Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Marokko hat gewählt

Monarchie gestärkt - Sonst bleibt alles beim alten

Im Folgenden dokumentieren wir zwei Artikel, die sich mit der Wahl in Marokko befasen. Der erste Artikel enthält eine Vorschau, der zweite berichtet über das Ergebnis.



Die Wähler wählen – der König entscheidet

Votum in Marokko wird kaum etwas verändern

Von Günther Bading, Rabat *

In Marokko wird heute gewählt. Doch die Macht wird weiter vom König ausgeübt. Die islamische Opposition will dennoch stärkste Kraft werden.

Marokko ist das westlichste Land der arabischen Welt. König Mohammed VI. bemüht sich, ein Bild seines Staates zu vermitteln, das diese Aussage nicht allein auf die geografische Lage begrenzt. Von einer westlichen Demokratie ist das Königreich allerdings weit entfernt. So werden die Wahlen selbst bei einem Sieg der Opposition allenfalls die innenpolitischen Tagesgeschäfte verändern. Politische Weichenstellungen bleiben dem König vorbehalten, etwa die enge Anbindung an die USA und die EU wie die Öffnung des Landes für Auslandsinvestoren.

Marokko wird in der Verfassung als konstitutionelle Monarchie definiert, wie das Nachbarland Spanien auch. Tatsächlich aber hat der 44-jährige König eine Machtfülle, die das alle fünf Jahre zu wählende Parlament mit seinen 325 Abgeordneten als Staffage erscheinen lässt. Der König ist nicht nur Staatsoberhaupt und Oberbefehlshaber der Armee, sondern auch geistliches Oberhaupt aller Muslime. Da in einem islamischen Staat das Wort der Geistlichkeit immer Vorrang hat, gilt im Grunde in Marokko nur ein Wort: das von König Mohammed VI.

Daran ändert auch das formal unabhängige Justizwesen nichts. Nur Erb- und Familienrecht sind ausgenommen, hier gilt islamisches Recht. Die Richter des Obersten Gerichts werden vom König ernannt, ebenso der Premier sowie alle Minister. Der König kann dem Vorschlag der Mehrheitsfraktion der Nationalversammlung folgen, muss dies aber nicht.

Ihre Wirkung entfalten Oppositionsparteien deshalb weitgehend über die Medien. Allerdings gilt manchem der Wahlbeobachter die Pressefreiheit gefährdet. Erst kürzlich sind Ausgaben zweier Wochenzeitungen beschlagnahmt worden, Journalisten standen wegen Beleidigung seiner Majestät vor Gericht.

Wegen des begrenzten Einflusses des Parlaments wird eine geringe Wahlbeteiligung erwartet. Beim letzten Urnengang 2002 lag sie bei nur 51,6 Prozent. Armut, Arbeitslosigkeit und Analphabetismus scheinen Gründe für die politische Apathie auch im gar nicht heißen Wahlkampf zu sein. Das gilt vor allem für die Landbevölkerung und die Bewohner der Armenviertel in den Großstädten.

Hier liegt das Stimmenreservoir für die aufstrebende Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (PJD), die in der letzten Nationalversammlung 42 Sitze hatte und der in Umfragen jetzt bis zu 70 Mandate prophezeit werden. Die PJD gilt als gemäßigt islamistisch, vor allem aber als sozial. Sie hat nicht nur den Namen mit der türkischen AKP von Premierminister Erdogan und Präsident Gül gemein, sondern auch den politischen Ansatz. Sollte die PJD stärkste Fraktion werden und gar mit der Regierungsbildung beauftragt werden, wird sich an der Vormachtstellung des Königs nichts ändern.

Als gute Islamisten akzeptieren die Abgeordneten der PJD die Führungsrolle des »Emirs aller Muslime«. Die ist im Übrigen auch im Artikel 19 der marokkanischen Verfassung festgeschrieben.

* Aus: Neues Deutschland, 7. September 2007


Marokkos König ließ wählen

Nach den Wahlen: Gemäßigte Islamisten überraschend erfolglos. Alawiten-Monarchie stärkt ihre Macht

Von Anton Holberg **

Vor den Wahlen in Marokko am Sonntag (9. Sept.) stand es kaum in Zweifel, daß die gemäßigte islamische Gerechtigkeits- und Entwicklungspartei (PJD) stärkste Kraft werden würde. PJD-Vertreter waren, von dem Erfolg der ihnen nahestehenden Regierungspartei AKP in der Türkei beflügelt, von etwa 80 der insgesamt 325 Abgeordneten im zukünftigen Parlament ausgegangen. Am Ende waren es etwas mehr als die Hälfte. Stärkste Partei wurde mit der konservativen Istiqlal (Unabhängigkeitspartei) die älteste politische Gruppierung in Marokko. Die Istiqlal repräsentiert den konservativen Flügel der Unabhängigkeitsbewegung, die bis Mitte der fünfziger Jahre gegen die französischen und spanischen Kolonialmächte gekämpft hatte. Auch die etwas linkere Union Socialiste des Forces Populaires (USFP) war aus dieser Unabhängigkeitsbewegung hervorgegangen.

Die islamistische PJD hat zwar die Mitte-Links-Kraft USFP, die mit der Istiqlal zusammen den Kern der bisherigen Regierungskoalition bildete, weit überholt. Denn während die Istiqlal 52 Sitze und die PJD immerhin 47 Sitze erringen konnte, kam die USFP nur noch auf 36 Sitze.

Das gute Abschneiden der Islamisten ist jedoch nur ein relativer Erfolg. Denn die Erwartungen waren um einiges größer. Ihr prozentualer Zuwachs ist wohl nur darauf zurückzuführen, daß sie in deutlich mehr Wahlkreisen angetreten ist als im Jahr 2002. Geschadet hat ihr offenbar die klare Abnahme des Interesses der Marokkaner: Von den 15,5 Millionen Wahlberechtigten sind gerade einmal 37 Prozent an die Wahlurnen gegangen.

Die magere Wahlbeteiligung ist jedoch eine Niederlage für alle Parteien und überschattet auch den Vorwurf der PJD, die Konkurrenz habe Stimmen gekauft. So oder so: Das Parlament hat gegenüber König Mohammed VI. weiter an dem bisher ohnehin nur nominalen Einfluß verloren. Das Scheitern der PJD ist zudem auf ihre nach wie vor schwache Präsenz in den ländlichen Gebieten zurückzuführen. Zu schaffen machten ihr auch zwei Abspaltungen, vor allem aber die Weigerung der starken islamistischen Organisation Al Adl Al Ihsan (Gerechtigkeit und Wohltätigkeit), die Kandidatur der Partei zu unterstützen. Die einflußreiche sozialreligiöse Gruppierung hatte 2002 und auch in diesem Jahr die nicht unbegründete Position eingenommen, daß Parlamentswahlen in der marokkanischen Monarchie nichts verändern könnten, weil alle Macht vom König ausgehe. Tatsächlich ernennt Mohammed VI. eigenmächtig den Ministerpräsidenten, der seierseits das Kabinett zusammenstellt.

Weil es dem Monarchen bisher gelungen ist, die Interessen geschickt zu verwalten, könnte er nun auch versuchen, die PJD zufriedenzustellen. Spekulationen zufolge wird er die Istiqlal zu einer Regierungskoalition mit den gemäßigten Islamisten bewegen. Mohammed VI. könnte so das Protestpotential der PJD schwächen, würde allerdings die Gefahr einer Radikalisierung der islamistischen Szene in Marokko schaffen. Ob die gemäßigten oder die radikalen Islamisten die größere Gefahr für den Herrschaftsapparat der alawitischen Monarchie darstellen, ist nicht zusagen. Die Linke jedenfalls ist es nicht.

** Aus: junge Welt, 11. September 2007


Zurück zur Marokko-Seite

Zurück zur Homepage