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Sklaverei in Mauretanien

Hunderttausende leiden in Leibeigenschaft, obwohl es offiziell verboten ist

Von Gerrit Hoekman *

Eine arabische Tageszeitung kürte ihn 2011 zum Mann des Jahres in Mauretanien. Und im thüringischen Weimar erhielt er im letzten Sommer einen Menschenrechtspreis: Biram Dah Abeid, der Führer der Antisklavereibewegung »IRA«. Mindestens eine halbe Million Menschen lebt in Mauretanien immer noch in Leibeigenschaft, obwohl die per Gesetz bereits seit 30 Jahren verboten ist. Biram Dah Abeid prangert die Verhältnisse seit langem an und hat sich damit den Staat zum Feind gemacht, der das Problem hartnäckig leugnet. Ende April schlugen die Sicherheitsbehörden zu und verhafteten Abeid und sechs Mitstreiter.

Seit Montag dieser Woche sind die Aktivisten immerhin wieder auf freiem Fuß. Zumindest vorübergehend, denn die Anklage bleibt bestehen, und die lautet auf Terrorismus. Abeid, so die Staatsanwaltschaft, gefährde die innere Sicherheit des Landes. Bei einer Protestaktion sollen er und die anderen IRA-Mitglieder, allesamt selbst Muslime, öffentlich islamische Schriften verbrannt haben, in denen die Sklaverei als rechtens bezeichnet wird. Der Staat scheint letzteres trotz des eigenen Verbots ähnlich zu sehen. Denn bis heute hat es nur einen Fall gegeben, in dem ein Sklavenhalter vor Gericht mußte. Er wurde am Ende freigesprochen.

Die Sklavenhalter sind in aller Regel »weiße Mauren«, Araber, die vor allem im Norden leben. Die Leibeigenen stammen aus dem überwiegend schwarzen Süden. Meistens sind es Frauen und Kinder, die umsonst im Haushalt helfen oder auf den Feldern arbeiten müssen und oft von ihren Herren auch sexuell ausgebeutet werden. »Die Wirtschaft Mauretaniens lastet einzig auf ihren Schultern; erst ihre nie endende Plackerei ermöglicht den Herren ihr angenehmes Leben und garantiert sogar den Lebensunterhalt jener, die keine Sklaven halten«, schreibt der amerikanische Soziologe Kevin Bales in seinem Buch »Die neue Sklaverei«. »Sie fegen und putzen, sie kochen und betreuen die Kinder, sie bauen Häuser und hüten Schafe, sie schleppen Wasser und Ziegel – sie erledigen alle Arbeiten, die mühselig, unangenehm und schmutzig sind.«

Doch anstatt die Sklavenhalter zu bekämpfen, versucht die Regierung, Kritiker wie Biram Dah Abeid zum Schweigen zu bringen – im Interesse der Mauren, die den Staat dominieren. Bereits im Dezember 2010 hatte ein Gericht Abeid zu einem Jahr Haft verurteilt, nach drei Monaten war der Menschenrechtler begnadigt worden. Mehr als mahnende Worte aus Europa und den USA hat die Regierung um Präsident Mohammed Abdel Asis bis jetzt nicht zu fürchten gehabt: Mauretanien ist ein Eckpfeiler im Kampf gegen die zunehmende Präsenz der Al-Qaida in den Staaten südlich der Sahara. Weil die Islamisten in letzter Zeit Ausländer entführt haben, um sie nach Mali zu verschleppen, beurteilt das Auswärtige Amt die Lage in Mauretanien als kritisch. Der EU dient das Land auch als Puffer gegen Flüchtlinge, die aus der Sahel-Zone nach Europa wollen.

»Ich muß eben drauf achten, daß ich die Tür nicht zuschlage, die sich jetzt gerade einen Spalt geöffnet hat. Immerhin gestand der Präsident bei einem Treffen mit mir 2009 erstmals ein, daß es Sklaverei noch gibt«, zitiert die Süddeutsche Zeitung die UN-Berichterstatterin für Sklaverei, Gulnara Shahinian. Mit dem Islam hat diese Menschenrechtsverletzung wenig zu tun: Ein Imam im fernen Saudi-Arabien soll unlängst, so das Blatt, sogar eine Fatwa, eine Art islamisches Rechtsgutachten erlassen haben, in der Muslime aufgerufen werden, mauretanische Sklaven freizukaufen. Allah im Himmel werde es ihnen danken.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 06. September 2012


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