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Mexikos Wirtschaft im Keller

Rezession lässt Arbeitslosenzahlen stark ansteigen

Von Benjamin Beutler *

Mexiko steht vor dem größten ökonomischen Niedergang seit der Weltwirtschaftskrise vor 77 Jahren.

Von April bis Juni ist das mexikanische Bruttoinlandsprodukt laut aktuellen Statistiken um 10,4 bis 12 Prozent eingebrochen. Die Werte für Industrieproduktion, Inlandskonsum, Export und Arbeitslosigkeit hätten Tiefststände erreicht, die nicht einmal bei der Krise von 1995 beobachtet wurden, warnen Analysten.

Die christdemokratisch-konservative Regierung des seit 2006 regierenden Felipe Calderón hatte versucht, durch eine Erhöhung der öffentlichen Ausgaben den »Schock« abzuwenden. Doch in Mexiko geht die Angst vor einer Inflation um, die aktuell bei sechs Prozent liegt. Darum lockert die Zentralbank die Zinsschraube nicht, was wegen der Rezession eigentlich nötig wäre. Und so bleibt der mexikanische Peso teuer, was die Exporte behindert.

»Mexiko hat Probleme in der Fertigstellung von Infrastrukturprogrammen«, erklärt Manuel Guzmán, Experte des Finanzdienstleisters Ixe Casa de Bolsa mit Verweis auf die zunehmende Kreditklemme. Damit habe die Regierung den »besten Moment für eine Stimulierung der Wirtschaft vertan«.

Deutlich wird jetzt auch die große Abhängigkeit von den USA. Die »graduelle Stabilität« werde erst kommen, wenn sich die »Wirtschaft der Vereinigten Staaten erholt hat«, umschreibt Bankanalyst Rafael Camarena die Folgen der Mitgliedschaft Mexikos im Nordamerikanischen Freihandelsbündnis (NAFTA). Seit dem Beitritt im Januar 1994 gehen rund 75 Prozent der Exporte in das Nachbarland im Norden, wobei 80 Prozent Industrieerzeugnisse darstellen.

Der wirtschaftliche Druck wird direkt nach unten weitergereicht. Während die Industrieproduktion im Automobilsektor und in den zahlreichen Billigmanufakturen im April und Mai um 12 Prozent zurückging, stieg die offiziell registrierte Arbeitslosigkeit auf 2,3 Millionen, was gegenüber dem Vorjahr einen Anstieg um 596 000 Erwerbslose bedeutete. Die Dunkelziffer liegt um vieles höher, denn die Mehrheit meldet sich nicht arbeitslos, da sie informellen Beschäftigungen nachgeht, die staatliche Statistiken nicht erfassen.

Die aussichtslose Lage auf dem Arbeitsmarkt trifft vor allem die Jugend. Von den rund vier Millionen Mexikanern zwischen 12 und 29 Jahren hat knapp ein Viertel weder Arbeit noch eine Ausbildungsstelle, so eine Studie des »Mexikanischen Instituts für Jugend«. Nur rund 15 Prozent gehen einer formellen Arbeit nach, während 200 000 Jugendliche ein Gerichtsverfahren wegen Raubes hinter sich haben. Die Wirtschaftskrise ist somit längst zu einer sozialen Krise geworden.

* Aus: Neues Deutschland, 20. August 2009


Mexikos Wirtschaft wankt

Höchster Rückgang des Bruttoinlandsproduktes seit 1932: Linke Opposition warnt vor "sozialen Spannungen" und "bewaffneten Bewegungen"

Von Benjamin Beutler **

So arm dran war der wichtigste Handelspartner der Vereinigten Staaten schon lange nicht mehr, der nun die Folgen der Rezession beim nördlichen Nachbarn mit voller Härte zu spüren bekommt. Jüngste Wirtschaftsdaten bescheinigen Mexiko, 2008 vom Internationalen Währungsfonds (IWF) immerhin als Nummer 13 der größten globalen Volkswirtschaften ausgewiesen, die schlimmste Krise seit dem Break Down der Weltwirtschaft 1932. Ging vor 77 Jahren die gesamte Wirtschaftsleistung innerhalb kürzester Zeit um 15 Prozent zurück, so beschert der derzeitige Kollaps der globalen Finanzindustrie dem 110-Millionen-Einwohner-Land für das zweite Quartal 2009 einen Einbruch des Bruttoinlandproduktes (BIP) zwischen 10,4 und zwölf Prozent. In den Schatten gestellt ist damit schon heute die »Tequila-Krise« von 1994/1995, als der mexikanische Peso gegenüber dem US-Dollar massiv abgewertet wurde. Folge war damals eine Vertrauenskrise in die nationale Währung und abrupter Geldabzug internationaler Akteure, was der damalige Chef des Internationalen Währungsfonds (IWF), Michel Camdessus, die »erste internationale Finanzkrise des 21. Jahrhunderts« nannte.

Doch es sollte nicht die letzte gewesen sein. In Mexiko-Stadt präsentierten Regierungsanalysten zu Wochenbeginn die offiziellen Wirtschaftsdaten für die Monate April bis Juni. »Verheerend, vor allem die Arbeitslosigkeit«, beschreibt Wirtschaftsexperte Alejandro Díaz Bautista die dramatische Lage. »In nur drei Monaten haben 400000 Menschen ihre regulären Arbeitsplätze verloren. Eine weitere Million hat sich in nur sechs Monaten in die informelle Schattenwirtschaft verabschiedet«, alarmiert Díaz. Zu den 2,4 Millionen offiziell arbeitslos gemeldeten Mexikanern gesellen sich 4,8 Millionen Unterbeschäftigte (elf Prozent der arbeitenden Bevölkerung), ein Anstieg von 60 Prozent im Vergleich zu 2008. Einen weiteren historischen Rekord stellen jene 28 Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung dar, die in der Schattenwirtschaft schuften: 12,2 Millionen Mexikaner rackern sich mit Schwarzarbeit ab, ohne jeglichen sozialen Schutz.

Besonders hart trifft die aussichtlose Lage auf dem »Arbeitsmarkt« die Jugend. Von rund vier Millionen Mexikanern zwischen zwölf und 29 Jahren haben knapp ein Viertel weder Arbeit noch Ausbildungsstelle, so eine jüngst veröffentlichte Studie des Mexikanischen Instituts für Jugend (IMJ). Der Zusammenhang zwischen Kriminalität und defekter Wirtschaft wird hier schnell klar. Nur rund 15 Prozent der jungen Menschen gehen einer regulären Arbeit nach, aber 200000 Jugendliche haben bereits ein Gerichtsverfahren wegen Raubes hinter sich, so die Studie.

Die ohnehin große Kluft zwischen Arm und Reich wird derweil immer größer. Das durchschnittliche Einkommen der rund 26 Millionen mexikanischen Familienhaushalte ging schon 2008 im Vergleich zum Vorjahr um 1,6 Prozent zurück. Eine »Nationale Befragung zu Einnahmen und Ausgaben der Haushalte« (ENIGH) errechnete bei der Masse der Geringstverdiener einen »Wohlstandsverlust« um acht Prozent. Sie müssen mit rund 2000 Pesos (111 Euro) im Monat auskommen - auch im mittelamerikanischen Land ein Ding der Unmöglichkeit. Der kleinen Schicht der Betuchten hingegen macht die Krise nichts aus. Ihre Bilanz blieb bei Einkünften von monatlichen 7260 Euro stabil.

Geradezu zynisch klingen da die Worte des christdemokratisch-konservativen Staatspräsidenten Felipe Calderón. »Es fehlt die Anstrengung und Opferbereitschaft aller«, um die »Wirtschaft zu stimulieren«, so der studierte Jurist und Betriebswirt auf einer Messeeröffnung am Dienstag. »Die Zukunft« liege allein in »Privatisierung, Liberalisierung und Marktkontrolle durch die Wirtschaft«, so Calderon.

»Die Menschen machen sich von Tag zu Tag Sorgen, was sie essen, wie sie Gas, Miete, Grundkosten bezahlen sollen«, mahnt Senator Carlos Navarrete von der Oppositionspartei »Partei der demokratischen Revolution« (PRD) und warnte vor dem Ausbruch »sozialer Spannungen«. Selbst »bewaffnete Bewegungen« seien denkbar, wenn die Regierung »ihren Politikstil nicht ändert«, sagte Arturo López von der »Arbeiterpartei« (PT). Die Wirtschaftskrise in Mexiko ist längst zu einer sozialen Krise geworden.

** Aus: junge Welt, 20. August 2009


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