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Festival der "würdigen Wut"

Zapatistische Bewegung feierte 15. Jahrestag des Aufstands in Chiapas

Von Luz Kerkeling, San Cristóbal de las Casas *

Die Tage um den Jahreswechsel standen in Chiapas und Mexiko-Stadt im Zeichen des »Ersten weltweiten Festivals der würdigen Wut«. Die Zapatistische Armee der Nationalen Befreiung (EZLN) hatte zu einer Reihe von Feierlichkeiten eingeladen, um mit mehreren Tausend Menschen aus über 20 Ländern eine Debatte über soziale Kämpfe in Mexiko und auf globalem Niveau sowie über künftige Strategien »für eine andere Welt« zu führen.

»Die vier Räder des Kapitalismus« - hieß eine gewichtige Veranstaltungsreihe beim »Ersten weltweiten Festvial der würdigen Wut« in Chiapas. Dort wurde sich den Themen Ausbeutung, Enteignung, Repression und Diskriminierung gewidmet. Dazu gab es offene Foren über Themen wie »Die Andere Stadt«, »Die Anderen Bewegungen«, »Die Andere Geschichte« oder »Die Andere Politik«.

John Holloway, ein im mexikanischen Puebla lebender britischer Soziologe, rief dazu auf, »hier und jetzt« mit einer anderen Politik zu beginnen. Das wichtigste Ziel alternativer Bewegungen sei, sich der alltäglichen Reproduktion des kapitalistischen Systems zu verweigern und schon jetzt »die andere Welt zu leben, die wir erschaffen wollen«. Holloway appellierte an die Geschlossenheit der außerparlamentarischen Linken: »Toleranz und Anti-Sektierertum müssen das zentrale Element jeder Politik der würdigen Wut sein.«

Zum Jahreswechsel feierte die EZLN in Oventic, einem von fünf Sitzen der zapatistischen Selbstverwaltungsräte in Chiapas, mit über 5000 Gästen und Angehörigen der Bewegung den 15. Jahrestag ihres bewaffneten Aufstands vom 1. Januar 1994 gegen Neoliberalismus, Rassismus, Frauendiskriminierung und Umweltzerstörung.

EZLN-Comandante David betonte, dass die Organisation trotz Repression durch Armee und Paramilitärs weiterhin für eine humane und gerechtere Welt kämpfe. Er bedankte sich für die Solidarität der mexikanischen und internationalen Zivilgesellschaft. Comandanta Florencia wies selbstkritisch darauf hin, dass neben Fortschritten, vor allem in den Bereichen Gesundheit und Bildung, viele Probleme ungelöst seien.

Die EZLN schlug die außerparlamentarische Durchsetzung einer neuen antikapitalistischen Verfassung für Mexiko vor, die von allen marginalisierten gesellschaftlichen Bereichen erarbeitet werden soll. Etablierte linke Parteien wie die sozialdemokratische Partei der Demokratischen Revolution (PRD) in Mexiko und die Sandinistische Nationale Befreiungsfront (FSLN) in Nicaragua wurden dagegen hart kritisiert. Mónica Baltodano aus Nicaragua bezeichnete die Praxis der FSLN-Regierung Daniel Ortegas als »neoliberale Politik, die in einem linken Diskurs verkleidet daherkommt«. »In Nicaragua gibt es keinen Sandinismus, es gibt einen Danielismus«, sagte die ehemalige FSLN-Kommandantin Baltodano. Vor allem linke soziale Bewegungen würden Opfer staatlicher Repression. Mitglieder der Frauenbewegung würden wegen ihrer Forderung nach Entkriminalisierung der Abtreibung von Ortega ebenso wie von ultrakonservativen Politikern wie Arnoldo Alemán als »Kindermörderinnen« verunglimpft.

Subcomandante Marcos, Sprecher und Militärkommandeur der EZLN, griff Mexikos Rechtsregierung unter Präsident Felipe Calderón scharf an. Deren militärisches Engagement gegen das Drogengeschäft im Land sei ein »blutiger Misserfolg«. Marcos vertrat die These, dass die Regierung längst vom Organisierten Verbrechen kontrolliert sei und lediglich zugunsten bestimmter Kräfte innerhalb der Drogenmafia agiere, aber nicht wirklich gegen sie.

Sowohl die EZLN als auch die Teilnehmer des Festivals verurteilten die israelischen Angriffe auf den Gaza-Streifen und forderten einen sofortigen Waffenstillstand.

Das Festival war von einer kämpferischen, bisweilen enthusiastischen Atmosphäre geprägt. In Chiapas wurden täglich über 2000 Teilnehmer gezählt, viele lobten den konstruktiven Charakter der Zusammenkunft. Im Interview unterstrichen Dolores Sales aus Guatemala und Carlos Marentes aus den USA, beide vom Verband Via Campesina, der 140 Kleinbauernorganisationen aus über 50 Ländern vereint, dass die Praxis der zapatistischen Autonomie eine große Inspiration für ihren Kampf sei. Carlos Aguirre Rojas, Wirtschaftswissenschaftler aus Mexiko-Stadt, wies im Interview auf den gelungenen Austausch an der Basis hin: »In Mexiko-Stadt wurden 140 Informationsstände aufgebaut, damit wir uns gegenseitig besser kennenlernen konnten. Dies war ein wichtiger sozialer Raum. Das Festival ist auch deshalb ein großer Erfolg«.

* Aus: Neues Deutschland, 6. Januar 2009


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