Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Terror gegen Streikende

Militär und Polizei gegen Minenarbeiter in Mexiko

Von Andreas Knobloch *

Zu schweren Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und Minenarbeitern kam es am vergangenen Freitag (11. Jan.) in Cananea im Bundesstaat Sonora im Norden Mexikos. Mindestens 800 Einsatzkräfte von Polizei und Militär versuchten, die von mehreren hundert Minenarbeitern blockierten drei Hauptzugänge der Mine von Cananea zu räumen, nachdem zuvor das Bundesschiedsgericht (JFCA -- Junta Federal de Conciliación y Arbitraje) einem Antrag der Regierung stattgegeben und den seit dem 30. Juli 2007 andauernden Streik der Minenarbeiter für illegal erklärt hatte. Bei den Zusammenstößen wurden mindestens 40 Arbeiter verletzt -- fünf von ihnen mußten im Krankenhaus behandelt werden --, fünf wurden verhaftet, nach 17 Stunden jedoch wieder freigelassen, und von fünf weiteren, darunter der Ehefrau eines Arbeiters, fehlte am Sonntag noch jede Spur, wie ein Sprecher der Minenarbeitergewerkschaft mitteilte.

Obwohl das Gericht in Mexiko-Stadt seine Entscheidung erst am Freitag mittag (11. Jan.) offiziell bekanntgab und den Arbeitern eine 24-Stunden-Frist einräumte, um den Streik zu beenden und an die Arbeit zurückzukehren, waren schon seit dem frühen Morgen mehrere LKW mit Polizisten und Militär vor der Mine aufgefahren. Wegen der zunehmenden Spannungen blieben viele Schulen und Geschäfte geschlossen, und die Bewohner des Ortes blieben in ihren Häusern. Bereits gegen zehn Uhr, also noch vor der offiziellen Urteilsverkündung, begannen die Einsatzkräfte mit den ersten Angriffen auf eines der geschlossenen Tore. Dabei wurden Tränengas und Gummigeschosse eingesetzt. Die gewalttätigen Auseinandersetzungen erreichten ihren Höhepunkt am frühen Nachmittag, ehe die Arbeiter aufgaben, auch um weitere Verletzte und eventuelle Todesopfer zu vermeiden.

Die nationale Metallarbeitergewerkschaft SNTMMSRM legte umgehend Berufung gegen das Urteil des JFCA ein. Eine Entscheidung stand bis zum Redaktionsschluß am Montag noch aus. Gouverneur Eduardo Bours verteidigte derweil das harte Vorgehen der Einsatzkräfte damit, daß sie den nichtstreikenden Arbeitern den Zutritt zur Mine ermöglicht hätten. Das Bergbauunternehmen Grupo Minero México ließ verlauten, daß der nun 165 Tage andauernde Streik bereits 500 Millionen US-Dollar Verluste bedeuten würde. Die Arbeiter der Sektion 65 hatten am 30. Juli vergangenen Jahres die Arbeit auf unbestimmte Zeit niedergelegt und bessere hygienische und Sicherheitsbedingungen gefordert.

Bereits in einem früheren Verfahren hatte das JFCA den Streik für unzulässig erklärt; im Berufungsverfahren aber war dann den Minenarbeitern recht gegeben worden. Das Gericht berief sich in seinem neuerlichen Urteil nun darauf, daß bei der Entscheidung zum Streik nicht alle Arbeiter anwesend waren, so der Anwalt der Minengewerkschaft, Juan Rivero Legarreta, der dieses Argument aber zugleich als »unhaltbar« und »kindisch« zurückgewies.

Mitglieder der sozialdemokratischen PRD, die in Mexiko-Stadt den Regierenden Bürgermeister stellt und drittstärkste Kraft im mexikanischen Parteienspektrum ist, kritisierten vor allem die Haltung der Regierung in dem Konflikt, die sich klar zur Fürsprecherin der Unternehmensinteressen gemacht habe. Mit dem Einsatz von Gewalt habe die Regierung Felipe Calderón zudem gezeigt, »daß sie nicht gewillt ist, soziale Konflikte politisch und durch Dialog zu lösen«, so Senator Carlos Navarrete. Dies sei das Zeichen an alle anderen sozialen Organisationen, das von der gewaltsamen Niederschlagung des Bergarbeiterstreiks in Cananea ausgehe. Auch Menschenrechtsgruppen kritisierten die Politik der Einschüchterung und Kriminalisierung von sozialen Protesten durch die Regierung und forderten eine Untersuchung des Polizeieinsatzes.

Derweil setzen die Minenarbeiter von Taxco im Bundesstaat Guerrero ihren ebenfalls seit dem 30. Juli 2007 andauernden Ausstand fort. Sie fordern unter anderem 20 Prozent mehr Lohn, Bonuszahlungen und bessere Sicherheitsbedingungen. In einer Grußadresse erklärten sie sich mit den Arbeitern von Cananea solidarisch.

Das kleine Cananea unweit der US-amerikanischen Grenze hatte schon einmal landesweite Aufmerksamkeit erregt. Ein Aufstand der Minenarbeiter am 1. Juni 1906 hatte nicht zuletzt den Ausbruch der mexikanischen Revolution beschleunigt.

* Aus: junge Welt, 15. Januar 2008


Zurück zur Mexiko-Seite

Zurück zur Homepage