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Die Rebellion gilt es zu feiern

Die Zapatisten bliesen vor 20 Jahren zum Aufstand und streben seitdem nach Autonomie

Von Luz Kerkeling *

20 Jahre nach Beginn ihres Aufstands feierten Tausende Zapatistas in Mexiko die Erfolge ihres Kampfes für Autonomie, Demokratie und Gerechtigkeit – eine Absage an eine »Modernisierung« von oben.

Alles begann mit einer Kriegserklärung: »Wir, integre und freie Männer und Frauen, sind uns bewusst, dass der Krieg, den wir erklären, das letzte, doch gerechte Mittel ist. Die Diktatoren führen seit vielen Jahren einen mörderischen, nicht erklärten Vernichtungskrieg gegen uns.« Am 1. Januar 1994, zeitgleich zum Inkrafttreten des neoliberalen Freihandelsabkommens NAFTA zwischen Kanada, Mexiko und den USA, besetzten Truppen der Zapatistischen Armee zur nationalen Befreiung (EZLN) sieben Kreisstädte in Chiapas. Zahlreiche Großgrundbesitzer flohen und ihre Ländereien wurden an Tausende zapatistische und nicht-zapatistische Familien verteilt.

Der mexikanische Staat unter dem damaligen Präsidenten Carlos Salinas reagierte mit voller Härte und schickte Zehntausende Soldaten ins südliche Aufstandsgebiet. Rund 400 Menschen, vor allem unbeteiligte Menschen aus den kleinbäuerlich-indigenen Gemeinden des Bundesstaates, kamen bei den Kämpfen ums Leben. Dabei sollen vor allem die staatlichen Sicherheitskräfte rücksichtslos vorgegangen sein, wie Menschenrechtsorganisationen kritisieren.

Die mexikanische und internationale Zivilgesellschaft nahm die Forderungen der EZLN nach Rechten auf Arbeit, Land, Unterkunft, Nahrung, Gesundheit, Bildung, Unabhängigkeit, Freiheit, Demokratie, Gerechtigkeit, Frieden, Information und Kultur mit großer Sympathie an. Sowohl in Mexiko wie auch im Ausland kam es zu mannigfaltigen Solidaritätskundgebungen. Unter diesem Druck erklärte Präsident Salinas daher nach zwölf Tagen einen Waffenstillstand. Die EZLN äußerte später, sie habe auf die dringende Aufforderung der Bevölkerung gehört und kämpft seit Mitte Januar 1994 mit zivilen Mitteln für ihre Ziele. Im Gegensatz zu traditionellen Guerillas strebt die EZLN nicht nach einer Machtübernahme, sondern nach einer Demokratisierung von unten.

Die Militarisierung des Bundesstaates hält bis heute an. Doch die Aufstandsbekämpfung hat sich ausdifferenziert. Die Zapatistas werden nicht nur mit Repression und Desinformationskampagnen in den Mainstreammedien konfrontiert, sondern auch mit Sach- und Geldschenkungen seitens der Regierung regelrecht aus ihrer Rebellion herausgekauft. Nichtsdestotrotz leben über 100 000 Zapatistas weiterhin im Widerstand und haben erfolgreich Parallelstrukturen in den Bereichen Bildung, Gesundheit, Medien, Produktion, Rechtsprechung und Verwaltung aufgebaut.

Die Bewegung, deren Basis unterschiedlichen Maya-Bevölkerungsgruppen angehört, wird immer wieder als fortschrittsfeindlicher und rückständiger Gesellschaftssektor stigmatisiert, da die Zapatistas bis heute Widerstand gegen neoliberale Entwicklungsprojekte wie Ölpalmenmonokulturen, Gentechnik, Staudämme und Tagebau leisten. In einem Kommuniqué vom Dezember 2013 brachte Subcomandante Marcos, Sprecher der EZLN, die unterschiedlichen Konzepte von Entwicklung auf den Punkt, indem er das Bild eines Zuges nutzte. In seinem Gleichnis fragen unreflektierte Modernisierungsbefürworter: »›Warum bleiben sie (die Indigenen) am Bahnsteig und steigen nicht in den Zug ein? Oder: Ein weiterer Beweis dafür, dass die Indigenen dort sind, wo sie sind, ist, dass sie keinen Fortschritt wollen. Ein anderer sagt gar: Hast Du gesehen, welch komische Kleider die noch immer tragen?‹ Die Zapatistas entgegnen darauf: Aber wenn uns jemand fragen würde, warum wir nicht in den Zug einsteigen, dann würden wir antworten: Weil die Stationen, die kommen, ›Untergang‹, ›Krieg‹, ›Zerstörung‹ und die Endstation ›Katastrophe‹ heißen. Die anstehende Frage lautet nicht, warum wir nicht einsteigen, sondern warum sie nicht aussteigen.«

Die Zapatistas bilden so neben den kleinbäuerlichen Organisationen, die im Netzwerk La Vía Campesina zusammengeschlossen sind, eine der weltweit größten Bewegungen, die im Alltag antisystemischen Widerstand leisten und auf Post-Wachstums-Konzepte setzen, um auch zukünftigen Generationen ein Leben auf dem Planeten Erde zu ermöglichen.

Immer wieder wird die Bewegung auf die indigene Frage reduziert, dabei hat die EZLN vier mexikoweite und diverse globale Initiativen gestartet, um eine basisdemokratische Vernetzung unabhängiger sozialer Bewegungen zu fördern. Dies ist keineswegs immer gelungen. In der institutionellen mexikanischen Linken ist die EZLN durchaus umstritten, da sie einen strikt außerparlamentarischen Kurs verfolgt und dem sozialdemokratischen Kandidaten Andrés Manuel López Obrador bei den Präsidentschaftswahlen von 2006 und 2012 die Unterstützung verweigert hat.

In den 27 autonomen Landkreisen, in denen die EZLN Präsenz in rund 1000 Gemeinden hat, strebt die Bewegung nach einer basisdemokratischen Selbstverwaltung im Alltag. Am 31. Dezember feierten Zehntausende Zapatistas und Gäste aus dem In- und Ausland in den fünf Verwaltungszentren der Bewegung den 20. Jahrestag des Aufstands. Dabei betonte Comandanta Hortensia selbstbewusst, dass der Aufbau der unabhängigen Strukturen weitergehe: »Der Aufbau unserer Autonomie, diese Praxis der Demokratie, der Freiheit, der Gleichheit und der Gerechtigkeit geht weiterhin ihren Weg und niemand kann dies aufhalten. Vor 20 Jahren hatten wir nichts, keine Gesundheitsversorgung und keine Bildungsangebote, die der Bevölkerung genutzt hätten. Keine Gemeinde konnte ihre eigenen Amtsträger benennen, wenn sie nicht von den Parteien anerkannt waren. Aber heute haben unsere Gemeinden ihre autonomen Regierungen auf lokaler, regionaler und Zonenebene. Es fehlt noch viel, aber wir sind sicher, dass unser Kampf weitergehen wird.« Eines der jüngsten Kommuniqués von Subcomandante Marcos schloss dementsprechend mit den Worten: »Die Rebellion ist eine Errungenschaft der Menschheit. Es gilt sie zu feiern – jederzeit!«

[Surftipp: www.chiapas.eu]

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 7. Januar 2014


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