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"Wir haben unsere Zukunft in die eigenen Hände genommen"

Celsa Valdovinos Ríos über die Ökobäuerinnen im militarisierten mexikanischen Guerrero

Celsa Valdovinos Ríos ist eine einfache Bauersfrau aus dem mexikanischen Bundesstaat Guerrero. Sie hat in der Region von Petatlán gemeinsam mit anderen Frauen eine ökologische Organisation aufgebaut - die Ökofrauen der Sierra von Petatlán (Mujeres ecologistas). Die 53-Jährige reiste jüngst durch Deutschland, um gemeinsam mit Luis Jerónimo Zavala, einem Menschenrechtsanwalt aus Tlapa, nicht nur auf ihre Organisation, sondern auch auf die Menschenrechtssituation in Guerrero aufmersam zu machen. Mit ihr sprach für das "Neue Deutschland" (ND) Knut Henkel.

ND: Mexiko ist nicht gerade bekannt für sein ökologisches Engagement - ist das im Bundesstaat Guerrero anders?

Ríos: Oh nein, aber in der Region, aus der ich komme, aus Petatlán gibt es mittlerweile mehrere Organisationen, die auf ökologische Produktion und Nachhaltigkeit setzen. Wir als Frauenorganisation werben auf die gesündere Ernährung durch Bioprodukte und bauen ohne den Einsatz von Chemikalien an.

Seit wann ist dem so und was bauen sie an?

Wir haben mit einer kleinen Gruppe von Frauen vor zehn Jahren angefangen. Jetzt sind wir über einhundert und haben eine Reihe von produktiven Projekten angestoßen und durchgeführt. So haben sich unsere Lebensverhältnisse in der Sierra de Petatlán erheblich verbessert. Zu unserer Arbeit gehört es, gemeinsam mit den Männern wiederaufzuforsten, denn es hat viel kommerziellen Kahlschlag gegeben, gegen den wir uns gewehrt haben. Das war letztlich der Startschuss für eine lokale Umweltbewegung. Wir haben eigene Baumschulen, Gemüse- und Obstgärten angelegt, produzieren unseren Dünger selbst, züchten Leguane und Hühner, produzieren Honig und vergeben Kleinkredite aus einem eigenen Fonds. Wir haben unsere Zukunft in die eigenen Hände genommen.

Wird diese alternative Anbau- und Ernährungsweise von Seiten der lokalen Regierung gefördert?

Nein, das ist nicht der Fall. Unsere Arbeit wird bei den staatlichen Stellen kaum registriert, und in vielen Regionen ist der Anbau von Mais zurückgegangen. Er wird importiert, aber immer weniger produziert. Wir müssen mehr für unsere Versorgung mit Grundnahrungsmitteln tun, aber das ist schwer, denn der Preis für viele Grundnahrungsmittel ist niedrig. Das ist ein Problem, um dass sich kaum gekümmert wird, aber es ist ein Grund für die hohe Abwanderung aus Guerrero in Richtung USA

Und Ihre Organisation zeigt Alternativen auf?

Ja, wir versuchen den Leuten beizubringen wie es auch anders geht, wie man den Boden wieder fruchtbar macht, wie man selbst erwirtschaften kann, was man braucht. Dass es funktioniert, können wir ja an unserem Beispiel aufzeigen und so bieten wir nun Kurse an, sorgen auch dafür, dass der Müll nicht einfach irgendwo hingeschmissen wird, sondern gesammelt und so weit möglich auch kompostiert wird.

Wie hat sich denn der Holzeinschlag von dem Sie sprachen in den Dörfern der Region bemerkbar gemacht?

Erst gar nicht, obwohl einige tausend Hektar abgeholzt wurden, dann bekamen wir aber Wasserprobleme. Bei uns kam immer weniger Wasser an und dann sind wir den Ursachen auf den Grund gegangen, haben den Zusammenhang zum illegalen Einschlag hergestellt und begonnen, zu protestieren. Damals wurde deutlich mehr abgeholzt als von den staatlichen Stellen genehmigt war, so dass wir das Recht auf unserer Seite hatten.

Erhalten Sie von irgendeiner Seite Unterstützung für ihre Arbeit?

Damals haben uns die Kirche bzw. einzelne Priester unterstützt. Zudem stehen wir in engem Kontakt zum Menschenrechtszentrum Tlachinollan. Die Experten des Zentrums in Tlapa beraten uns in Sicherheitsfragen, denn wir sind immer wieder angefeindet worden und mein Mann hat 2005 zehn Monate im Gefängnis gesessen, weil er Straßenblockaden organisiert hat, um den Abtransport illegal geschlagener Bäume zu unterbinden. Ihm wurde ein Mord an dem Kind eines Holzfällers zur Last gelegt und damals habe ich mit Hilfe der Anwälte des Zentrums für die Freilassung meines Mannes gekämpft. Erfolgreich, denn es gab nicht einen Beweis für die Anschuldigung.

Wie ist die Situation derzeit in Petatlán?

Wir leben mit einer latenten Militärpräsenz in der Region. Es gibt regelmäßig Straßensperren, um nach Drogen zu suchen, so die Begründung. Doch die Region von Petatlán ist keine Transitregion und wir denken, dass es darum geht, die Menschen in der Region einzuschüchtern, denn sie haben begonnen, ihre Zukunft in die eigenen Hände zu nehmen und das wird nicht überall gern gesehen.

Warum?

Weil es Leute mehr interessiert, die Ressourcen der Region, vor allem Holz aber auch das Wasser, auszubeuten statt einen nachhaltigen Kreislauf aufzubauen. Wir kämpfen jedoch für die Zukunft der Region und die unserer Kinder. Mangelerscheinungen aufgrund der schlechten Ernährung sind bei Kindern weit verbreitet und wir haben in den letzten Jahren gerade bei der Ernährung Fortschritte gemacht. Wir sind einfache Bauern, doch wir haben dazugelernt.

Was fehlt, um in Petatlán voranzukommen?

Abgesehen von den Problemen mit der schlechten Straße fehlt es uns an Lehrern, denn schließlich ist die Bildung die Grundlage, um weiterzukommen. Für über fünfzig Kinder in der Grundschule gibt es nur einen Lehrer. Das ist zu wenig und auch bei der Gesundheitsversorgung gibt es Defizite. Ist ein Doktor da, gibt es oft keine Medikamente und umgedreht. Darauf haben wir mehrfach hingewiesen. Doch es scheint niemanden in den verantwortlichen Behörden zu interessieren.

* Aus: Neues Deutschland, 2. Februar 2010


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