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Mexiko: Menschenrechtler leben gefährlich. UN fordern mehr Schutz vom Staat

Von Emilio Godoy (IPS), Mexiko-Stadt *

Wer sich in Mexiko für die Grundrechte einsetzt, lebt gefährlich. Das hat am Dienstag das UN-Menschenrechtshochkommissariat (UNHCR) bestätigt. Wie aus einem neuen Bericht der Organisation hervorgeht, wurden im Zeitraum Januar 2006 bis August 2008 128 Menschenrechtler Zielscheibe von Gewalt. Selbst diejenigen, die sich im Auftrag der Behörden für die Bürgerrechte einsetzen, sind vor Übergriffen nicht gefeit. Bestes Beispiel dafür ist Gustavo de la Rosa von der Kommis­sion für Menschenrechte des nordmexikanischen Bundesstaates Chihuahua. Er mußte einen Monat lang Zuflucht in der US-Grenzstadt El Paso suchen, nachdem er Todesdrohungen erhalten hatte.

Das Mexiko-Büro des UNHCR dokumentiert für den Untersuchungszeitraum zehn Morde, 27 Drohungen, 20 gerichtliche Klagen, 17 Fälle von Nötigung und zehn Fälle von Rechtsbeugung. Unter den Betroffenen waren auch 36 Frauen. Die meisten Übergriffe ereigneten sich in Chihuahua und in den südlichen Bundesstaaten Oaxaca, Guerrero und Chiapas. In mehr als der Hälfte aller Fälle wurden die Täter nicht ermittelt, die in 17 Fällen im Umfeld lokaler Justizbehörden vermutet werden.

Großes Aufsehen erregten im Februar die Morde an den beiden Aktivisten Raúl Lucas und Manuel Ponce von der nichtstaatlichen Organisation für die Zukunft der mixtekischen Völker im Guerrero. Beide Männer waren vor ihrem Tod gefoltert worden. Für die Verbrechen konnte bis heute niemand zur Rechenschaft gezogen werden.

Der Leiter des UNHCR-Mexiko-Büros Alberto Brunori warf der Regierung Untätigkeit vor. Es müßten umfassende staatliche Maßnahmen ergriffen werden, um Menschenrechtler besser zu schützen, forderte er bei der Vorstellung des Berichts in Mexiko-Stadt am Dienstag. Brunori hatte im Zusammenhang mit der Untersuchung zehn der 32 Bundesstaaten Mexikos besucht, wo er mit Vertretern von Nichtregierungsorganisationen, Behörden und Medien sowie mit Opfern der Übergriffe sprach.

»Unter der amtierenden Regierung hat es gravierende Rückschritte gegeben«, kritisierte Noemi Ramírez von der unabhängigen Mexikanischen Menschenrechtsakademie. Ähnlich besorgt äußerte sich Sandra Salcedo vom Menschenrechtsprogramm der privaten Iberoamerikanischen Universität in Mexiko-Stadt. Die schlechte Menschenrechtslage sei vor allem im Zusammenhang mit dem organisierten Verbrechen zu sehen.

Angesichts der besorgniserregenden Sicherheitslage in dem Land geht die Regierung des konservativen Präsidenten Felipe Calderón seit ihrem Amtsantritt im Dezember 2006 mit Riesenaufgeboten von Armee und Polizei gegen die Drogenmafia vor. Die Einsätze sind jedoch ohne nennenswerten Erfolg geblieben. Seit Januar haben sowohl Verbrechensbekämpfung als auch Gewalt krimineller Banden 5500 Menschen das Leben gekostet. Das sind mehr Todesopfer als im gesamten Jahr 2008.

Gegen den mexikanischen Staat sind mehrere Klagen vor dem Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshof mit Sitz im costaricanischen San José anhängig. Zu den spektakulärsten Fällen gehört die Entführung des Bürgerrechtlers Rosendo Radilla durch Soldaten 1974 in Guerrero. Von Radilla fehlt seitdem jede Spur. Im selben Bundesstaat wurden im Jahr 2002 indigene Frauen von Angehörigen der Streitkräfte vergewaltigt.

* Aus: junge Welt, 16. Oktober 2009


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