Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Von Reformern und Revolutionären

Politikwissenschaftler Albert Sterr liefert einen gelungenen Überblick über Mexikos Linke

Von Manuel Burkhardt *

Mexiko hat ein sehr heterogenes Spektrum an linken Kräften vorzuweisen. Der Nürnberger Politikwissenschaftler Albert Sterr hat Mexikos Linke zum Thema seines neuesten Buchs gemacht.

Gegen den lateinamerikanischen Trend der letzten Jahre, der zu Regierungen geführt hat, die zumindest ihrem Eigenverständnis nach links sind, ist in Mexiko eine offen rechte Partei an der Macht. Die seit dem Jahr 2000 regierende Partei der Nationalen Aktion (PAN) ist wirtschaftspolitisch neoliberal, gesellschaftspolitisch strikt konservativ und im Umgang mit sozialen Konflikten vor allem repressiv. Ist Mexikos Linke also erstarrt? Nein, denn vielleicht gerade wegen diesen Bedingungen weist Mexiko wie kaum ein anderes Land ein lebendiges, heterogenes Spektrum an linken Kräften auf, das der Nürnberger Politikwissenschaftler Albert Sterr zum Thema seiner neuesten Publikation gemacht hat. Sterr stellt in komprimierter Form die wichtigsten oppositionellen Kräfte – von Parteien über soziale Bewegungen bis zu Guerillas – vor, ordnet sie typologisch ein und ist um eine nachvollziehbare Einschätzung ihrer Relevanz bemüht. Somit bietet das Buch auch einem breiten Leserkreis einen guten Überblick.

Einen Schwerpunkt seiner Arbeit bildet die Auseinandersetzung mit der linkszentristischen Partei der Demokratischen Revolution PRD. Deren letzter Präsidentschaftskandidat Andrés Manuel López Obrador, AMLO genannt, unterlag in den von vielen als manipuliert bezeichneten Wahlen 2006 dem PAN-Kandidaten Felipe Calderón äußerst knapp. Sterr zeichnet die innerparteilichen Konfliktlinien nach und wie sie sich strategisch gegenüber der Regierung verhält. Während der parlamentarische Flügel prinzipiell innerhalb der staatlichen Institutionen Politik machen will und zur punktuellen Zusammenarbeit mit der Regierung bereit ist, lehnt der Flügel um AMLO dies mit Verweis auf deren »illegitimen Charakter« ab. Stattdessen setzt AMLO, der sich von seinen Anhängern zum »legitimen Präsidenten« ernennen ließ, auf außerparlamentarische Arbeit wie beispielsweise die Bewegung gegen die Privatisierung des staatlichen Ölkonzerns Pemex oder den Nationalen Demokratischen Konvent CND, der durch Bündelung der außerparlamentarischen Opposition eine Gegenmacht etablieren soll. Im Zusammenspiel mit dem gewerkschaftlichen Debattenforum Nationaler Dialog DN erkennt Sterr im CND den derzeit einzigen potenziellen Träger einer »reformorientierten sozialen Massenbewegung«.

Die Zapatistas hingegen handelt Sterr dagegen relativ knapp ab und spart nicht mit Kritik an deren Taktik der letzten Jahre. Ihre pauschale Ablehnung der PRD, die damit zusammenhängende Nichtbeteiligung am CND und das lange Schweigen zu der Volksbewegung in Oaxaca ab 2006 bedeuteten eine »sektiererische Wendung«, die die Zapatistas deutlich an Einfluss gekostet habe. Als scheinbar paradox erkennt Sterr den Umstand, dass die auf bewaffnete Aktionen setzenden anderen Guerillas einen differenzierteren Umgang mit der PRD und anderen gemäßigten Linken pflegen.

Es scheint, als räume der Autor eben diesen diversen Guerillabewegungen überproportional viel Platz zu ihrer Bedeutung ein. Denn die meisten dieser Gruppierungen dürften auch in Mexiko recht unbekannt sein. Doch ist es Sterrs erklärte Absicht, eine breite Informationsgrundlage zu liefern, auf welcher die Leser seine Einschätzungen nachvollziehen können. Dabei gesteht er einigen der Gruppen durchaus das Potenzial zu, sich zu einer Art »ländlichen Vetomacht« zu entwickeln, die im Falle einer flexiblen Bündnispolitik auch auf die Bundespolitik Einflusschancen hätte.

Sterr, Albert: Mexikos Linke – Ein Überblick. Soziale Bewegungen, Guerillagruppen und die »Andere Kampagne« der Zapatisten, Köln 2008, 216 Seiten, 22 Euro.

* Aus: Neues Deutschland, 7. April 2009


Zurück zur Mexiko-Seite

Zurück zur Homepage