Die Grenze
An den Sperranlagen zwischen Mexiko und den Vereinigten Staaten findet ein permanenter Krieg gegen Flüchtlinge aus Lateinamerika statt
Von Ulla Jelpke *
In dem gerade in den Kinos angelaufenen Science-Fiction-Film »Monsters« breiten sich krakenähnliche Wesen rasend schnell in Mexiko an der Grenze zu den USA aus. Mit dem Bau einer gigantischen Sperrmauer läßt die US-Regierung die »infizierte Zone« vollständig abriegeln. Unschwer kann man darin eine Anspielung auf die reale Grenzsituation zwischen Mexiko und den USA erkennen. »Monster« sind es allerdings nicht, die von Mexiko aus in die USA dringen – sondern Armutsflüchtlinge aus Lateinamerika, die einen Teil des »american dream« für sich beanspruchen, und Drogenschmuggler, die blutig um ihren Anteil an dem einträglichen Geschäft kämpfen.
Perfekte Grenzbefestigungen existieren hier an der Schnittstelle von dritter und erster Welt bereits heute – mit überaus tödlichen Folgen. An der 3144 Kilometer langen Grenze zwischen dem Golf von Mexiko und dem Pazifik kommen jedes Jahr mehr Menschen beim illegalen Grenzübertritt ums Leben als während der gesamten Zeit an der deutsch-deutschen Grenze. Allein 2009 waren es laut US Border Patrol 417 Menschen. Gleichzeitig wurden 556000 Migranten beim illegalen Überqueren der Grenze festgenommen. Im vergangenen Jahr waren es bis Herbst, offenbar auch aufgrund einer weiteren Militarisierung der Grenze, erst rund 292000. Bis Herbst wurden fast 400000 Einwanderer ohne Papiere aus den USA abgeschoben. Dennoch gelingt es jedes Jahr Hunderttausenden Armutsflüchtlingen, ohne gültige Papiere und unerkannt vom Grenzschutz über die Grenze zu gelangen. »In der globalisierten Welt von heute sind Mexikaner im arbeitsfähigen Alter durch die öffentliche Unsicherheit und die grassierende Armut gezwungen, außerhalb ihrer Heimat nach Chancen zu suchen«, erläutert der Rechtswissenschaftler Professor James M. Cooper von der California Western School of Law in San Diego die Hintergründe der riskanten Flucht ins »gelobte Land«.[1]
Fluchtgrund Neoliberalismus
Am 1. Januar 1994 trat das Nordamerikanische Freihandelsabkommen (NAFTA) mit der Abschaffung von Zöllen und anderen Handelshemmnissen zwischen den USA, Kanada und Mexiko in Kraft. Es war kein Zufall, daß am selben Tag der Aufstand der Zapatistas in Chiapas begann. Die Rebellen hatten die zerstörerische Wirkung dieses Abkommens zwischen ungleichen Partnern für die mexikanische Wirtschaft – insbesondere für die Klein- und Subsistenzlandwirtschaft und die indigene Bevölkerung – richtig eingeschätzt. Zwar hat sich seit Inkrafttreten des NAFTA der Handel zwischen Mexiko und Nordamerika verdreifacht. Doch die Profiteure sind multinationale Unternehmen wie große Transportdienstleister, Import-Export-Firmen, Versicherungen, Agrarproduzenten und Hersteller mit Bedarf an einfachen und billigen Arbeitskräften. Im Sinne der neoliberalen Doktrin wurden in Mexiko der Dienstleistungssektor und die Landwirtschaft für ausländisches Kapital geöffnet und staatliche Subventionen für Grundnahrungsmittel abgeschafft. Gegenüber den nach Mexiko drängenden Agrarmultis einschließlich ihrer monopolistischen Lieferketten waren die kleinen Bauern chancenlos. Die ehemalige »Kornkammer« Mexiko muß mittlerweile ein Drittel des Maisbedarfs im Ausland einkaufen. Über eine Million Kleinbauern gaben innerhalb der letzten zwanzig Jahre ihr Ackerland auf und suchten ihr Glück im Moloch von Mexiko-Stadt oder gleich in den USA. Bekommt ein Arbeiter in Mexiko sieben Dollar für einen achtstündigen Arbeitstag, so kann er in den USA diese Summe in einer Stunde verdienen, weist der mexikanische Generalkonsul in Phoenix, Arizona, Victor Manuel Trevino Escudero, auf das massive Einkommensgefälle hin. Die Grenzregion mit ihren zwölf Millionen Einwohnern sei faktisch ein gemeinsamer Wirtschaftsraum »Amexika«, doch ein Konstruktionsfehler des NAFTA sei, daß es zwar die Freihandelszone, aber keine Freizügigkeit für die Menschen gebe, kritisiert der Konsul. Der Ruf nach einer offenen Grenze werde mittlerweile auch unter Bewohnern des Grenzgebiets auf US-Seite laut. In der gegenwärtigen Situation allerdings bleibt vielen Mexikanern nur der illegale Grenzübertritt oder der Aufenthalt ohne Papiere nach Ablauf ihrer Touristenvisa in den USA. Durch die Militarisierung der Grenze blieben viele Mexikaner praktisch in den Vereinigten Staaten stecken, meint Escudero. Anders als früher besuchen sie nicht mehr an Feiertagen ihre Familien in Mexiko – aus Angst, nie mehr in die USA zurückkehren zu können.
Kriminalisierung der Migration
Der Grenzverlauf ist seit dem Frieden von Guadalupe Hidalgo 1848, in dem Mexiko u.a. zum Verkauf der heutigen US-Bundesstaaten Arizona, Texas, Utah, Kalifornien, Nevada und New-Mexiko gezwungen wurde, und dem sogenannten Gadsden-Kauf von 1853 unverändert. Der Beginn der Abschottungspolitik begann in den 1960er Jahren und richtete sich damals gegen Wanderungsbewegungen mexikanischer Landarbeiter. Als im Zuge der weltweiten neoliberalen Wende auch in Mexiko Anfang der 80er Jahre Deregulierungsmaßnahmen zum Abbau von Arbeitsplätzen und Sinken der Reallöhne führte, kam es zu einer ersten größeren Migrationswelle, die durch die Folgen der Wirtschaftskrise und der Auslandsverschuldung Mexikos weiter anwuchs. Dazu kamen Bürgerkriegsflüchtlinge aus verschiedenen zentralamerikanischen Staaten wie Nicaragua oder El Salvador.
Nach fünfzehnjähriger parlamentarischer Debatte verabschiedete der US-Kongreß 1986 das Gesetz zur Immigrationsreform und Kontrolle (IRCA). Dabei handelte es sich um einen Kompromiß zwischen Liberalen, die eine Legalisierung illegaler Einwanderer erreichen wollten, und rechten Abgeordneten, protektionistischen Gewerkschaften und der Reagan-Regierung, die auf Abschottung setzten. Wer mit Stichtag 1.1.1982 einen fünfjährigen Aufenthalt in den USA vorweisen konnte oder innerhalb des vorangegangenen Jahres mindestens 90 Tage als Saisonarbeiter in der Landwirtschaft gearbeitet hatte, bekam einen legalen Aufenthaltsstatus. Rund drei Millionen Einwanderer ohne Papiere nutzten diese Legalisierung und konnten den Antrag auf die US-Staatsbürgerschaft stellen, doch weitere drei Millionen »Illegale« blieben von der »Amnestie« unberührt. Weiterhin erleichterte das IRCA Sanktionen gegen US-Unternehmen, die wissentlich illegale Migranten beschäftigten. Die Strafhöhe reichte bis zu 10000 Dollar pro illegalem Beschäftigungsverhältnis und Haft im Wiederholungsfall, während den festgenommenen Arbeitern ohne Papiere die Abschiebung drohte. Solche Sanktionen waren unter anderem vom Gewerkschaftsdachverband AFL-CIO gefordert worden, um zu verhindern, daß ausländische Billigarbeiter »amerikanischen Arbeitern« die Jobs wegnähmen.
Der zentrale Teil des IRCA betraf die Militarisierung der US-mexikanischen Grenze. Zwischen 1993 und 1999 verdreifachte sich das Budget für die Grenzsicherung auf 4,2 Milliarden US-Dollar. 2006 beschloß der Senat unter dem damaligen Präsidenten George W. Bush, zum »Schutze des amerikanischen Volkes« einen rund 1100 Kilometer langen Grenzstreifen mit Mauern und Stahlzäunen zu versehen. In vier US-Bundesstaaten, die an Mexiko grenzen, wurden im Rahmen der offiziell mit der Abwehr von Terroristen oder Massenvernichtungswaffen begründeten Operation »Jump Start« zusätzlich zum Grenzschutz 6000 Nationalgardisten stationiert, die beim Bau der Sicherungsanlagen und der Jagd auf illegale Einwanderer mithalfen. Der mexikanische Präsident Felipe Calderón verglich den Schutzwall mit der Berliner Mauer, und die Menschenrechtsorganisation Amnesty International beklagte eine »Kriminalisierung der Migration«. An der Grenze von Arizona – wo die Grenzlinie unter anderem durch eine große »indianische Reservation« mit Siedlungsgebieten beiderseits der Grenze geht, wurde ein »virtueller Zaun« aus Wachtürmen mit modernster Überwachungstechnik errichtet. Bis 2014 soll die gesamte Grenze von Tijuana im Westen bis Matamoros im Osten Mexikos mit Hochtechnologie aufgerüstet werden.
Während eine von Bush angestoßene Einwanderungsreform, die in Fortführung des IRCA illegal in den USA Lebenden zur Staatsbürgerschaft verhelfen sollte, seit 2007 auf Eis liegt, geht die Militarisierung der Grenze auch unter Präsident Barack Obama unvermindert weiter. Erneut wurden 1200 Angehörige der Nationalgarde – offiziell zum Kampf gegen Drogenschmuggel – an die Grenze geschickt. Auch der österreichische Einwanderer und jetzige Gouverneur von Kalifornien, Arnold Schwarzenegger, entsandte rund 220 Nationalgardisten. Im August 2010 stellte der US-Kongreß weitere 600 Millionen Dollar für Maßnahmen gegen die illegale Einwanderung von Arbeitssuchenden aus Lateinamerika bereit. Mit dem Geld sollen der Einsatz von 1500 zusätzlichen Sicherheitsbeamten, die Anschaffung unbemannter Überwachungsdrohnen sowie die Unterstützung von ballistischen und DNA-Analysen durch die mexikanische Polizei ermöglicht werden. Finanziert werden die Maßnahmen vor allem durch die um 2000 Dollar erhöhten Visagebühren für Firmen, die ausländische Zeitarbeiter für befristete Berufseinsätze anstellen. Heimatschutzministerin Janet Napolitano verteidigte dies gegenüber Kritik aus Indien, woher jedes Jahr Tausende Zeitarbeiter kommen, mit dem Hinweis, die Grenzsicherung dürfe das Haushaltsdefizit der USA nicht weiter belasten.
Rassismus und Gewalt
Auch innerhalb der USA nimmt die rassistische Kontrolle zu. Das im Bundesstaat Arizona beschlossene Einwanderungsgesetz AZ SB 1070 ermächtigt die Polizei, »auffällig aussehende« oder Dialekt sprechende Personen auf Verdacht zu kontrollieren und festzuhalten, um ihren Aufenthaltsstatus zu überprüfen. Von einem Bundesgericht wurden Teile dieses auch legal in den USA lebende Lateinamerikaner diskriminierenden Gesetzes im August 2010 vorerst ausgesetzt. Doch die republikanische Gouverneurin von Arizona, Janice Brewer, will notfalls bis vor den obersten Gerichtshof ziehen. Aufgrund des Gesetzes ist es nun strafbar, illegale Einwanderer im Wagen mit- oder bei sich aufzunehmen. Dies betrifft auch kirchliche Hilfsorganisationen, die regelmäßig halb verdurstete Flüchtlinge aus der glühend heißen Sonora-Wüste retten.
Aufgrund der Hochrüstung der Grenzbefestigungen ist es heute nur noch unter Lebensgefahr möglich, illegal die Grenze zu überqueren. Immer mehr Migranten verdursten bei der Durchquerung der Wüste oder ertrinken beim Durchschwimmen des Rio Bravo (in den USA: Rio Grande). In den armen mexikanischen Landesteilen sind viele Dörfer an Schlepperorganisationen angeschlossen, die Migrationswillige bis ins Innere der USA bringen. »Coyotes« – professionelle Schleuser – nehmen je nach Leistung und Strecke zwischen 700 und 5000 Dollar pro Person, wovon ein Teil als Bestechung an US-Grenzschützer geht. Um das Geld zusammenzubekommen, müssen viele Flüchtlinge als Drogenkuriere arbeiten oder werden noch in den USA zur Prostitution gezwungen. Manchmal lassen die Schleuser die Flüchtlinge auch hilflos im Gebirge oder in der Wüste zurück und verschwinden mit dem Geld, oder sie kooperieren mit Räuberbanden. Solche Banden überfallen Flüchtlinge, rauben sie aus und ermorden oder entführen sie. So fand die Polizei vor einigen Monaten auf einer Ranch im mexikanischen Grenzgebiet Dutzende verschleppter Menschen. Ihre Entführer hatten sie gezwungen, bei Verwandten in den USA anzurufen und ein Lösegeld zu fordern. Wird nicht gezahlt, drohen Folter und auch Tod. Allein 2009 wurden in Mexiko 20000 Migrationswillige im Grenzgebiet entführt. »Ein Staatsanwalt untersucht solche Gewalttaten«, berichtet der WDR am 3. Oktober 2010 in einer Fernsehdokumentation. »Er beklagt die Doppelmoral seiner Landsleute – man beschwere sich über die USA an der Nordgrenze, dabei sei das eigene Verhalten viel schlimmer. ›Wir hatten hier eine Spezialeinheit bei der Polizei, die gegen die Mara-Banden ermitteln sollte. Wir mußten dann aber feststellen, daß diese Polizisten selbst Migranten erpreßt haben.‹«
Wer den Fängen der US-Grenzbeamten und den kriminellen Banden entkommen ist, läuft Gefahr, von rassistischen Bürgerwehren im Stil des Ku-Klux-Klan gejagt und gelyncht zu werden, die sich in den Südstaaten der USA gegen Einwanderer gebildet haben. Nathan Gray, Befehlshabender Agent der US-Bundespolizei FBI in Phoenix/Arizona, nennt solche Milizen, die seit Amtsantritt von Präsident Obama wieder stärkeren Zulauf verzeichnen, eine »nationale terroristische Bedrohung«. Bei dem größten Massenmord des vergangenen Jahres wurden 72 mittelamerikanische Migranten auf einer Ranch erschossen, weil sie sich geweigert hatten, für ein Drogenkartell zu arbeiten.
Menschenrechtsorganisationen befürchten eine weitere massive Zunahme der Grenztoten, da Flüchtlinge immer gefährlichere Fluchtrouten wählen müssen. Fraglich ist indessen, inwieweit von US-Unternehmern überhaupt eine wirkliche Verringerung der illegalen Arbeitsmigration erwünscht ist. »They work hard and scared« – »Sie arbeiten hart und angsterfüllt«, loben Unternehmer unter der Hand die aus Furcht vor einer Entdeckung und der drohenden Abschiebung rechtlos zu Billigstlöhnen und schlechtesten Arbeitsbedingungen schuftenden Menschen. Tatsächlich sind illegale Arbeitsmigranten längst ein unverzichtbarer Bestandteil des US-Arbeitsmarktes geworden: als Tagelöhner im Bau- oder Putzgewerbe, als Haushaltshilfen oder Kindermädchen oder in den Sweatshops der Textilindustrie, die so mitten in den USA mit den Produktionsstätten in der Dritten Welt konkurrieren können.
Drogenkrieg
In Mexiko tobt im Grenzgebiet ein blutiger Kampf zwischen den Drogenkartellen und der Armee sowie unter den Narcotraficantes (Drogenhändler) um die Kontrolle der Schmuggelrouten. Seit den 80er Jahren stellt der illegale Drogenhandel mit heute zwischen 30 und 50 Milliarden Dollar Jahresgewinn einen wichtigen Posten für die mexikanische Wirtschaft dar. So kommen nach der verstärkten Bekämpfung des Schmuggels über die Karibik etwa 90 Prozent des in den USA verkauften und meist aus Kolumbien stammenden Kokains über Mexiko ins Land. Mexikanische Drogenkartelle dominieren auch den Handel mit Metamphetamin, Marihuana, Heroin und Amphetaminen in den USA. Der Drogentransport geschieht mit Rucksäcken und Autos, aber auch mit Ultraleichtflugzeugen. US-Behörden haben seit Anfang der 90er Jahre mehr als 125 Drogentunnel unter der Grenze entdeckt, die teilweise auch für den Menschenschmuggel benutzt werden. Erst Ende November fanden Drogenfahnder in einem 670 Meter langen und bis zu 24 Meter tiefen Stollen, der von einer Küche in einem Haus im mexikanischen Tijuana zu einem Lagerhaus in San Diego führt, 20 Tonnen Cannabis. Die mit Lüftung, Beleuchtung und Schienen für den schnellen Transport ausgestatteten Tunnel kosten manchmal mehr als eine Million Dollar, führt Matt Allen, Special Agent der Homeland Security in Arizona, aus. Daß die Schmuggler zu diesen Mitteln greifen müßten, sei auf die verbesserte Grenzsicherung zurückzuführen. Er sehe dies als Erfolg, da es gelungen sei, die Kosten für das Schmuggelbusineß in die Höhe zu treiben. Im Jahr 2009 wurden 36332 Personen wegen Drogenschmuggels verhaftet und 20 Tonnen Kokain, 1385 Tonnen Marihuana, 665 Kilogramm Opiumsaft und 277 Kilogramm Heroin beschlagnahmt.
Im Gegenzug zu Drogen werden nach Schätzungen der mexikanischen Regierung täglich bis zu 2000 Waffen, darunter Sturmgewehre, Granaten und Handfeuerwaffen, aus den USA nach Mexiko geschmuggelt. Innerhalb weniger Wochen seien etwa 11000 AK-47-Kalaschnikow-Schnellfeuergewehre beschlagnahmt worden, berichtete ein Beamter der US Border Patrol Mitte Oktober.
Nachdem die mexikanische Polizei vor den Drogenbanden kapitulierte oder gleich gemeinsame Sache mit den Banditen machte, hat die mexikanische Regierung im Jahr 2006 mehr als 40000 Soldaten losgeschickt. Zwischen US-Präsident Bush und seinem mexikanischen Amtskollegen Calderón wurde im März 2007 ein als Mérida-Initiative bezeichnetes Hilfspaket zur technischen Ausrüstung und verbesserten Ausbildung der mexikanischen Sicherheitskräfte gegen Drogenbanden und mutmaßliche »Terroristen« vereinbart. Sogar ein U-Boot hat Mexiko angefordert. Ein Großteil der Ausrüstung soll direkt an der Grenze zum Einsatz kommen. »Die Mérida-Initiative ist so etwas wie die mexikanische Version dessen, was zuvor Kolumbien zuteil geworden ist: Der Gegenwert von fünf Milliarden Dollar an schwarzen Helikoptern und anderer High-Tech-Ausrüstung einschließlich Flugzeugen und Satelliten zur Überwachung von Drogenrouten. Man könnte deshalb von einem Plan ›Kolumbien Light‹ sprechen, wenn auch mit weniger Todesschwadronen«, schreibt treffend James M. Cooper.[2] Menschenrechtsorganisationen werfen der Armee allerdings massive Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung vor. Bislang wurden mehr als 1500 Beschwerden bei der mexikanischen Menschenrechtskommission vorgebracht.
Grenze zwischen oben und unten
Seit Beginn der Militäroffensive im Dezember 2006 starben über 23000 Menschen im Drogenkrieg. Die Gewalt südlich der Grenze habe unvorstellbare Ausmaße angenommen, meint FBI-Agent Nathan Gray in Phoenix. Die Gewalt werde von Drogenkartell gegen Drogenkartell, von den Kartellen gegen die Regierung, innerhalb der Kartelle und von Gangs gegen Gangs ausgeübt. Für die meisten Gewalttaten sei das Sonora-Drogenkartell verantwortlich. Allein in Ciudad Juárez starben im vergangenen Jahr über 3000 Menschen eines gewaltsamen Todes im Krieg der Kartelle. Die Opfer werden bis zur Unkenntlichkeit mit Maschinengewehrfeuer zersiebt, ihnen werden die Köpfe abgeschnitten, sie werden in Salzsäure aufgelöst oder lebendig in der Wüste verscharrt. Jedes Kartell hat seine eigene Handschrift. Im Zusammenhang mit dem Drogenkrieg wurden 2010 auch 13 Bürgermeister und der schon als Wahlsieger gehandelte Gouverneurskandidat der Partei der Institutionellen Revolution des Bundeslandes Tamaulipas, Rodolfo Torre, ermordet. Eine Mitarbeiterin des US-Konsulats und ihr Ehemann starben bei einem gezielten Angriff auf ihr Auto im März 2010. Landesweit wurden im vergangenen Jahr zudem etwa 2000 Polizisten und Soldaten getötet.
US-Außenministerin Hillary Clinton hat bereits 2009 beim Besuch in Mexiko eine Mitschuld der USA eingeräumt: »Unsere unersättliche Nachfrage nach Drogen nährt den Drogenhandel. Unsere Unfähigkeit, den Waffenschmuggel über die Grenze zu unterbinden, führt zum Tod von Polizisten, Soldaten und Zivilisten.« Was die US-Außenministerin nicht sagt: Es ist vor allem die von dem Koloß im Norden den Ländern des Südens wirtschaftlich und militärisch aufgezwungene neoliberale Wirtschaftspolitik, die die Menschen durch Drogenhandel oder illegale Migration einen Ausweg aus der Armut suchen läßt. Die Grenzen verlaufen nicht zwischen den Völkern, sondern zwischen oben und unten. Dies wird hier an der mexikanisch-nordamerikanischen Grenze besonders deutlich vor Augen geführt.
Anmerkungen-
James M. Cooper: Schwierige Beziehung: Die US-Mexikanische Grenze im Jahr 2010, KAS Auslandsinformationen 10/2010, S.51.
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Ebda, S.58
* Die Autorin ist innenpolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke im Bundestag. Sie nahm vom 11. bis 20. Oktober 2010 an einer Delegationsreise des Innenausschusses in die USA mit den Themenschwerpunkten »Bekämpfung der illegalen Immigration, des Terrorismus und der organisierten Kriminalität« teil.
Aus: junge Welt, 7. Januar 2011
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