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Vom "Drogenkrieg" zum Ausnahmezustand

Mexiko: Zahl der Morde erreicht Höchststand. Regierung setzt auf das Militär

Von Andreas Knobloch *

In Mexiko hat die Zahl der Morde in diesem Jahr ihren bisherigen Höchststand erreicht. So berichtet die Menschenrechtskommission (CNDH) Mitte der Woche, daß allein bis November 5585 Menschen auf zum Teil grausamste Weise umgebracht wurden. Die zunehmende Zahl der Gewaltverbrechen ist nach Ansicht der Kommission Ausdruck dafür, daß die staatliche Sicherheitspolitik gescheitert und eine Neuorientierung dringend erforderlich ist. Rechtliche, administrative und politische Maßnahmen seien notwendig, um zu verhindern, daß Mexiko infolge einer zunehmenden Militarisierung in den Ausnahmezustand abrutscht. Die Regierung von Staatspräsident Felipe Calderón setzt bei der Verbrechensbekämpfung verstärkt auf die Streitkräfte, die für etliche Menschenrechtsverstöße verantwortlich gemacht werden.

Unterdessen tobt der »Drogenkrieg« weiter. Am Montag starben Ciudad Juárez erneut vier Polizisten, als gleichzeitig drei Polizeireviere und eine Patrouille in verschiedenen Teilen der Stadt von Mafia-Mitgliedern angegriffen wurden. Weitere vier Leichen wurden wenige Meter entfernt von der bundesstaatlichen Polizeikommandantur Cipol gefunden - zusammen mit einer Liste von 28 Namen mutmaßlicher Polizeiagenten. Die Körper der Toten waren gefesselt und ihre Augen verbunden.

Nach offiziellen Angaben war der vergangene Monat November mit 943 Morden der gewalttätigste in der Geschichte Mexikos. Der spektakuläre Anstieg der gewaltsam Getöteten im Zusammenhang mit Drogenschmuggel und -konsum erfolgt trotz der offenen Kriegserklärung von Präsident Calderón an die Drogenkartelle -- oder gerade deswegen. Derzeit sind landesweit rund 36 000 Polizisten und Soldaten im sogenannten »Krieg gegen die Drogen« im Einsatz. Doch sind sie selbst mehr ein Teil des Problems als der Lösung - zumal die Regierung keinerlei politische Strategie besitzt. Sie setzt vielmehr auf einen militärischen Sieg.

Vor allem in den nördlichen Bundesstaaten Chihuahua, Sinaloa und Baja California, die von den Kartellen zur Lagerung und zum Verladen der für den US-amerikanischen Markt bestimmten Drogen benutzt werden, scheint der Staat teilweise nicht mehr Herr der Lage zu sein. Im Rahmen des Antidrogenkampfes ist deshalb die Kooperation mit den USA verstärkt worden. So wurde die sogenannte »Merida-Initiative« beschlossen, finanzielle Unterstützung, die Bereitstellung US-amerikanischer Militärberater, die Ausbildung von Soldaten, den Ausbau von Telekommunikations- und Luftüberwachung und andere Maßnahmen vorsieht. Zudem soll bis 2010 Militärhilfe mit einem Volumen von 1,4 Milliarden US-Dollar fließen, davon 500 Millionen allein 2008.

Doch ist zu erwarten, daß der Plan eher für eine weitere Eskalation des Konfliktes sorgen wird. Soziale Ursachen werden vollständig ausgeblendet. Vielmehr ist im Laufe des »Krieges gegen die Drogen« auch die Unterdrückung sozialer Proteste verstärkt worden. Zudem erschwert laut Generalstaatsanwaltschaft der Waffenhandel an der Grenze den Kampf gegen die organisierte Kriminalität. Von den 107000 autorisierten Waffengeschäften in den USA befinden sich 12000 im Grenzgebiet zu Mexiko. Ihre Verkaufsraten sind doppelt so groß wie im Landesdurchschnitt. Es gibt Schätzungen, nach den 25 Prozent des landesweiten Waffenhandels in der Grenzregion abgewickelt werden.

* Aus: junge Welt, 19. Dezember 2008


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