Das zähe Ringen um Autonomie
Europäische Solidaritätsbrigade dokumentiert Erfolge der zapatistischen Bewegung
Von Luz Kerkeling, San Cristóbal de las Casas *
Die Ziele der europäischen Solidaritätsbrigade in Chiapas waren klar
gesteckt: Einerseits die Repression gegen die linksgerichtete
zapatistische Bewegung und andererseits die jüngsten Fortschritte in dem
indigen geprägten Rebellengebiet zu dokumentieren.
Es war ein kleiner Marathon durch Hochland-Nebelbänke, tropische
Regenfälle und Hitze. Vom 5. bis zum 16. Juli bereiste eine
Solidaritätsbrigade mit Delegierten von verschiedenen Kollektiven und
Organisationen aus Deutschland, Frankreich, Griechenland, Italien und
Spanien die fünf zapatistischen Aufstandsregionen in Chiapas. Die
Hochburgen der Zapatistas befinden sich im zentralen Hochland, im Norden
und im Osten des Bundesstaates. Rund 1000 Dörfer schließen sich zu
Dutzenden autonomen Landkreisen zusammen, die wiederum von fünf so
genannten Caracoles (Schneckenhäusern) koordiniert und verwaltet werden.
Basisdemokratie ist nicht nur ein Wort
Ein zentrales Charakteristikum der Bewegung ist, dass alle
Funktionsträger jederzeit abgesetzt werden können, wenn sie nicht den
Willen der Bevölkerung umsetzen. Dieser basisdemokratische Anspruch -
ein Ausnahmephänomen im hochkorrupten Mexiko - erklärt die anhaltende
Unterstützung der Bewegung, die zwar nach wie vor unter prekären
Bedingungen leben muss, sich aber um eine lebendige interne Demokratie
bemüht.
Ein Sprecher des zapatistischen Verwaltungsrates von Roberto Barrios, in
der Nähe der berühmten Ruinen von Palenque, berichtete der Brigade, dass
es der Regierung und den lokalen Machthabern darum gehe, die
Unterstützer der Zapatistischen Armee zur nationalen Befreiung (EZLN)
von den 1994 besetzten Ländereien zu vertreiben, um dort in
Zusammenarbeit mit multinationalen Unternehmen Tourismusprojekte und
Monokulturen wie die Ölpalme zur Herstellung von Agrosprit, zu
installieren. Die Zusammenarbeit von staatlichen Sicherheitskräften und
illegalen bewaffneten Banden wurde betont: »Die Paramilitärs sind
weiterhin aktiv. Sie stehlen, organisieren Überfälle und vergewaltigen.
Und später werden wir Zapatistas als Täter beschuldigt.« Immer wieder
werden Übergriffe auf Zapatistas mit rassistischen Untertönen als
Auseinandersetzung zwischen »unzivilisierten« Indígenas im Fernsehen und
in Zeitungen platziert, um so weitere Militär- und Polizeieinsätze in
der Region zu legitimieren. Noch immer ist Chiapas der am stärksten
militarisierte Bundesstaat Mexikos, mit fatalen Folgen wie der Zunahme
von Drogenkonsum, Umweltzerstörung, sexualisierter Gewalt und Prostitution.
Versuchter Ausverkauf des Widerstands
Die zapatistischen Autoritäten wiesen auch darauf hin, dass die
Regierung Hilfsprogramme benutzt, um die Aktivisten mit Geschenken wie
Saatgut, Dünger oder Baumaterialien regelrecht aus dem Widerstand
herauszukaufen. »Das Geld ist derzeit die mächtigste Waffe der
Regierung«, so die zivilen Vertreter der EZLN, »aber wir wollen keine
Almosen, wir wollen eine gerechte Welt«.
Die Brigade konnte auch spürbare Fortschritte im Territorium der
Zapatistas feststellen, die nach wie vor keine Unterstützung vom Staat
annehmen und unabhängige Parallelstrukturen in den Bereichen Gesundheit,
Bildung, Verwaltung, Rechtsprechung, Kultur, Kommunikation und
Produktion aufbauen.
Ein Beispiel für die Bemühungen, die Situation in den Gemeinden zu
verbessern, ist die Frauenklinik im Caracol La Garrucha, die nach der
legendären Comandanta Ramona benannt ist, die sich innerhalb der EZLN
konsequent für Frauenrechte eingesetzt hatte und 2006 verstorben war.
»Wir haben hier vor Jahren zu zweit angefangen und inzwischen sind wir
viele Frauen, die in den Dörfern und in der Frauenklinik arbeiten. Wir
haben vor allem von den traditionellen Hebammen gelernt«, so eine
Gesundheitspromotorin, die Hilfestellung in Sachen Gesundheit gibt.
Mütter- und Kindersterblichkeit seien deutlich zurückgegangen.
Inzwischen werde auch vermehrt über sexuell übertragbare Krankheiten und
die Familienplanung gesprochen - ein Thema, das vor Beginn des Aufstands
von 1994 undenkbar gewesen ist: »Wir gehen in die Gemeinden und machen
Infoveranstaltungen. Den Männern gefällt das nicht immer, aber
inzwischen haben sie eingesehen, dass die Frauen ihre Rechte haben«.
Auch die Gesundheitspromotoren der anderen Zonen berichteten, dass es,
obzwar noch viel fehle, spürbare Fortschritte gebe, vor allem durch
Prävention und die Impfkampagnen für die zapatistischen Kinder.
Ökologischer Anbau für Ernährungssicherung
Darüber hinaus zeigte sich die Brigade davon beeindruckt, dass die
Promotoren für Agrarökologie über profunde Kenntnisse des globalen
Agrobusiness verfügen und hart daran arbeiten, die kleinbäuerliche Basis
verstärkt vom ökologischen Anbau zu überzeugen, um »eine wirkliche
Ernährungssouveränität« zu erlangen.
Einen anderen wichtigen Bereich stellen die Radio- und Videokollektive
dar. Sie dokumentieren Aspekte wie das Wissen der Alten, die
traditionelle Musik aber auch aktuelle Auseinandersetzungen und bilden
nach Einschätzung der europäischen Brigade das »politische, kulturelle
und soziale Gedächtnis der Bewegung«. Die Brigade unterstrich auf der
abschließenden Pressekonferenz ihre Gemeinsamkeiten mit dem Zapatismus.
Es gehe darum, »mit dem kapitalistischen Modell und seinen schlechten
Regierungen Schluss zu machen«, da diese das Ende der Menschheit und der
Natur bedeuteten.
* Aus: Neues Deutschland, 27. Juli 2010
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