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Tierra y Libertad – Land und Freiheit

Vor 100 Jahren: Revolution in Mexiko. Emiliano Zapata und sein revolutionäres Erbe

Von Jörg Roesler *

Mexiko gerät heutzutage fast nur noch in die Schlagzeilen im Zusammenhang mit dem Thema Drogenkrieg. Seine revolutionären Traditionen finden wenig Beachtung ebenso wie die Tatsache, dass es neben Brasilien, Argentinien und Chile wirtschaftlich immer noch zu den lateinamerikanischen Schwellenländern gehört. Die revolutionären Traditionen halten zur Zeit in Mexiko nur die Zapatisten hoch. Ihr Führer Subcommandante Marcos hat erst jüngst wieder den engen Zusammenhang zwischen dem Drogenkrieg und dem Interesse der mexikanischen Machtcliquen und dem amerikanischen Kapital hervorgehoben.

Ein Anwalt der landlosen Bauern

Benannt hat sich die seit mehr als anderthalb Jahrzehnten agierende indigene Befreiungsbewegung nach Bauernführer Emiliano Zapata, der als »Oberster Chef der Revolutionsbewegung des Südens« im Mai 1911, vor 100 Jahren, zusammen mit dem aus dem Norden Mexikos kommenden Pancho Villa in Mexiko Stadt einmarschierte und in blutigen Kämpfen den Präsidenten Porfirio Díaz zum Rücktritt zwang. Dìaz, 1876 zum ersten und 1884 zum zweiten Mal zum Präsidenten gewählt, hatte sich zunehmend auf die mexikanischen Latifundistas gestützt, das Land ausländischen Konzernen, vor allem US-amerikanischen, geöffnet und ein autoritäres Regime errichtet. 1888 setzte er eine dritte Amtszeit durch. 1890 erzwang er eine Verfassungsänderung, die die unbeschränkte Wiederwahl erlaubte, so dass er im Mai 1911, als ihn die Aufständischen zum Rücktritt zwangen, zum siebenten Mal sein eigener Nachfolger war.

Emiliano Zapata, ursprünglich Gemeindevorsteher in einem Dorf des südlich der Hauptstadt gelegenen Bundesstaats Morelos, wurde zum Revolutionär, als er einen Rechtsstreit um das Gemeindeland in seinem Dorf führte, das sich ein benachbarter Gutsbesitzer angeeignet hatte. Er musste erfahren, dass er unter dem Regime von Díaz, dem »Porfirat«, die Interessen seiner kleinbäuerlichen Klientel nicht durchsetzten konnte. Daraus zog er eine konsequente Schlussfolgerung. Er bewaffnete die Bauern und führte sie unter der Losung »Tierra y Libertad« (Land und Freiheit) gegen das Porfirat. Er trat für eine radikale Bodenreform ein, verteilte in den von ihm besetzten Regionen das Land an die Peone, die landlosen Bauern, und befreite sie damit auch aus deren Schuldknechtschaft der Latifundistas.

Die Früchte der Beseitigung des Profirats ernteten jedoch nicht Zapata und seine Bauern. In dem auf den Sturz von Díaz folgenden Machtkampf konnten sich die konservativen Vertreter städtischer Interessen durchsetzen. Doch vergeblich waren die Kämpfe der Zapatisten nicht gewesen. Die im Februar 1917 angenommene neue mexikanische Verfassung enthielt in Artikel 27 die Bestimmung, dass der Staat das Recht habe, privaten Landbesitz zu enteignen, um ihn an landlose und landarme Bauern zu verteilen.

Zunächst allerdings stand der Bodenreformartikel nur auf dem Papier. Die Auseinandersetzungen zwischen Bauern und Gutsbesitzern gingen in Mexiko weiter, über Zapatas Tod hinaus, der 1919 ermordet wurde. Der Schriftsteller Ret Marut, der 1919 nach dem Scheitern der Münchener Räterepublik aus Deutschland flüchten musste und seit 1924 in Mexiko lebte, hat als B. Traven diese erbitterten Kämpfe in mehreren seiner Bücher beschrieben, so in »Ein General kommt aus dem Dschungel«.

Erst 1934 wurden in Mexiko die Auseinandersetzungen um die Bodenreform zugunsten der Kleinbauern und Indigenas entschieden. Der neu gewählte Präsident Lázara Cárdenas, machte mit der Landverteilung ernst. Aus Gutsbesitzerland schuf er Ejidos, agrarische Einheiten, in denen die Indigenas Land auf der Basis von Gemeinbesitz bei kollektiver Bewirtschaftung erhielten. Bereits 1936 gab es davon 7000, im Jahre 1940, als Präsident Cardenas Amtszeit endete, waren es schon 14 700. Insgesamt ließ Cardenas 18 Millionen Hektar Land der Latifundistas enteignen und an rund 800 000 Anwärter verteilen. In keinem anderen Land Lateinamerikas wurde die Agrarreform so umfassend durchgeführt. Die Bodenreform machte die Hälfte der bäuerlichen Familien in Mexiko zu Landbesitzern.

Kampf gegen neoliberale Wende

Ganz im Sinne von Zapatas Vorstellungen verbesserte sich die Lebenssituation der Landbevölkerung gegenüber der Zeit des Porfirats wesentlich. Im jungen und rasch an Profil gewinnenden mexikanischen Film waren die Auseinandersetzungen zwischen Latifundistas und Dorfgemeinde immer wieder Thema. Zum Teil waren diese Filme in der DDR zu sehen, wie z. B. »Rio Escondido«.

Cardenas hatte die Wahlen 1934 als Mitglied der 1928 gegründeten Nationalen Revolutionspartei (ab 1946 Partei der Institutionalisierten Revolution, PRI) gewonnen. Die PRI sorgte bis Ende der 80er Jahre dafür, dass die Bodenreform Cardenas nicht rückgängig gemacht wurde. Als die Partei in den 1990er Jahren auf neoliberalen Kurs einschwenkte und das Land als Mitglied der Nordamerikanischen Freihandelszone (NAFTA) sich der revolutionären Errungenschaften – auch auf dem Lande – zu entledigen begann, nahm im Süden Mexikos die Zapatistische Befreiungsarmee im Sinne der sozialreformerischen Ideen des Emiliano Zapata den Kampf erneut auf.

Von Jörg Roesler erschien 2009 im Leipziger Universitätsverlag eine »Kompakte Wirtschaftsgeschichte Lateinamerikas«.

* Aus: Neues Deutschland, 21. Mai 2011


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