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Mexiko: Frauenquote erschüttert Parteien

Drei Monate vor den Wahlen verpflichtet Bundesgericht die Politiker zur Listenänderung

Von Andreas Knobloch *

Drei Monate vor den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen in Mexiko wird die konservative Regierungspartei PAN von einer internen Krise erschüttert. Die Lokalpolitikerin und frühere Mitarbeiterin von Staatspräsident Felipe Calderón, Lía Limón, erklärte vor wenigen Tagen mit großem Getöse und Medienecho ihren Parteiaustritt. Sie kritisierte Unregelmäßigkeiten bei der internen Kandidatenkür, eine »Verbrecherbande« habe sich in Mexiko-Stadt der PAN bemächtigt. Die sozialdemokratisch orientierte Oppositionspartei PRI hat Limón mittlerweile angetragen, in ihren Reihen mitzuwirken. Eine Kandidatur für das Parlament bot man ihr jedoch nicht an.

Wie sie sind auch viele andere Frauen bei den internen Kandidatennominierungen der Parteien auf der Strecke geblieben. Einige unterlagen nach demokratischen Spielregeln, andere wurden unsauber ausgebootet. Weibliche Mitglieder der PRI beklagten in einem Brief an den Parteivorsitzenden Pedro Joaquín Coldwell, daß immer wieder verhindert werde, Frauen in die Kandidatenlisten aufzunehmen. So kritisierte die PRI-Politikerin María Eugenia Alva Álvarez das Argument der Parteiführung, es müßten auch männliche Kandidaten geschützt werden: »Wir sind nie dagegen gewesen, sondern für Gleichberechtigung, und daß die Geschlechterquote respektiert wird.« Über die Parteigrenzen hinaus hatte eine Äußerung des PRI-Abgeordneten Alejandro Moreno Merino für einen Sturm der Entrüstung gesorgt. Dieser hatte während einer Parlamentsdebatte vor zwei Wochen öffentlich erklärt, es gäbe »keine gutaussehende Frau, die keine Nutte ist«. Die Partei zog seine Kandidatur für den Senat daraufhin zurück.

Auch innerhalb der gemäßigt linken PRD melden sich die Frauen zu Wort. Die parteiinterne »Front progressiver Frauen« beklagte bei einer Pressekonferenz die Verletzung der Rechte von Politikerinnen in der Linken. Im Moment der Entscheidung würden Resultate von Befragungen nicht anerkannt. Es gäbe Männer, die in die Listen »ihre Ehefrauen, ihre Freundinnen, ihre Sekretärinnen« aufnehmen statt jene mit besseren Voraussetzungen, kritisierte die PRD-Politikerin Aliet Mariana Bautista. Ivette Ruvalcaba erklärte, sie sei, obwohl vom Nationalrat der Partei für die Wahl zum Senat nominiert, von der Kandidatenliste in San Luis Potosí gestrichen worden, um Platz für den früheren PRI-Gouverneur Fernando Silva Nieto zu machen.

Nun hat die mexikanische Wahlbehörde IFE nach einem Urteil des zuständigen Bundeswahlgerichts TEPJF den Parteien bis Freitag Zeit gegeben, ihre Kandidatenlisten für die Wahlen Anfang Juli zu überarbeiten und die Geschlechterquote zu erfüllen. Praktisch alle wichtigen Gruppierungen des Landes liegen zum Teil weit unter dem gesetzlich vorgeschriebenen Mindestanteil von 40 Prozent weiblicher Kandidaten. Bei der sozialdemokratischen PRI sind nicht einmal ein Fünftel der Kandidaten für die Wahlen zum Abgeordnetenhaus Frauen. Die konservative PAN mit 28,6 Prozent und die Koalition der gemäßigten Linken um PRD und kleinere Partner mit 30,7 Prozent steht nicht viel besser da.

Während eines Treffens des IFE-Generalrats mit Parteivertretern sagten diese zwar zu, die Quoten zu erfüllen, kritisierten jedoch gleichzeitig die Gerichtsentscheidung. Das TEPJF hatte festgelegt, daß die Parteien die Vorgaben auch dann erfüllen müssen, wenn sie bereits demokratische Prozesse zur Festlegung der Kandidaten abgeschlossen hätten. Der PAN-Abgeordnete Rogelio Carvajal beklagte, das Gericht verändere seine eigenen Kriterien und stifte so Verwirrung. Der Vertreter der Wahlbehörde, Benito ­Nacif, räumte ein, daß die Frauenquote die Rechte der Mitglieder strapaziere, denn sie »verpflichtet die Parteien, Kandidaturen zurückzuziehen und sie an jemanden zu übertragen, der womöglich in der internen Ausscheidung nach den Regeln der Partei unterlegen ist«. Dies schaffe »unnötige Spannungen während des Wahlprozesses«, so ein weiterer Vertreter der Wahlbehörde, Marco Antonio Baños. Allerdings war die Quote bereits am 30. November festgelegt worden – einige Wochen vor Beginn der Wahlkampagnen.

Der Sprecher der PRI, Eduardo Sánchez, erklärte, man werde die Kandidatenkür dem Urteil des Gerichts anpassen. Auch Camerino Márquez von der PRD versicherte, daß seine Partei die Quote erfüllen werde, denn sie habe genügend Frauen mit Führungsqualitäten. IFE-Vertreter Sergio García Ramírez würdigte diese Zusagen. Es sei nötig, daß die Parteien selbst ihre Kandidaten bestimmten. Die Wahlbehörde werde nur in dringenden Notfällen eingreifen.

* Aus: junge Welt, 29. März 2012


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