Der Westen misst mit zweierlei Maß
Aminata Traoré über die Intervention Frankreichs in Mali und "gute" und "schlechte" Gotteskrieger
Aminata Traoré ist Menschenrechtsaktivistin und Koordinatorin des Forums für ein anderes Mali (FORAM). Sie besuchte auf Einladung der Rosa-Luxemburg-Stiftung vergangene Woche Berlin, um unter anderem auf der Veranstaltung »Mali in der Zwischenzeit - nach der Militärintervention, vor den Wahlen« zu berichten. Mit ihr sprach für »nd« in Berlin Martin Ling.
Frau Traoré, Sie haben es von
Mali nach Deutschland geschafft,
Oumar Mariko, dem Generalsekretär
der linksorientierten Partei
Sadi wurde selbst ein Besuchsvisum
verweigert. Haben Sie dafür
eine Erklärung?
Nein, ich war davon völlig überrascht.
Ich habe das erst mitgekriegt
als ich selbst meinen Pass
zurückbekommen habe, mit eingeschränktem
Besuchsvisum nur
für Deutschland, nicht für den
Schengen-Raum. Eine Erklärung
dafür gab es so wenig wie für Marikos
generelle Ablehnung. Ich
denke, dass es darum geht, kritische
Stimmen zur Mali-Intervention
unter dem Deckel zu halten.
Sie leben im Süden Malis. Haben
Sie Informationen über die
Entwicklung im Norden seit dem
Beginn der Militärintervention
Frankreichs im Januar 2013?
Sicher bekommen wir Informationen
aus dem Norden, auch wenn
versucht wird, vieles zu verschweigen.
Auf alle Fälle wurde
gerade der Ausnahmezustand in
ganz Mali um weitere drei Monate
verlängert. Damit versucht die Regierung
jede Diskussion über den
Krieg zu unterdrücken, denn damit
sind öffentliche Versammlungen,
Manifestationen und alle anderen
Aktionen, die gegen die öffentliche
Ordnung verstoßen können,
verboten. Der Krieg gegen die
Islamisten und der Ausnahmezustand
helfen der Regierung, die
grundsätzlichen Probleme im Land
wie die hohe Arbeitslosigkeit und
die Armut als Diskussionsthemen
außen vorzuhalten.
Offiziell wird die Intervention
mit der islamistischen Gefahr und
dem Terror der Islamisten im Norden
begründet. Halten Sie diese
Begründung für glaubwürdig?
Offensichtlich ist, dass beim Krieg
gegen den Terror mit zweierlei
Maß gemessen wird: Aus Sicht des
Westens gibt es gute Dschihadisten
wie in Syrien oder zuvor in Libyen
und einst in Afghanistan und
schlechte Dschihadisten wie in
Mali – je nachdem gegen welche
Regierung sie gerade kämpfen. Es
gibt ja auch gute und schlechte
Putschisten. Die Putschisten in
Mali wurden 2012 mit Sanktionen
belegt, am Sturz der Regierung in
der Zentralafrikanischen Republik
durch Rebellen im März 2013
nahm keiner Anstoß, weil dort eine
aus Sicht von Frankreich unbeliebte
Regierung gestürzt wurde.
Und in Mali weiß jedermann,
dass die Dschihadisten im Norden
aus dem Emirat Katar finanziert
werden – einem bevorzugten
Wirtschaftskooperationspartner
Frankreichs.
Trotzdem soll es im Juli in Mali
Neuwahlen geben, die turnusmäßig
vor einem Jahr stattgefunden
hätten. Ist das realistisch?
Das ist surrealistisch. Aber es passt
in die Logik dessen, was in Mali
gerade vor sich geht. Frankreich
hat die Militärintervention gestartet,
um eine ihr genehme Regierung
zu stützen, eine Regierung,
die den französischen Interessen
nachkommt. Um die Demokratie in
Mali, um die großen Probleme der
malischen Bevölkerung geht es
dabei nicht. Wenn die Malier selbst
entscheiden könnten, würden sie
die Wahlen verschieben, bis das
Land wieder einigermaßen stabil
und die Sicherheitslage akzeptabel
ist. Aber die Wahlen sollen nun,
koste es, was es wolle, durchgeführt
werden. Allein im Ausland
leben 600 000 Malier, denen im
Moment die Wahlteilnahme verweigert
wird. Unter demokratischen
Gesichtspunkten sind diese
Wahlen sehr fragwürdig.
Welche Interessen verfolgt
Frankreich in Mali konkret?
Wirtschaftsinteressen: Fast alles,
was in Mali konsumiert wird, wird
aus Frankreich importiert. Frankreich
»liebt« Mali. Deswegen leistet
es seit Jahrzehnten Entwicklungshilfe.
Aber das Prinzip besteht
darin, dass man gibt, um
noch mehr zu nehmen. Die Statistiken
der französischen Botschaft
in Bamako belegen, dass mehr aus
Mali an Profiten rausfließt als an
Entwicklungsgeldern rein.
Nicht nur Frankreich hat interveniert,
sondern auch die Westafrikanische
Staatengemeinschaft
ECOWAS hat Truppen geschickt.
Halten Sie das für legitim?
Es ist nicht legitim, weil Mali die
militärische Lösung zu diesem
Zeitpunkt nicht gewählt hat, sie
wurde aufgezwungen. Und die
ECOWAS haben auch gar nicht die
Mittel, diesen Krieg zu führen.
ECOWAS und die malische Armee
müssten erst in die Lage versetzt
werden, selbst im Norden wieder
Stabilität herzustellen.
Könnte die malische Zivilgesellschaft
stärker auf eine friedliche
Lösung drängen?
Das ist nicht erwünscht. Die internationale
Gemeinschaft zeigt kein
Interesse an einer aufgeklärten
malischen Zivilgesellschaft. Sie hat
entschieden, dass es zwei Probleme
gibt: ein militärisches und ein
politisches. Das erste soll durch die
Militärintervention gelöst werden,
das zweite durch die Wahlen. Dabei
werden die der Krise zugrundeliegenden
wirtschaftlichen Probleme der Unterbeschäftigung
und Armut schlicht geleugnet. Mehr als eine oberflächliche Befriedung
kann es so nicht geben.
* Aus: neues deutschland, Montag, 22. April 2013
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