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Katerstimmung drei Jahre danach

Erstmals seit 2006 kam im mexikanischen Oaxaca die Protestbewegung zusammen

Von Thomas Bachmann / Therese Gerstenlauer, Oaxaca de Juárez *

Am vergangenen Wochenende fand in der südmexikanischen Stadt Oaxaca de Juárez der zweite Kongreß der »Volksversammlung der Völker Oaxacas« (APPO) statt. Lange war nicht klar, ob dieses Sammelbecken radikaler Opposition überhaupt noch einmal unter dem Dach der APPO zusammenkommen würde.

Im Sommer 2006 war Oaxaca de Juárez Schauplatz breiter sozialer Proteste. Dem jährlichen Gewerkschaftskampf der Lehrer begegnete die Regierung unter Gouverneur Ulises Ruiz Ortiz (URO) mit enormer Repression. In den folgenden Monaten solidarisierten sich Hunderttausende und protestierten gegen die anhaltende Gewalt seitens der Regierung. Aus diesem Widerstand erwuchs die APPO als »Ausdruck souveräner Macht in Oaxaca«.

Jetzt aber blieben viele Gruppierungen und Kollektive, die 2006 noch in der APPO organisiert waren, dem Kongreß fern. Junge Anarchisten demonstrierten für ihre Forderung, den Kongreß auf die Straße zu verlegen. Sie prangerten eine Postenverteilung hinter geschlossenen Türen an. Wütende Graffitis beschrieben am Eingang die Tagung als »großen Zirkus«.

Auch innerhalb des Kongresses war das gegenseitige Mißtrauen offensichtlich. Zum einen befürchteten manche, die Regierung würde versuchen, die Bewegung zu unterlaufen. Zum anderen wurde einzelnen die Nutzung der APPO als Sprungbrett zum Abgeordnetenamt unterstellt. Mit diesem Vorwurf sehen sich vor allem die FPR (Frente Popular Revolucionario -- Revolutionäre Volksfront) und die Comuna de Oaxaca konfrontiert, die sich für die Entwicklung der APPO zu einer parlamentarischen Partei aussprechen. So wollen sie zu den »in die Krise geratenen politischen Parteien« eine Alternative schaffen und 2010 die Wahlen im Bundesstaat Oaxaca nicht den alteingesessenen Organisationen überlassen. Andere eher anarchistisch und basisdemokratisch orientierte Gruppen sprechen sich klar gegen Wahlen aus und verstehen die APPO als eine offene Basisbewegung. Das Kollektiv VOCAL schreibt: »Die Wege der Revolution und die der Wahlen gehen in verschiedene Richtungen«. Sie nutzten den Kongreß, um sich mit all jenen zusammenzutun, die »auch die Notwendigkeit eines radikalen und tiefgreifenden Wandels unserer Gesellschaft sehen, die eine Revolution suchen«.

Trotz interner Kontroversen gelang es den 702 Anwesenden unter Vermittlung von Azael Santiago Chiepi, Generalsekretär der oaxaquenischen Sektion 22 der nationalen Lehrergewerkschaft (SNTE) und Vorsitzender des Kongresses, immer wieder, sich auf die gemeinsame Sache zu konzentrieren: »die Reorganisierung und Reartikulation der APPO«.

Der Kongreß endete erst Montag vormittag (23. Feb.) 532 stimmberechtigte Delegierte und die in beratender Funktion anwesenden übrigen Teilnehmer hatten fast ohne Unterbrechung drei Tage und Nächte durchgearbeitet, um zu einer einvernehmlich beschlossenen »politischen Abschlußerklärung« zu gelangen. Darin wird deutlich, daß die Reorganisierung der APPO auf horizontaler Ebene im ganzen Bundesstaat verfolgt werden soll. Die APPO will als »eine Versammlung von Versammlungen« den »antikapitalistischen Widerstand potenzieren und eine gemeinsame Praxis suchen, um tiefgreifende Änderungen des sozialen, ökonomischen, politischen und kulturellen Lebens zu erkämpfen«. Als wichtige Eckpfeiler des weiteren Vorgehens werden die Befreiung der politischen Gefangenen und die Fortführung des Widerstands gegen die Privatisierungen im Land genannt. Letztere sorgen vor allem in den ressourcenreichen, ländlichen Regionen für eine zunehmende Militarisierung und eine Repression der dort lebenden Bevölkerung. Im Aufruf zum diesjährigen Kongreß der APPO hieß es: »Die Gründe dafür, daß die APPO gegründet wurde, bestehen nicht nur weiter, sondern gewinnen an Dringlichkeit«. Vielleicht auch ein Aufruf an die internationale Solidaritätsbewegung, weiterhin nach Oaxaca zu schauen.

* Aus: junge Welt, 25. Februar 2009


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