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Krisenbewältigung durch Präsidentensturz

Reaktion auf soziale Unruhen. Mauretaniens neue Machthaber versprechen "baldige" Neuwahlen

Von Raoul Wilsterer *

Die Islamische Republik Mauretanien erlebte am Mittwoch (6. August) den vierten Militärputsch seit der Unabhängigkeit von Frankreich 1960. Das geschah »unblutig«: Knapp anderthalb Jahre nach den seinerzeit von EU-Beobachtern als »frei und fair« gepriesenen »demokratischen Wahlen« wurde Präsident Sidi Ould Cheikh Abdallahi von einem elfköpfigen »Militärrat« für abgesetzt erklärt. Er hatte zuvor erklärt, hohe Militärs »auswechseln« und General Mohamed Ould Abdel Aziz als Chef der Präsidentengarde entlassen zu wollen. Nach Angaben »von Sicherheitskräften« (AFP) befindet er sich weiterhin in der Hauptstadt Nouakchott - als Aziz' Gefangener. Ministerpräsident Yahya Ould Ahmed Waghf, ein Minister und zwei Vertraute des Präsidenten wurden ebenfalls verhaftet.

Während dagegen unter anderem US-Außenministerin Condoleezza Rice protestierte und die »Wiedereinsetzung der demokratisch gewählten Regierung« verlangte, unterstützten am Donnerstag etwa tausend Mauretanier die Putschisten mit einem Autokorso vom Flughafen zum Präsidentenplast. Ansonsten blieb die Lage in der etwa 700000 Einwohner zählenden nordwestafrikanischen Hafenstadt weitgehend ruhig.

Dem Putsch war nicht nur eine Regierungskrise vorausgegangen: Im vergangenen halben Jahr hatte sich eine starke Unzufriedenheit in dem saharauischen Flächenstaat am Atlantik ausgebreitet. Die Verarmung von großen Teilen der Bevölkerung - Mauretanien nimmt auf dem UN-Entwicklungindex Rang 137 von 177 ein - wuchs vor allem durch rasant steigende Lebenshaltungskosten. Im Frühjahr mußte Premier Zeine Oul Zeidane zurücktreten, nachdem es zu Protesten gegen die explodierenden Nahrungsmittel- und Benzinpreise gekommen war. Hungerrevolten deuteten sich an. Zugleich wurde das parlamentarische Kräfteverhältnis immer fragiler. Im Juli verlor das Kabinett des Wahlbündnisses Coalition du Changement Démocratique (CFCD) eine Vertrauensabstimmung. 69 der insgesamt 95 Parlamentsmitglieder forderten den Rücktritt des Präsidenten.

Auf die internationalen Proteste aus Washington und Brüssel - sie waren unter anderem mit Drohungen verbunden, die Zahlung von »Entwicklungshilfe« zur Disposition zu stellen - reagierten die neuen Machthaber umgehend. Sie versprachen »schnelle Neuwahlen«, die »den demokratischen Prozeß im Land wieder ankurbeln und auf ein festes Fundament stellen« sollten. Laut der Nachrichtenagentur Agence Nouakchott d'Information (ANI) bat Aziz die übrigen Minister, in ihren Ämtern zu bleiben. Beobachter werteten es als einen Hinweis darauf, daß die Putschisten auf stabile Verhältnisse und ein besseres Krisenmanagement orientieren - ohne indes neoliberale Abhängigkeiten in Frage zu stellen. Dieses würde sich auch mit den Interessen westlicher Länder an den reichhaltigen Phosphor- und Eisenerzvorkommen Mauretaniens decken. Neuerdings wird in dem rohstoffreichen Land auch Öl gefördert.

* Aus: junge Welt, 8. August 2008


Putsch unterstützt

Sympathie für Militärs in Mauretanien **

Einen Tag nach dem Militärputsch in Mauretanien haben die neuen Machthaber eine baldige Rückkehr des nordwestafrikanischen Landes zur Demokratie versprochen. Nouakchott (AFP/ND).

Einen Tag nach dem Staatsstreich in Mauretanien haben die Militärs schnelle Neuwahlen zugesagt. Sie kündigten am Donnerstag (7. August) Präsidentschaftswahlen an, die »den demokratischen Prozess im Land wieder ankurbeln und auf ein festes Fundament stellen« sollten. Der am Mittwoch abgesetzte Präsident Sidi Ould Cheikh Abdallahi wurde nach Angaben von Sicherheitskräften im Haus der Präsidentengarde in der Hauptstadt Nouakchott festgehalten. Die Lage in der Drei-Millionen-Einwohner-Stadt war weitgehend ruhig.

In einer Erklärung des elfköpfigen Militärrats, der unter Führung des Generals Mohammed Ould Abdel Aziz den Präsidenten abgesetzt hatte, hieß es, die Neuwahlen »werden frei und transparent sein und sollen in Zukunft ein kontinuierliches und harmonisches Zusammenspiel aller verfassungsmäßigen Gewalten ermöglichen«. Abdallahi war seit März 2007 Präsident. Er war am Mittwoch abgesetzt worden, nachdem er hohe Militärs »auswechseln« und General Aziz als Chef der Präsidentengarde entlassen wollte. Die Militärs brachten gewaltlos den Präsidentenpalast, den Sitz des Regierungschefs sowie die staatliche Rundfunkanstalt unter ihre Kontrolle. Ministerpräsident Yahya Ould Ahmed Waghf sowie ein Minister wurden ebenfalls verhaftet.

Die EU drohte, Hilfsleistungen an Mauretanien auszusetzen. US-Außenministerin Condoleezza Rice forderte die Militärs auf, den Präsidenten sowie den Regierungschef unverzüglich frei zu lassen. Die Afrikanische Union rief zur Einhaltung der Rechtstaatlichkeit auf und kündigte an, ihren Kommissar für Frieden und Sicherheit nach Mauretanien zu entsenden.

Zur Unterstützung der Militärs zogen am Donnerstag (7. August) tausend Demonstranten durch die Stadt. Ein Korso mit etwa 400 Fahrzeugen vom Flughafen zum Präsidentenplast wurde von »Aziz, Aziz«Rufen begleitet. Zu der Demonstration hatten Parlamentarier aufgerufen, die den Staatsstreich unterstützt hatten.

** Aus: Neues Deutschland, 8. August 2008

Die Macht hat das Militär

Von Martin Ling **

Der Wunschkandidat entsprach offenbar nicht mehr den Wünschen. Das mauretanische Militär hat der Präsidentschaft von Sidi Ould Cheikh Abdallahi ein Ende gesetzt - immerhin unblutig. Abdallahi war 2007 der erste Präsident Mauretaniens, der sein Amt ohne Putsch oder Wahlmanipulation erreicht hatte. Damals hatte das Militär sein Versprechen nach dem Putsch von 2005 gegen Langzeitherrscher Ould Taya gehalten, recht freie Wahlen durchzuführen und das Ergebnis zu akzeptieren. Abdallahi war der ideale Kandidat: ein Elitekader ohne allzu sehr belastete Vergangenheit. Optimal, um die Kontinuität der kleinen arabischen Herrscherkaste in Mauretanien und die Pfründe des Militärs sichern zu helfen. Denn das Militär ist seit langem der zentrale innenpolitische Machtfaktor - ob direkt an der Macht oder indirekt.

Der relativ viel versprechende Prozess der Demokratisierung, den die Militärs seit 2005 gebilligt hatten, ist nun erstmal gestoppt. Selbst wenn die Militärs - wie versprochen - bald wieder an die Urnen rufen lassen, so ist doch klar, dass jede gewählte Regierung nun weiß, dass die Demokratisierung ihre Grenzen hat. Mit dem Militär alles, ohne das Militär nichts, heißt quasi der Rahmen, der jeder Regierung vorgegeben wird.

Im Westen beunruhigt der Putsch nicht primär wegen des demokratischen Rückschlags, sondern wegen etwaiger Instabilität. Mauretanien ist in der Sahel-Zone der engste Verbündete der USA im Kampf gegen den Terror. Dass die erste politische Formation, die den Putsch begrüßte, sich gleichzeitig solidarisch mit Sudans Präsident Omar al-Baschir erklärte, dürfte in Washington zumindest Sorgenfalten hervorrufen.

** Aus: Neues Deutschland, 8. August 2008 (Kommentar)




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