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Hoffen auf Obrador

Mexikos Expräsidentschaftskandidat der Linken mobilisiert wieder die Massen

Von Gerold Schmidt, Mexiko-Stadt *

Es war fast wie in alten Zeiten. Zehntausende füllten am vergangenen Sonntag den Zocalo, den zentralen Platz von Mexiko-Stadt, und verteilten sich sogar auf einige Nebenstraßen. Sie kamen, um den ehemaligen Präsidentschaftskandidaten ­Andrés Manuel López Obrador und dessen Vorschläge angesichts der inzwischen auch auf Mexiko voll durchgeschlagenen Wirtschafts- und Finanzkrise zu hören. Der Auflauf von in den vergangenen Monaten gut organisierten »Brigadisten« und einfachen Anhängern kam in dieser Masse unerwartet. Mit breit angelegten zivilen Widerstands- und Protestaktionen sowie eigenen Initiativen will der kurz AMLO genannte Linkspolitiker dafür sorgen, daß die Krisenauswirkungen nicht vollständig auf den Schultern der armen Bevölkerung abgeladen werden.

Viele hatten López Obrador als wichtigen politischen Akteur bereits abgeschrieben. Seine Attacken gegen die aus seiner Sicht 2006 nur durch Wahlbetrug an die Macht gekommene konservative Regierung von Präsident Felipe Calderón glichen immer mehr einem Kampf gegen Windmühlenflügel. Obradors Veranstaltungen verzeichneten eher spärlichen Besuch. Das ihn auf parlamentarischer Ebene unterstützende »Breite Fortschrittliche Bündnis« (FAP) aus den beiden kleinen Parteien PT und Convergencia sowie AMLOs Mutterpartei der Demokratischen Revolution (PRD) zerbrach. Zudem ist die Struktur der PRD einschließlich des Parteivorsitzes inzwischen weitgehend in den Händen des rechten und gegenüber der Regierung verhandlungsbereiten Flügels, der sich die »Neue Linke« nennt. Noch vor wenigen Wochen schien ein Parteiaustritt des linken Flügels mit López Obrador an der Spitze beschlossene Sache.

Das politische Panorama scheint sich zumindest vorübergehend etwas gewendet zu haben. Zu offen treten fehlende Sensibilität bzw. fehlendes Interesse der Regierung an den sozialen Problemen der einfachen Bevölkerung zutage. Zwar will nun auch sie öffentliche Konjunkturprogramme durchführen, doch der Widerwille ist ihr dabei ins Gesicht geschrieben. Inkarnation dieses Widerwillens ist dabei der frühere Weltbankfunktionär und heutige mexikanische Finanzminister Agustín Carstens. Die privatisierten Rentenfonds machten im vergangenen Jahr Milliardenverluste, die Angst vor einem Rentenbetrug wächst. Während die Regierung noch im Herbst 2008 stärkere Auswirkungen der internationalen Finanzkrise auf Mexiko schlichtweg abstritt und die Lage beschönigte, warnte AMLO beständig vor den sich ankündigenden schlechteren Zeiten und prangerte die soziale Kälte des Calderón-Kabinettes an. Inzwischen ist die Prognose eines dreiprozentigen Wirtschaftswachstums für 2009 vom Präsidenten der mexikanischen Zentralbank auf die Schrumpfung des Bruttosozialproduktes von 1,8 Prozent korrigiert - Tendenz möglicherweise weiter fallend.

Die Führung der in sich zerstrittenen PRD ist nach monatelanger klarer Abgrenzung von López Obrador und seiner außerparlamentarischen Protestbewegung zuletzt wieder auf diesen zugegangen. Der Hintergrund: Bei den Parlamentszwischenwahlen im Juli 2009 deutete sich ein Debakel für die Partei an. Nur ein Burgfrieden kann den Schaden begrenzen. Auch die Töne Obradors gegenüber der eigenen Partei sind wieder versöhnlicher geworden.

Vor allem aber setzt er auf den Ausbau der außerparlamentarischen Parallelstruktur. Landesweit sollen sich mehr als 2,2 Millionen Menschen in die Listen seiner Bewegung eingeschrieben haben. Viele davon sind keine Parteimitglieder. Nach einer zweijährigen Rundreise steht López Obrador kurz vor der Erfüllung seines Ende 2006 gegebenen Versprechens, alle knapp 2500 mexikanischen Landkreise zu besuchen. Laut Ankündigung vom vergangenen Sonntag sollen nun in allen 31 Bundesstaaten sowie den 16 Bezirken der Metropole Mexiko-Stadt Büros mit der Absicht eingerichtet werden, die Einkommen der ärmeren Haushalte zu verteidigen. Gleichzeitig aber wohl ein weiterer Schritt in Richtung von AMLOs Fernziel, 2012 noch einmal als Präsidentschaftskandidat eines weit über die PRD hinaus reichenden oder sogar ohne sie agierenden Bündnisses anzutreten. Vorerst ist ihm eine Art Comeback gelungen.

* Aus: junge Welt, 30. Januar 2009


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