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Gegenwind für Reformer

Debatte über die Zukunft der mexikanischen Ölindustrie und den Staatskonzern Pemex verschärft sich. Regierung will "Volksbefragung" verhindern

Von Gerold Schmidt (npl), Mexiko-Stadt *

So hatte sich das der mexikanische Präsident Felipe Calderón nicht vorgestellt. Im Frühjahr setzte er darauf, daß seine konservative Partei der Nationalen Aktion (PAN) zusammen mit der oppositionellen Revolutionären Institutionellen Partei (PRI) die von ihm ins Parlament eingebrachte »Energiereform« im Schnelldurchgang verabschieden würde. Statt dessen setzt eine immer breitere Diskussion über das Vorhaben ein, das von seinen Gegnern als »verschleierte Privatisierung« des staatlichen Ölkonzerns Pemex und der mexikanischen Ölindustrie angesehen wird.

Wochenlang hatten daraufhin Vertreter der moderat linken Partei der Demokratischen Revolution (PRD) die Tribünen von Senat und Abgeordnetenhaus besetzt. Sie erzwangen eine öffentlichen Debatte im mexikanischen Kongreß, und inzwischen nimmt eine von der Partei für den 27. Juli angesetzte und in Eigenregie organisierte »Volksbefragung« immer deutlichere Formen an. Am Montag begann ein fünftägiges öffentliches Forum der Autonomen Nationaluniversität Mexikos (UNAM), auf dem 160 Akademiker und Experten über die Reform der Ölindustrie diskutieren. Erklärtes Ziel ist es, Alternativen zum Regierungsvorschlag auszuarbeiten. Gleichzeitig veröffentlichten namhafte mexikanische Intellektuelle am vergangenen Wochenende einen offenen Brief, in dem sie sich für die Volksbefragung sowie das Mitbestimmungs- und Entscheidungsrecht aller Bürger bezüglich der »Energiereform« einsetzen. Begleitet werden diese Meinungsäußerungen von Aktionen der »Informationsbrigaden«, einer mehr als 20000 Mitglieder zählenden und von PRD-Oppositionsführer Andrés Manuel López Obrador initiierten Organisation.

Bei der Reform geht es vor allem um eine weitere Öffnung des staatlichen Ölkonzerns Petroleos Mexicanos (Pemex) gegenüber der Privatwirtschaft. Seit Jahren warten vor allem internationale Konzerne darauf, direkten Zugriff auf das mexikanische Öl zu bekommen. Bisher können sie offiziell nur begrenzt als Subunternehmen Verträge von Pemex erhalten. Calderón formulierte seine Gesetzesiniative vorsichtig. Von direkter Privatisierung und einer alleinverantwortlichen Ausbeutung der gesicherten und vermuteten mexikanischen Ölvorkommen durch private Unternehmen ist an keiner Stelle die Rede. Dies würde eine Verfassungsänderung und damit eine Zweidrittelmehrheit im Parlament erforderlich machen. Vielmehr wird durchgehend einer stärkeren Beteiligung privaten Kapitals in praktisch allen Pemex-Bereichen (Förderung, Verteilung, Wartung, Verarbeitung) das Wort geredet. In einer wochenlangen Medienkampagne wurde der Eindruck vermittelt, Mexiko sei ohne Hilfe von dritter Seite nicht in der Lage, teure und technisch aufwendige Hochseebohrungen vorzunehmen. Weil die bekannten Erdölvorkommen des Landes langsam zur Neige gehen besteht eine Hoffnung darin, unter dem Meeresboden in mexikanischen Hoheitsgewässern noch umfangreiche Reserven zu finden.

Das Regierungslager gerät mit seinen Argumenten aber immer stärker in die Defensive. Denn in den bisherigen Diskussion wird deutlich, daß sowohl die aktuelle Regierung, als auch ihre Vorgänger Pemex bewußt und zielstrebig in ein marodes Unternehmen verwandelt haben. Statt Versprechen einzulösen, den Staatshaushalt unabhängiger von den Öleinnahmen zu machen, änderte sich in den vergangenen 15 Jahren praktisch nichts. Nach wie vor pendelt der Anteil der Öleinkünfte am Budget zwischen 35 und 40 Prozent – Pemex bleibt die Melkkuh. In den ersten vier Monaten dieses Jahres wurden sogar fast die gesamten Bruttoeinkünfte des Staatsunternehmens über das Finanzministerium abgeschöpft (93 Prozent). Für Instandhaltungs- und Neuinvestitionen mußte Pemex in den vergangenen Jahren immer mehr Kredite aufnehmen und sich so in zweistelliger Milliardenhöhe verschulden. Das macht den profitablen Staatsbetrieb zu einem Schuldenchampion. Neue Raffinerien sind nicht gebaut worden, weil die Regierungen dafür kein Geld bereitstellten. Ergebnis: Der weltweit sechstgrößte Erdölexporteur Mexiko muß Benzin und Ölderivate teuer importieren.

Die Gegner der Reformen machen diese Politik und nicht fehlendes know how für den aktuellen Zustand der mexikanischen Ölindustrie verantwortlich. Seitdem der Ölpreis immer neue Rekordhöhen erklimmt, haben sie ein Argument in der Hand, das die Regierung kaum entkräften kann: Der Beitrag der staatlichen Öleinnahmen für den Haushalt 2008 ist auf einem durchschnittlichen Preis von 50 bis 60 US-Dollar pro Faß (159 Liter) kalkuliert. In den ersten fünf Monaten wurden indes pro Faß durchschnittlich fast 100 Dollar erzielt. Warum die Gunst der Stunde und die zusätzlichen Milliardeneinnahmen nicht dazu nutzen, Pemex aus eigener Kraft zu modernisieren, Raffinerien zu bauen und bei neuen Bohrungen auf die eigenen Kapazitäten setzen?

In der Oppositionspartei PRI, auf deren Abgeordnete die PAN angewiesen ist, mehren sich nicht zuletzt aufgrund wahltaktischer Überlegungen die Stimmen, auf Distanz zum Entwurf des Präsidenten zu gehen. Örtliche PRI-Regierungen wollen sogar bei der Volksbefragung mit der PRD zusammenarbeiten. Umfragen zeigen, daß nach wie vor die Mehrheit der Mexikaner die 1938 verstaatlichte Erdölindustrie als ein Symbol nationaler Souveränität ansieht, das in seinen Grundfesten nicht angerührt werden darf.

* Aus: junge Welt, 25. Juni 2008


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