Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Ihr Araber sprecht ja wie wir!

Von Armin Köhli*

Malta - Die katholische Bastion Malta hat arabische Fundamente. Wäre das Land besser der Arabischen Liga beigetreten als der Europäischen Union?

Sicher, Muslime, und Christen beten zum gleichen Gott. Aber Katholiken, die zu «Alla» beten? In Maltas zahllosen Kirchen wird tatsächlich Alla gepriesen, sein Name findet sich auch in religiösen Inschriften an den Kirchenwänden. Allah ist der arabische Name für Gott. Auch sonst tönt Maltesisch wie Arabisch. Und Maltesisch ist Arabisch. Die maltesische Sprache ist ein arabischer Dialekt, den die Malteser mit dem lateinischen Alphabet schreiben. Nun definiert sich der arabische Raum vorab über die gemeinsame Sprache. Ist Malta also das erste arabische Land in der EU?

«Diese Frage hören hier viele Leute nicht gerne», sagt Adrian Grima, querdenkender Universitätsdozent. Und viele Malteser mögen nicht einmal anerkennen, daß Maltesisch ein Dialekt des Arabischen ist. Man spricht lieber von «phönizisch, versetzt mit vielen arabischen Fremdwörtern», aber eben auch englischen und italienischen Lehnwörtern.

Kulturkampf

Die Mittelmeerinsel Malta war jahrhundertelang eine Front des Kulturkampfes zwischen Christentum und Islam, war eine von den Kreuzfahrern errichtete antiislamische Festung im Mittelmeer. Die Ritter und ihr Katholizismus merzten die letzten Spuren des Arabischen im kollektiven maltesischen Bewußtsein aus. «Die Lebenslüge Maltas besteht in der Behauptung, die Insel sei von Paulus missioniert und seither ohne Unterbrechung von Christen bewohnt worden», sagt Godfrey Wettinger, emeritierter Professor der Universität Malta. Die Christen hätten also auch die muslimisch-arabische Besetzung der Insel überlebt, die ab etwa 870 bis ins Jahr 1090 dauerte. «Dafür gibt es keinen einzigen Beleg», sagt Wettinger. «Im Gegenteil: Alles weist darauf hin, daß nur noch Muslime auf Malta gelebt haben.» Wettinger lehrt seit über dreißig Jahren an der Universität. Durch die Beschäftigung mit der Sklaverei begann er, sich mit der arabischen und muslimischen Präsenz auf Malta auseinanderzusetzen. Denn sämtliche Sklaven waren Muslime. Die Hälfte sprach arabisch, andere türkisch, bosnisch, rumerisch (bulgarisch). «Seither bin ich gefangen in dieser Nische: der muslimisch-arabisch(-türkisch)e Kontakt mit Malta», so Wettinger. «Malta gehörte zur muslimischen Welt - doch wir haben das nachher nicht akzeptiert.»

Der zweite Teil der maltesischen Lebenslüge: Im dreizehnten Jahrhundert seien die Araber allesamt von der Insel vertrieben worden. «Auch das kann nicht stimmen», sagt Wettinger. Vermutlich mußten sie nur, wie etwa auch auf Sizilien, mit der Zeit ihren muslimischen Glauben ablegen. Sich taufen zu lassen oder vertrieben zu werden, war schließlich die Wahl - und wie viele Menschen geben Hab und Gut auf, wenn sie sich statt dessen oberflächlich zu einer anderen Religion bekennen können?

«Heute müssen die Archäologen und Historiker das akzeptieren, doch die meisten vermeiden das Thema einfach», sagt der 74-jährige Wettinger, der zeitweise die historische Fakultät der Universität von Malta leitete.

«Ich insistiere und komme mir vor wie der Junge, der den Kaiser nackt zeigt. Das machte mich .» Und kontrovers heiße in Malta: Man kann ihm nicht trauen. «Akademisch bin ich sicher nicht kontrovers, sondern nur für jene ungebildeten Leute, die lieber traditionellen Erzählungen anhängen und ihr Wissen aus religiösen Predigten beziehen. Doch selbst die Politiker, die mir privat Recht geben, trauen sich nicht, öffentlich zu mir zu stehen.» Wettingers Arbeit «The Arabs in Malta» (1986) orientiert sich an der früheren Forschung des deutschen Albert Mayr, die in Malta nicht zur Kenntnis genommen wurde; wohl auch, weil Mayr in deutsch publizierte. Wettinger berichtet, daß ein prominenter Politiker – aus unbekannten Gründen – Mayrs Text schon in den sechziger Jahren aus dem Deutschen ins Italienische übersetzen ließ. Doch er wurde nie veröffentlicht. Nach seinem Tod ging die Übersetzung an das «Melitta Historical» weiter - aber dort hielt man sie zurück. Erst Wettinger griff Mayrs Thesen auf - und machte dessen Gedanken zu seinen eigenen. In der ersten Version von «The Arabs in Malta» unterlief ihm dabei allerdings ein grober Fehler: Er unterließ es, Mayr zu zitieren. In der zweiten Auflage korrigierte Wettinger das.

Doch warum will Malta von der eigenen arabischen Geschichte nichts wissen? Wegen der Religion, meint Wettinger, und aus Rassismus. «Der Klerus schüchtert die Menschen ein: <... sonst wirst du nicht auf dem Friedhof begraben, sondern endest auf einer Müllhalde>.»

Wohin gehört Malta also: zu Europa oder zur arabischen Welt? «Meinen Studenten sage ich oft: Wir sind von allen Arabern die europäischsten, noch vor Libanon und Tunesien. Doch im Ernst kann man heute nicht mehr sagen, daß wir Araber sind.» Die Reihenfolge, in der Wettinger die Gründe dafür aufzählt, ist bemerkenswert:
  • Die Araber zählen Malta nicht zur arabischen Welt.
  • Die Malteser sehen sich selbst nicht als Araber.
  • Die Malteser sind keine Muslime.
  • Maltesisch ist kein klassisches Arabisch, sondern eine Umgangssprache, die - im Gegensatz zu den anderen arabischen Dialekten - auch geschrieben wird.
  • In Malta wird die lateinische Schrift verwendet.
  • In Malta gibt es nicht das geringste Interesse an arabischer Literatur.
Das Feld heißt Mujahid

Am deutlichsten wird das arabische Erbe in den Ortsnamen: Die Städtchen heißen beispielsweise Mdina, Marsa und Zejtun. Wettinger erforschte die Herkunft der Orts- und Flurnamen. Er fand etwa 700 arabische Namen in Malta, inklusive zwei von Mohammeds Frauen. Ein Feld in Malta heißt gar heute noch Mujahid (Freiheitskämpfer, kämpfer für den Glauben, aber fleißig bemühung) Diese Namen entstanden nicht aus romantischen Gründen, wie beispielsweise Sonnenberg oder Regensdorf im deutschsprachigen Raum, sondern sie bezeichneten die Besitzverhältnisse: Das Feld des Mujahid. Diese etwa 700 heute noch verwendete Namen stammen aus einer Zeit, die in Malta noch immer vollkommen ignoriert wird.

Mit der erneuten Christianisierung ab 1250 mußten die Menschen Familiennamen annehmen. Sie machten es wie in der arabischen Welt: der Familienname als «Sohn von...» So hießen viele Christen mit Familiennamen Mohammed! Mit der veränderten - und verschlechterten - Beziehung zur arabischen Welt mußte Mohammed verschwinden und wurde zu Mamo, Mamu. Diesen Namen, so Wettinger, gibt es auch in Kurdistan und Nordafrika. Wettinger gibt im Gespräch noch eine weitere, bisher nicht veröffentlichte Erklärung, warum sich die Menschen von ihren muslimischen Namen lösten: Wer bei Überfällen von Malta nach Nordafrika verschleppt wurde, mußte Lösegeld bezahlen und kam wieder frei. Doch hieß er zum Beispiel Mohammed, so hieß es: «Du bist doch Muslim! Du mußt sofort beschnitten werden, du gehörst ja zu uns...!» Grund genug, jede Verbindung zu kappen.

Es ist nicht einfach, Malta einzuordnen: Man grüßt mit dem arabischen «Merhaba» und verabschiedet sich mit «Ciao». Die Häuser sehen aus wie die in den engen Gassen einer arabischen Stadt: mit Erkern, hölzernen Vorbauten und flachen Dächern. Aber sie stammen nicht aus arabischer Zeit, sondern wurden lange danach gebaut, der Stil wohl geprägt von denEindrücken der Kaufleute, die vor allem in der arabischen Welt unterwegs waren. Und doch ist die Ähnlichkeit auch heutiger Bauten mit der nordafrikanischen Architektur kein Zufall: Flachdächer sind in Malta Vorschrift, das Gesetz erlaubt nur für Industriebauten ein schräges Dach. Privat gesteht man sich eine Verwandtschaft mit den Arabern schon zu. Nach einem Tunesienbesuch etwa: «Dort sieht es ja aus wie bei uns.»

Araber aber sind auf Malta Fremde. Eine arabische Bankerin, die seit ein paar Jahren auf Malta lebt, schimpft: «Sie kämpfen heute noch den Krieg Kreuz gegen Halbmond, und sie leben glücklich damit.» Nach Malta zu kommen war für sie ein Schock: «Ich lebte plötzlich in einer historischen Kapsel, fühlte mich umgeben von intellektueller Amnesie. Außerdem bin ich als Frau wohl befreiter als die durchschnittliche Malteserin.» Sie spricht von einem regelrechten Haß auf die Araber, vor allem auf die Libyer. «Aber die Libyer sind auch selber schuld daran. Während des Ölbooms der siebziger Jahre kamen sie mit der Haltung nach Malta: Manche junge Malteserin wurde schwanger und mußte dann sehen, daß ihr libyscher Freund noch zwei, drei andere Freundinnen hatte. Und dann schlägt er sie auch noch.»

Maltesische Studenten im arabischen Ausland können sich mit Maltesisch gut verständigen, wenn sie einfach die aus dem Italienisch stammenden Worte weglassen. Denn das maltesische Alltagsvokabular ist entstammt vollständig dem Arabischen. Im Alphabet fehlen nur die Buchstaben Ain und Ghain. Geographisch läßt sich Maltesisch kaum einordnen – es enthält Begriffe aus der ganzen arabischen Welt. Andere arabische Dialekte hingegen verstehen gewöhnliche Malteser kaum. Eine syrische Touristin erzählt, sie habe es im Hotel mit Arabisch versucht - keine Chance! «Ich hingegen verstehe Malteser ja, wenn sie langsam reden.» Und ein Libanese, der schon dreißig Jahre auf Malta lebt, antwortet: «Das Schönste ist, daß sie sagen: »

* Armin Köhli ist Redakteur der Schweizer Wochenzeitung WoZ.


Dieser Beitrag erschien in: inamo (Informationsprojekt Naher und Mittlerer Osten e.V.), Nr. 43, Herbst 2005

Die Zeitschrift inamo erscheint vier Mal im Jahr und ist zu beziehen bei:
Redaktion inamo
Dahlmannstr. 31
10629 Berlin
(Tel.: 030/86421845; e-mail: redaktion@inamo.de )




Zurück zur Malta-Seite

Zurück zur Homepage