Landkonflikte im Kontext von Großprojekten treten häufiger auf – auch in Mexiko?

Ja, natürlich. Es gibt Konflikte in Oaxaca, nahe Juchitán, wo Windkraftanlagen installiert werden, es gibt Konflikte um thermische Kraftwerke und um den offenen Tagebau in mehreren Bundesstaaten Mexikos. Dahinter stehen oft die Interessen internationaler Investoren, denen die Regierungen auf nationaler und regionaler Ebene oft weit entgegenkommen. Dadurch wird der soziale Frieden in den Gemeinden oft empfindlich gestört.

Wie reagiert der Staat auf die zunehmenden Widerstände?

Er reagiert oft respektlos, meist repressiv und er sucht nicht den Dialog, die Partizipation mit der Bevölkerung. Das verstößt gegen die Gesetze und ist ein Akt staatlicher Arroganz. In Mexiko werden die Gesetze immer weniger respektiert, es herrscht Straflosigkeit und es werden soziale Bewegungen unterdrückt. Zudem ist die soziale Situation ausgesprochen schwierig, denn es wird teilweise gehungert, obwohl es genug zu Essen gibt. Wir haben massive Verteilungsprobleme, die Schere zwischen Arm und Reich klafft immer weiter auseinander. Davon kaum zu trennen ist die systematische Korruption, die sich immer weiter durch die Gesellschaft zieht. Die Regierungen werden zu Marionetten der einflussreichen Kreise. Unser System funktioniert nicht mehr und das lässt sich überall beobachten. Wir haben ein Defizit an Sicherheit, es fehlt an Perspektiven für die Jugend, die Frauen ...

Neue Organisationen wie die Studentenbewegung »Yo soy 132« halten dagegen oder die Aktionsfront für die Verteidigung der Kulturpflanze Mais und gegen die Genmanipulation dieser heiligen Kulturpflanze ...

Das ist richtig und wichtig, denn wir müssen für unsere Versorgung mit Nahrungsmitteln selbst einstehen, wir brauchen mehr Hilfe für das Land, weniger Importe mehr Förderung.

Eine realistische Forderung angesichts des internationalen Drucks von Seiten von Konzernen wie Monsanto?

Die sozialen Bewegungen in Mexiko zeigen, dass es nicht anders geht, dass wir uns widersetzen müssen. Dazu gibt es keine Alternativen und die Erfahrungen der EZLN in Chiapas zeigen ja, dass es auch anders geht – selbstbestimmt.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 28. Januar 2014


Schlafmohn und Gras statt Mais

Von Emilio Godoy, Mexiko-Stadt **

Während das Nordamerikanische Freihandelsabkommen (NAFTA) sein 20. Geburtsjahr begeht, erlebt Mexiko die Verdrängung seiner Kulturpflanze Mais durch Marihuana und Schlafmohn. Mit dem Umstieg reagieren kleine Produzenten auf den durch NAFTA induzierten Niedergang der internationalen Maispreise. Denn seit Inkrafttreten des Handelsvertrags zwischen Kanada, Mexiko und den USA im Januar 1994 sind die Preise für Mais und andere landwirtschaftliche Erzeugnisse drastisch gesunken. Das Nachsehen haben die mexikanischen Subsistenzbauern, die mit ihren kleinen Parzellen und geringeren Erträgen nicht mehr genug verdienen und dadurch in Abhängigkeit der Drogenkartelle geraten.

»Dies trifft vor allem für die besonders armen Anbauregionen zu. Dort sehen sich die Farmer gezwungen, sich von den örtlichen Drogenhändlern Geld zu leihen oder Land zu pachten«, berichtet Víctor Quintana, Berater der unabhängigen Demokratischen Bauernfront im nördlichen Bundesstaat Chihuahua.

Quintana führt als Beispiel den Fall der indigenen Pima in Chihuahua und dem Nachbarstaat Sonora an. Sie sind zu wichtigen Marihuana- und Schlafmohnlieferanten der Rauschgiftringe geworden, die um die Kontrolle der Rauschgifthandelsrouten in Richtung USA kämpfen. »Diese Entwicklung nahm bereits in den 1980er Jahren ihren Lauf, verschärfte sich insbesondere 2006 mit dem Vordringen der Sinaloa- und Juárez-Kartelle«, so der Experte.

Mexiko gilt als die »Wiege des Mais«. Dort wird dem »Korn der Götter« eine hohe symbolische und ernährungsrelevante Bedeutung beigemessen. Das lateinamerikanische Land produziert jährlich 22 Millionen Tonnen. Um die Binnennachfrage zu decken, müssen weitere zehn Millionen Tonnen eingeführt werden, wie Zahlen des Landwirtschaftsministeriums und lokaler Bauernverbände belegen.

Omar García Ponce vom Institut für politische Wissenschaften der Universität von New York sieht einen engen Zusammenhang zwischen dem Drogenanbau und den sinkenden Einnahmen der mexikanischen Maisbauern. Für ihn steht außer Frage, dass der Preisverfall dafür gesorgt hat, dass das Land zu einem der wichtigsten Hersteller von Marihuana und Schlafmohn geworden ist. IPS

** Aus: neues deutschland, Dienstag, 28. Januar 2014


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