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Kinder als Tagelöhner

Menschenrechtsverletzungen in Mexiko angeprangert. Medienmogule versuchen zu vertuschen und abzulenken

Von Volker Hermsdorf *

Nach den erwarteten Angriffen auf progressive Regierungen in der Region endete am Montag in der mexikanischen Stadt Puebla im gleichnamigen Bundesstaat die Halbjahresversammlung der Dachorganisation der privaten Medienbesitzer Lateinamerikas (Sociedad Inter­americana de Prensa, SIP). Während die Zeitungszaren dem Gastland Mexiko »Engagement im Kampf für die Pressefreiheit« bescheinigten, schlagen Menschenrechtsaktivisten Alarm.

Am Dienstag letzter Woche beklagte Amnesty International, daß »100 Tage nach Amtsantritt des neuen Präsidenten Enrique Peña Nieto auch diese Regierung dem Schutz der Menschenrechte keine hinreichende Priorität einräumt«. Den Versprechungen beim Amtsantritt seien »keine Taten gefolgt«. Amnesty-Vertreter fordern Peña Nieto auf, endlich zu gewährleisten, daß »Folter, Mißhandlungen und das Verschwindenlassen von Personen beendet und die Verantwortlichen für vergangene Verbrechen vor Gericht gestellt werden«.

Nach offiziellen Zahlen sind in Mexiko in der Regierungszeit des vorigen Präsidenten Felipe Calderón von Dezember 2006 bis November 2012 insgesamt 26 121 Menschen verschwunden. »Human Rights Watch« meldet, daß in mindestens 140 Fällen dafür nachweislich »staatliche Sicherheitsangestellte« verantwortlich waren. Im Januar veröffentlichte die Journalistenorganisation FELAP (Federación Latinoamericana de Periodistas) eine Statistik, nach der Mexiko mit 17 ermordeten Pressevertretern im Jahr 2012 den Spitzenplatz des Kontinents einnimmt.

Auch die Wehrlosesten bleiben nicht verschont. Dem Internetportal EarthLink zufolge werden in Mexiko »mehr als 3,5 Millionen Kinder als Tagelöhner ausgebeutet«. Armut und Unterernährung seien für »den Hungertod von 1,2 Millionen Kindern in den letzten zwölf Jahren« verantwortlich. Während die rechten Medienunternehmer den Teilnehmern der SIP-Konferenz die Stadt Puebla als »Enklave« anpriesen, die »weit entfernt von Konfliktregionen liegt«, kritisiert das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (UNICEF), daß dort jedes fünfte Kind zur Arbeit gezwungen wird. Laut UNICEF gehört Puebla zu den drei Bundesstaaten mit der höchsten Konzentration an Kinderarbeit im Land. Der auf das Thema spezialisierte Journalist der Tageszeitung La Jornada, Luis Hernández Navarro, sieht das als logische Folge des Wirtschaftsmodells: »Die Menschenrechtsverletzungen sind kein Unfall, sondern durch dieses Modell bedingt.« Er wirft den Medien vor, »nicht über Ursprung und Gründe« der Probleme zu berichten, sondern sie als »ein Produkt des Irrsinns, des Bösen oder des organisierten Verbrechens« darzustellen.

Mit derartiger Kritik mußten sich die 300 Delegierten und Gäste auf der Konferenz der lateinamerikanischen Medienmogule nicht belasten. Ihre Tagung im noblen »Hotel Presidente Intercontinental« fand laut Einladung in »der exklusivsten Zone« von Puebla statt. Statt Menschenrechtsvertretern oder kritischen Journalisten des Gastgeberlandes zu begegnen, hörten die Teilnehmer einen Vortrag der kubanischen Systemgegnerin und SIP-Angestellten Yoani Sánchez über ihren »schwierigen Kampf für die Pressefreiheit auf Kuba« an. Für die oft mit Verfolgung, Folter und Tod bedrohten unabhängigen Medienaktivisten in Mexiko eine nur schwer zu ertragende Provokation. Auch Lokalpolitiker empörten sich über den anmaßenden Auftritt der bezahlten »Vorzeigeoppositionellen«. So berichtete der Abgeordnete José Juan Espinosa Torres in der Tageszeitung Cambio de Puebla am Freitag über die Forderung seiner Partei »Movimiento Ciudadano«, Yoani Sánchez zur unerwünschten Person (Persona non grata) zu erklären, da sie für saftige Honorare ausgerechnet in Mexiko als »verfolgte Journalistin« auftrete.

Vor ihrem Trip nach Mexiko war Sánchez am Freitag letzter Woche bereits im spanischen Burgos auf einer Tagung über »Freiheit und Zensur in sozialen Netzwerken« vor unangenehmen Fragen geschützt worden. Einer Journalistin der von der KP Spaniens herausgegebenen Zeitschrift Mundo Obrero wurde – trotz ihres Presseausweises – der Zutritt verwehrt. Und als im Saal bei den auf eine Leinwand projizierten Twitter-Meldungen kritische Bemerkungen zu Sánchez erschienen, wurde kurzerhand der Projektor ausgeschaltet. Schon bei ihrer ersten Station in Brasilien hatte Sánchez auf Fragen zu einem freundschaftlichen Treffen mit dem als rechtsextrem geltenden Politiker Jair Bolsonaro, ein Befürworter des früheren Militärregimes und der Folter, nicht nur jede Antwort verweigert, sondern auch noch protestierende linke Aktivisten als »Terroristen« bezeichnet.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 12. März 2013


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