Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Geschenke für den Papst?

Mexikanische Bürgerrechtler: Verfassungsänderungen bedrohen laizistischen Staat

Von Andreas Knobloch, Mexiko-Stadt *

Mit den Stimmen der Institutionellen Revolutionären Partei (PRI) und der regierenden rechtsgerichteten Partei der Nationalen Aktion (PAN) haben zwei Kommissionen des mexikanischen Senats in der vergangenen Woche der Änderung der Verfassungsartikel 24 und 40 zugestimmt. Diese regeln die freie Religionsausübung sowie die Trennung von Staat und Kirche. Daß letztere weiterhin gewährleistet ist, bezweifeln Bürgerrechtsgruppen, die vor dem neuen Senatsgebäude im Zentrum von Mexiko-Stadt gegen die Modifizierungen demonstrierten. Die Abstimmung im Senat steht zwar noch aus; nach der Entscheidung der Kommissionen dürfte die Zustimmung aber reine Formsache sein.

Vor allem die Debatte um Artikel 24 wurde in den Ausschüssen hitzig geführt. PRI- und PAN-Senatoren mußten sich von ihren Kollegen der gemäßigt linken Partei der Demokratischen Revolution (PRD) anhören, »Benito Juárez zu verraten« und zu »freigiebig« gegenüber der Katholischen Kirche zu sein. Juárez war in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Präsident Mexikos und gilt als einer der größten Reformer des Landes. Noch als Justizminister erließ er Reformgesetze u.a. zur Trennung von Staat und Kirche und Religionsfreiheit. Die mit acht zu vier Stimmen verabschiedete Änderung von Artikel 24 schreibt die freie Religionsausübung sowohl im privaten als auch öffentlichen Raum fest. Demnach habe jede Person »das Recht auf Freiheit des Gewissens und der ethischen Überzeugungen«. Sie sei frei, »die Religion auszuüben und anzunehmen, die sie mag. Diese Freiheit umfaßt das Recht, sich individuell, sowohl öffentlich als auch privat, an Zeremonien, Gebeten oder gottesdienstlichen Handlungen zu beteiligen, sofern sie kein Verschulden darstellen oder von Gesetzes wegen strafbar sind«.

Es sei unnötig, diese drei Freiheiten gesondert festzuschreiben, so Senator Pablo Gómez von der PRD, da sie bereits in anderen Teilen der Verfassung verankert sind. Er befürchtet, daß die Verfassungsänderung den Weg öffnet »zu endlosen Streitigkeiten in den Bereichen Bildung, Medizin und öffentlicher Dienst.«

Vor dem Gebäude demonstrierten Hunderte Mitglieder säkularer Gruppen sowie Angehörige evangelischer Kirchen gegen die Abstimmung. Die Kritiker der Neuregelung befürchten die Wiedereinrichtung von Religionsunterricht in öffentlichen Schulen, Konzessionen für religiöse Radio- und Fernsehkanäle sowie Privilegien für die Katholische Kirche. Die Verfassungsänderungen öffneten die Tür für die Modifizierung weiterer Verfassungsartikel durch eine verbogene Interpretation »religiöser Freiheit«, die den säkularen Staat beseitigen und das Land wieder zu einem »konfessionellen Staat« machen würde, so die Demonstranten. Einige meinten, die Änderungen seien ein »Geschenk an Papst Benedikt XVI.«, der in dieser Woche Mexiko besucht. Die Diskussion um die Säkularität des mexikanischen Staates wird seit längerem geführt. Beobachter meinen, die rechts-katholische PAN versuche, ihr religiöses Projekt durchzuboxen, bevor sie im Juli mutmaßlich abgewählt wird.

* Aus: junge Welt, 19. März 2012


Zurück zur Mexiko-Seite

Zurück zur Homepage