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Die Büchse der Pandora

Krieg ohne Ende: Wie eine westliche Militärintervention die Voraussetzungen für die nächsten schafft

Von Knut Mellenthin *

Die am 11. Januar begonnene französische Militär­intervention in Mali scheint ihre Ziele überraschend schnell erreicht zu haben. Nach der Einnahme Gaos am Sonnabend blieb nur noch Timbuktu unter Kontrolle der Rebellen. Dessen »Rückeroberung« durch die französischen Elitetruppen ist höchstens noch eine Frage von Tagen. Jetzt bleibt abzuwarten, wie lange die Soldaten der alten, nie ganz aus Nordafrika abgerückten Kolonialmacht als Besatzer im Land bleiben sollen. Angeblich werden sehr bald Einheiten aus dem Nachbarstaat Niger und aus dem weiter östlich gelegenen Tschad das Staffelholz übernehmen, verlautet aus dem Verteidigungsministerium in Paris. Es wäre aber erstaunlich, wenn nicht dennoch einige hundert Franzosen als »Militärberater« fest in Nordmali stationiert würden, um die Oberaufsicht zu behalten. Niger und Tschad gehörten, wie Mali, zum französischen Kolonialimperium. Die Streitkräfte beider Länder kämpfen im eigenen Land schon seit Jahrzehnten nicht gerade erfolgreich gegen einheimische Rebellen. Dabei haben sie mehrfach die Unterstützung von Soldaten aus dem alten »Mutterland« in Anspruch genommen.

Daß die früheren europäischen Kolonialmächte, die den afrikanischen Kontinent fast vollständig unter sich aufgeteilt hatten, nicht daran denken, den Mali-Feldzug schnell abzuschließen, wird durch eine Äußerung des britischen Premierministers David Cameron erhellt. »Dies ist eine globale Bedrohung und sie wird eine globale Antwort erfordern«, erklärte er am Sonntag vor einer Woche. »Sie verlangt eine Antwort, bei der es um Jahre, sogar um Jahrzehnte gehen wird, und nicht um Monate.« Die Lage in Nordafrika sei ähnlich wie »in Pakistan und Afghanistan«; »deshalb muß die Welt zusammenkommen, um mit dieser Bedrohung fertig zu werden«. (Guardian, 20.1.2013)

Mit dem Traum von einem endlosen »Generationenkrieg« (Cameron), für den sich immer wieder neue Schauplätze finden und erfinden lassen, knüpft der britische Regierungschef direkt an die vorübergehend aus der Mode gekommene Weltkriegspropaganda der US-amerikanischen Neokonservativen nach dem 11. September 2001 an. Auffallend und wohl kaum zufällig ist, daß die Bevölkerung in den angegriffenen oder durch militärische Einmischung destabilisierten Ländern mehrheitlich der islamischen Religionsgemeinschaft angehört.

Gern vertauschen die Betreiber und Befürworter dieses Kreuzzugs Ursachen und Wirkungen. In einem Interview mit Springers Welt (17.1.2013) ereiferte sich der frühere Generalinspekteur der Bundeswehr, Klaus Naumann, theatralisch: »Die EU insgesamt kann nicht zusehen, wenn der Norden Afrikas destabilisiert wird.« In Wirklichkeit hat gerade die Europäische Union mit ihrem Eingreifen in den libyschen Bürgerkrieg 2011 einen entscheidenden Beitrag zu der jetzt beklagten Entwicklung geleistet. Das ist so eindeutig und unstrittig, daß sogar die Außenministerin der USA offen darüber spricht. Bei einer Kongreß-Anhörung beschrieb Hillary Clinton am Mittwoch ausführlich, wie der Sturz Muammar Al-Ghaddafis die Instabilität in der Region gefördert habe. Mit den Waffen, die auf diese Weise in den Nahen Osten und nach Nordafrika gelangt seien, sei »die Büchse der Pandora« geöffnet worden. Das sei »die Quelle einer der größten Bedrohungen, denen wir gegenüberstehen«. (Fox News, 23.1.2013)

Erstaunlich ist freilich, daß die Obama-Administration trotz dieser scheinbaren Einsicht seit Monaten mit den gleichen Methoden gegen Syrien operiert, mit denen der libysche Staat zerschlagen wurde und die die USA zuvor in den 1980er Jahren in Afghanistan angewendet hatten. Von versehentlichen Fehlern kann man vor diesem Hintergrund nicht glaubwürdig sprechen. Durch den mit der umfassenden Hilfe des Westens für die Rebellen ermöglichten Umsturz in Libyen kamen nicht nur ungeheure Mengen an Waffen in Umlauf, darunter nicht zu vergessen auch aus den modernen Arsenalen, die die reaktionärsten Staaten der arabischen Welt mit dem Segen von EU und USA an die Islamisten geliefert hatten. Es kehrten auch Tausende Tuareg in ihre Heimatländer zurück, die in den libyschen Streitkräften gedient hatten und jetzt keine zivile Perspektive haben. Gleiches gilt für Zehntausende Arbeitsemigranten, die durch den Rassenhaß der »Freiheitskämpfer« aus Libyen vertrieben wurden – in Länder, die schon zuvor unlösbare wirtschaftliche und soziale Probleme hatten.

Nicht zuletzt: Libyen wurde durch die Militärintervention der NATO in einen »Failed state«, in ein unregierbares Land ohne Zentralmacht, verwandelt. Weite Gebiete vor allem im Süden Libyens sind auf diese Weise genau das geworden, was die westliche Kriegspropaganda dem Norden Malis zuschreibt: eine »sichere Zuflucht für Terroristen«. Die islamistische Gruppe, die kürzlich ein algerisches Erdgasfeld besetzte, war über die nur 60 Kilometer entfernte libysche Grenze gekommen. Sie war mit Waffen aus Libyen ausgerüstet, darunter mit solchen, die zuvor ihren Weg über Saudi-Arabien und Katar genommen hatten. Es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis westliche Politiker unverfroren genug sind, mit solchen Begründungen zum nächsten Krieg gegen Libyen aufzurufen.

* Aus: junge Welt, Montag, 28. Januar 2013


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