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Marokkos Justiz verhängt Maulkörbe

Zensur gegen Tabubrecher vor Wahlen

Von David Siebert *

Schlechte Zeiten für die Pressefreiheit in Marokko: Letze Woche wurde Mustapha Hurmatallah, Journalist der Zeitung »Al Watan Al An« zu acht Monaten Haft verurteilt. Er soll »vertrauliche Dokumente« über den »Antiterrorkampf« veröffentlicht haben.

»Dieses Urteil ist politisch motiviert und soll Journalisten einschüchtern« kritisierte Jim Boumelha, Präsident der Internationalen Journalisten-Föderation (IFJ). Bereits Anfang August beschlagnahmten die Behörden 100 000 Exemplare des französischsprachigen Wochenmagazins »Tel Quel« und seiner arabischen Schwesterausgabe »Nichane«. Herausgeber Achmed Benchemsi hatte eine Rede des Königs zu den Parlamentswahlen am kommenden 7. September kritisiert. Am Freitag muss er wegen »Beleidigung des Königs« vor Gericht.

In den letzten Jahren galt Marokko als Land mit Fortschritten bezüglich der Pressefreiheit. Unabhängige Wochenmagazine wie »Le Journal Hebdo«, »Nichane« und »Tel Quel« machten sich als Tabubrecher einen Namen. Mit Aufmachern wie »Die Marokkaner und der Alkohol«, »Homosexualität in Marokko« oder »Das Vermögen des Königs« sorgen sie regelmäßig für Aufsehen. Die lebendige Presselandschaft galt als Beweis für das Demokratisierungsstreben des jungen Königs Mohammed VI.

Dennoch häufen sich Klagen von Journalistenverbänden. Die Behörden übten ihren Druck indirekt über die Justiz aus, heißt es in einem Bericht des US-amerikanischen Komitees zum Schutz von Journalisten (CPJ). Dessen verfasser Joel Campagna schreibt: »Gegen eine Reihe unabhängiger Medien wurden extrem hohe Schadenersatzforderungen wegen angeblicher Verleumdungen verhängt. Die marokkanischen Journalisten, mit denen wir gesprochen haben, lassen keinen Zweifel daran, dass mit den Urteilen regimekritische Journalisten bestraft werden sollen.«

Im April 2006 verurteilte die Justiz Aboubakr Jamaï, Herausgeber des »Journal Hebdo«, zur Zahlung von 270 000 Euro Schadenersatz. Das Magazin hatte einen Bericht des »European Strategic Intelligence & Security Centre« (ESISC) über die Westsahara-Unabhängigkeitsbewegung Polisario in Frage gestellt. Das private europäische Institut hatte deswegen eine Verleumdungsklage eingereicht. Im Januar 2007 trat Jamaï als Herausgeber zurück, um den wegen der Geldstrafe drohenden Ruin der Zeitschrift abzuwenden.

Auch »Nichane« wurde Anfang des Jahres Opfer von Zensur. Nach Veröffentlichung des Artikels »Wie die Marokkaner über Sex, Politik und Religion lachen« wurden die Journalisten Driss Ksikes und Sanaa Elaji wegen Verletzung der »heiligen Werte« der Monarchie und des Islams zu drei Jahren Bewährungsstrafe und 7200 Euro Geldstrafe verurteilt. »Nichane« erhielt ein zweimonatiges Publikationsverbot. Nach einem neuen Pressegesetz kann mit Gefängnishaft bis zu fünf Jahren bestraft werden, wer die Königsfamilie kritisiert, die »Moral der Armee untergräbt« oder den Islam oder die Integrität des Nationalstaats in Frage stellt. In den letzten fünf Jahren wurden 13 Journalisten wegen dieser Straftatbestände verurteilt.

Auch andere Akteure der Zivilgesellschaft berichten von Repression. Nach Demonstrationen am 1. Mai wurden Mitglieder der Marokkanischen Menschenrechtsorganisation (AMDH) festgenommen. »Sie sollen Parolen gerufen haben, die den König kritisieren«, erklärt AMDH-Vizepräsident Abdelhamid Amine. Zehn Aktivisten wurden zu Haft bis zu drei Jahren und zusätzlichen hohen Geldstrafen verurteilt. Unter den Festgenommenen ist auch Mohammed Bougrine, ein 72-Jähriger, der bereits unter König Hassan II. 15 Jahre Haft verbüßen musste. Abdelhamid Amine kommentiert: »Wir sind noch weit von der Demokratie entfernt. Es gab Fortschritte im Bereich der Menschen- und Bürgerrechte. Aber sie sind nicht in der Verfassung verankert und können jederzeit zurückgenommen werden!«

* Aus: Neues Deutschland, 23. August 2007


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