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Nach Kolonialherrenart

Hintergrund. Der französische Präsident François Hollande gibt vor, die Freiheit nach Mali militärisch zu exportieren. In Wirklichkeit geht es ums Geschäft

Von Hansgeorg Hermann *

Daß US-Amerikaner sich vor dem Krieg im Irak und meist auch danach noch fragten, wo dieses Land eigentlich liege, ist kein Geheimnis, und ein Witz ist es auch nicht. Als nun im Januar 2013 die Atommacht Frankreich auf Anordnung ihres sozialdemokratischen Präsidenten François Hollande nach Nordwestafrika in die Schlacht zog, stellten sich nicht wenige Franzosen, ja Europäer, eine ähnliche Frage: Wo liegt eigentlich dieses Mali?

Im üblichen »Mahlstrom der Informationen«, erinnerte sich unlängst der Pariser Historiker und Sorbonne-Professor Pierre Boilley in einem Essay für die Tageszeitung Libération an die ersten Tage nach dem Einmarsch französischer Spezialeinheiten in das bitterarme Land, ging es zunächst drunter und drüber: franko-malische Attacke, Geiselnahmen, Rebellen, Terroristen, Islamisten, Tuareg, Staatsstreich – alles landete im selben Topf. Angerührt wurde eine trübe Suppe für christliche Helden im muslimischen »Bimboland«, gewürzt mit bisweilen abenteuerlichem Vokabular, serviert ohne Kenntnis der jüngeren nordafrikanischen Geschichte.

Journalisten des Landes rühmten unisono die Entschlossenheit des Präsidenten: Hollande – dem breiten Publikum in den Wochen zuvor noch als zweifelnder, politisch impotenter Zauderer vorgeführt – habe sich ohne zu zögern »islamistischen Terroristen« entgegengestellt, die ehemalige Kolonie in einer Art Blitzkrieg befreit, die muslimische Bevölkerung im allgemeinen vor der Scharia, die Frauen im Speziellen vor der Burka und die freie katholische Welt vor neuer kultureller Schande bewahrt. Quasi in konzertierter Aktion stellte das rechtsliberale Politik-Magazin l’Express auf seiner Titelseite »unsere islamistischen Feinde« vor, während die Nachrichtenmacher des Fernsehens auf allen Kanälen das malische Volk jubeln ließen. Der kleine, rundliche Präsident beim Bad in der Menge, Hände schüttelnd, Kindergesichter tätschelnd, eingerahmt von hochgewachsenen, düster blickenden Offizieren des nationalen Militärs – dunklen Gestalten mit Pinochet-Sonnenbrillen.

Tuareg und Islamisten

Was war geschehen? Eine Chronik:
  • Im Januar 2012 rebellieren im Norden Malis die Tuareg. Sie sind keine Islamisten, sie wollen nicht die Scharia, sondern Autonomie innerhalb der Grenzen des Staates Mali.
  • Am 22. März 2012 stürzt die malische Armee den Präsidenten Amadou Toumani Touré wegen »Inkompetenz« und zu lascher Haltung gegenüber den Rebellen und/oder Terroristen im Nordteil des Landes. Als Interimspräsident wird zunächst der Vorsitzende der Nationalversammlung, Dioncounda Traoré, eingesetzt.
  • Am 6. April erklären die Tuareg-Rebellen der ­MNLA (Mouvement National pour la Libération de l’Azawad) die – international nicht anerkannte – Unabhängigkeit des von ihnen Azawad genannten Nordens, die Städte Gao und Timbuktu fallen in ihre Hände.
  • Am 20. Dezember autorisiert eine UNO-Resolution – ohne einen bestimmten Zeitraum zu fixieren – das Eingreifen fremder »Hilfstruppen« in Mali.
  • »Bewaffnete islamistische Banden« (Pariser Regierungs- und Zeitungsjargon) überfallen und besetzen am 10. Januar 2013 die im Südteil des Landes liegende Stadt Konna. Die Regierung in Paris schickt Eliteeinheiten der Armee nach Mali, Algerien öffnet der französischen Luftwaffe seinen Luftraum.
  • 32 »Terroristen« der »AQMI« (Al-Qaida au Maghreb islamique) dringen am 16. Januar in die algerische Raffinerie von Tiguentourine ein und nehmen rund 100 Arbeiter und Angestellte als Geiseln.
  • Am 18. Januar erobern französische und malische Armee-Einheiten die Stadt Konna.
  • Am 26. und 28. Januar gelingt auch die Rückeroberung der nordmalischen Städte Goa und Timbuktu. Die AQMI-Verbände ziehen sich in das gebirgige malisch-algerische Grenzgebiet nördlich der Stadt Kidal zurück.
Vier schwerbewaffnete und motorisierte, zum Teil konkurrierende Gruppen hatten bis zum Eingreifen der französischen Armee den Norden Malis besetzt und/oder kontrolliert:
  • An erster Stelle die AQMI, seit zehn Jahren in Mali präsent, ohne jemals von malischen Streitkräften oder gar der internationale Gemeinschaft belästigt worden zu sein. »Im Gegenteil«, sagt der Historiker Boilley. »Zig Millionen sind ausgegeben worden, um Geiseln zu befreien. Die in einem gemeinsamen Generalstab repräsentierten Nachbarn haben, Mauretanien ausgenommen, keinen Finger gerührt. War demnach die AQMI vor der Intervention ungefährlich? Hatte Mali durch die Anwesenheit der AQMI im Norden nicht bereits seine Autorität und seine territoriale Integrität verloren?«
  • An zweiter Stelle der MUJAO (Mouvement pour l’unicité et le jihad en Afrique de l’Ouest), eine Abspaltung der AQMI, die mit Kokain-Handel die Staatsapparate der meisten westafrikanischen Länder korrumpiert hat, insbesondere die politische Elite Malis.
  • Ziel der Ansar Dine, der dritten Gruppe, ist die Applikation der Scharia in Mali. Diese »Verteidiger des Glaubens«, so die deutsche Übersetzung ihres Namens, haben nie Menschen entführt oder Bomben gelegt, sie lehnen diese Art von Gewaltanwendung ab. Die »wirklichen Terroristen«, sagt Boilley, »jene, die Geiseln nehmen und Attentate verüben, sind in der AQMI oder im MUJAO zu Hause. Mit der Ansar Dine stimmen sie mehr oder weniger darin überein, die Scharia mit Gewalt einzuführen, ebenso wie mit einen rückwärtsgewandten Islam.«
  • Die Befreiungsbewegung der Tuareg, der MNLA, gründete sich als vierte Gruppe erst 2010. Von der Regierung in der im Süden des Landes gelegenen Hauptstadt Bamako weitgehend ignoriert, gelang es dem MNLA im April des vergangenen Jahres, sich der Stadt Timbuktu zu bemächtigen. Der MNLA bezeichnet sich selbst als laizistisch-weltlich und verfolgt keine religiösen Ziele. Er reklamiert die Unabhängigkeit Nordmalis (mit den Städten Timbuktu und Gao), zumindest aber weitgehende Autonomie innerhalb des Staates Mali. Der Historiker: »Das sind keine Terroristen sondern Rebellen; die Religiösen dagegen sind Terroristen, keine Rebellen!«
»Françafrique« – »France à fric«

Was nun Hollandes Armee in Mali zu »verteidigen« haben könnte, blieb in den ersten Tagen nach der französischen Intervention eher im Ungefähren. Der Präsident kleidete seine Absichten am 15. Januar vor der internationalen Presse zunächst in eine Frage: »Was werden wir mit den Terroristen machen?« Nur um dann, ganz wie sein großkotziger Vorgänger Nicolas Sarkozy oder weiland George W. Bush, martialisch Antwort zu geben: »Wir werden sie vernichten!« Eine Erklärung, die nicht nur dem in arabischen und afrikanischen Staaten Dienst schiebenden diplomatischen Corps Kopfschmerzen bereitete. »Was wollten Sie damit eigentlich beweisen?« fragten am Tag danach, stellvertretend für die große Mehrheit der linken Opposition Frankreichs, die Führer der Neuen Antikapitalistischen Partei (NPA), Christine Poupin, Olivier Besancenot und Philippe Poutou. »Daß Sie auch Armeechef sind und sogar Kriegsherr?«

In der Tat präsentierte sich Hollande in den Tagen von Mali nicht nur in der Attitüde eines Herrschers über »Françafrique«, wie man früher die afrikanischen Kolonien des Regimes zu nennen pflegte, sondern auch in deren moderner Version – der des Präsidenten von »France à fric« (Das Frankreich des Mammons). Der Ökonom und Soziologe Lahouari Addi, Algerier und angesehener Professor der Science Politique (Politikwissenschaften) in Lyon, jedenfalls befand: »Frankreich wird gegenwärtig angeklagt, Dämonen des Kolonialismus geweckt zu haben. Der Verdacht ist nicht ganz unbegründet, wenn man bedenkt, welche Bodenschätze in der Region lagern – Uran zum Beispiel und Erdgas –, die den Appetit der westlichen Großmächte anregen. Nicht zuletzt im Hinblick auf den wachsenden Einfluß Chinas in Afrika.«

Auch banale Gründe erklären Hollandes Lust auf Krieg. Wie immer, wenn es innenpolitisch nicht reicht, versuchen französische Regierungs­chefs (wie ihre deutschen Kollegen) außenpolitisch Glanz zu verbreiten. Oder, ganz profan, etwas für die Parteifinanzen und die heimische Wirtschaft zu tun. Seinen Feldzug gegen den libyschen Obersten Muammar al-Gaddafi beispielsweise startete Nicolas Sarkozy erst, nachdem er diesen zuvor mit großem Pomp in Paris empfangen und jener, ganz begnadeter Selbstdarsteller, sein Beduinenzelt im Park des Elysée aufgeschlagen hatte. Wie der ehemalige Vermittler im heimlichen und offiziellen internationalen Waffengroßhandel, Ziad Takkiedine, inzwischen vor französischen Ermittlern aussagte, soll der Oberst dem späteren Präsidenten – gewissermaßen als ein Dankeschön im Voraus – dafür 2007 die Wahlkampfkasse mit 50 Millionen Euro gefüllt haben. Daß der redselige Gaddafi am Ende des Libyen-Krieges von seinen eigenen Landsleuten abgeschlachtet wurde, dürfte dem siegreichen Feldherrn Sarkozy dann nicht unangenehm gewesen sein.

Der nachfolgende Präsident Hollande hat sich, während er in Mali angeblich für die Rechte der Frauen und das kulturelle Erbe der Region schießen läßt, auch in den Vereinigten Arabischen Emiraten sehen lassen. Dort werden Blasphemiker, Ehebrecherinnen und Homosexuelle gesteinigt, von dort aus werden bisweilen die geheimen Bankkonten der Dschihadisten in aller Welt versorgt. Kein Problem für den Franzosen, wenn – wie in diesem Fall – den mitgereisten Repräsentanten der »CAC 40«, der 40 umsatzstärksten Unternehmen Frankreichs, die Taschen mit saftigen Verträgen gefüllt werden: 60 verkaufte Rafale-Düsenjäger zum Beispiel – beim Rüstungsmulti Dassault weiß man halt, daß Krieg führen auch nur ein Beruf ist. Einer mit Zukunft, wie es scheint.

»Blume der Nuklearindustrie«

Wie dagegen die Zukunft Malis aussehen könnte, weiß bisher niemand so genau. Der Nordafrikaexperte Pierre Boilley jedenfalls hält sie für ungewiß. »Wenn Frankreich und die afrikanischen Kontingente die territoriale Integrität Malis wiederherstellen wollen, können sie das vermutlich mit Gewalt durchsetzen. Allerdings nur vorläufig. Es wird aber weder Sicherheit noch Stabilität in der Region geben, wenn sich die Akteure der aktuellen Krise, die Leute aus dem Norden, nicht an einen Tisch setzen – seien es Malinké, Tuareg, Bambara, Songhai, Mauren, Fulbe oder Bozo – und zusammen eine dauerhafte Lösung finden.«

Ein größeres Problem als das der territorialen Integrität des Landes stellt sich für Hollande mit dem bereits lauthals verkündeten Anspruch, »demokratische und institutionelle Stabilität« in Mali herstellen zu wollen. Der abgesetzte Präsident Touré hat »die Demokratie ihrer Substanz beraubt«, sagt Boilley. »Er hat nichts gegen die AQMI unternommen, er hat den Norden den Drogenhändlern überlassen, seine Verantwortung ist enorm.« Soll heißen: Der Mann ist erledigt, er war es schon vor seinem erzwungenen Abgang. Das Militär, repräsentiert durch den finsteren Hauptmann Amadou Sanogo, hat mit dem Putsch im vergangenen März nicht nur Touré, sondern auch die »Demokratie« einstweilen zu den Akten gelegt und hält mit der ihm eigenen Waffengewalt einen großen Teil der Macht im Lande. Die politischen Eliten Malis sind insgesamt kaum vertrauenswürdiger. Und – wie mit Blick auf das gemeine Volk schon der italienische Interventionskritiker und Professor an der Universität Bari, Luciano Canfora, 2007 in einem Beitrag zur »Befreiung« Afghanistans von den Taliban schrieb: Freiheit läßt sich nicht exportieren. Es sind niemals fremde Armeen, die dem Geist der Demokratie auf die Beine helfen.

Was der Historiker Boilley und der Soziologe Lahouari Addi darüber hinaus fürchten, ist ein neuer asymmetrischer Krieg des Westens, des »Befreiers« Frankreich diesmal, gegen die beweglichen, ständig ausweichenden Dschihadisten in den nordöstlichen Gebirgen Malis. Im Januar nannte Hollande – ausgerechnet in Dubai, einem der wichtigsten Treffpunkte internationaler Waffenhändler – drei Ziele seiner in Mali exekutierten, kriegsgestützten Außenpolitik: Die Terroristen stoppen und »vernichten«, die Demokratie stabilisieren, die territoriale Integrität wieder herstellen.

Was Hollande lieber verschwieg, ist gleichwohl eine kurze und danach auch eine längere Erklärung wert: Es geht, erstens, ums Geschäft. Zweitens, und hier seien wieder die linken Oppositionellen Poupin, Besancenot und Poutou zitiert: »Der Sahel ist, wie wir gelernt haben, nicht nur eine Wüste, sondern vor allem ein Zentrum legalen wie illegalen geostrategischen Austausches. Er ist ein Schlüssel, der das Tor zu einigen besonders sensiblen Zonen öffnet, die Frankreich gesichert haben möchte. Das sind an erster Stelle die Uranminen in Niger, die von der ›Areva‹ ausgebeutet werden, dieser ›Blume der französischen Nuklearindustrie‹. Der Präsident ist kein uneigennütziger Held in diesem Krieg. Die gegenwärtigen Ereignisse in Mali stehen in direkter Verbindung zum Krieg in Libyen. Frankreich hat dort als fremde Macht interveniert, um künftige Regierende an ihre Abhängigkeit zu erinnern und der Hoffnung Ausdruck zu geben, daß man – vor allem was die Erdölvorkommen anbetrifft – in Zukunft Gesten der Freundschaft erwartet.« Und sie wird, das blieb vorerst unausgesprochen, auch Mali daran erinnern.

Postkoloniales Vakuum

Daß man sich in Paris gerne als »Befreier« ins Land rufen ließ, dürfte auch dem Umstand Rechnung tragen, daß die Malier eine der größten afrikanischen Immigrantengruppen in den Großstädten Frankreichs sind. Das 16-Millionen-Volk hat im vergangenen Jahrzehnt rund vier Millionen seiner Bürger verloren – sie sind als Sklavenarbeiter in die steinreichen arabischen Nachbarstaaten abgewandert oder nach Europa, wo nach Angaben der Behörden in Bamako rund 500000 Malier leben sollen. Allein in Paris, Marseille oder Lyon versuchen zur Zeit geschätzte 80000 bis 120000 Menschen zu überleben, die vor den Gewehren der AQMI-Fanatiker oder, schlimmer noch, vor Armut und Hunger auf das Territorium der alten Kolonialmacht geflüchtet sind. »In Frankreich hat man sich bisher vor allem deshalb für die Malier interessiert«, sagt Besancenot, »weil man sie ausweisen will. Und dieses Frankreich soll nun plötzlich von tiefsten menschlichen Gefühlen befallen sein?«

Mali war seit 1863 Kolonie der selbsternannten »Grande Nation«, es wurde 1960 – im sogenannten afrikanischen Jahr – »in die Unabhängigkeit entlassen«, so schön steht es in den Geschichtsbüchern französischer Schulkinder geschrieben. Das Machtvakuum, das Frankreich auch in diesem Teil des Kontinents hinterließ, füllten – wie in den meisten ehemaligen Kolonien Afrikas – jene, die bei ihren Kolonialherren gelernt hatten, wie ein armes Land und seine Gesellschaft am wirksamsten unterdrückt und am effektivsten ausgeplündert werden kann. An erster Stelle das Militär. Es hatte und hat die Mittel.

Daß nun die politischen Eliten Malis nicht den afrikanischen Nachbarstaat Algerien, sondern ausgerechnet die Franzosen um »Hilfe« baten, erklärt der Algerier Addi mit der gegenwärtigen Inkompetenz des an sich sehr gut ausgerüsteten Militärs des größten malischen Nachbarn. »Algerien ist nicht disponibel, was für die Zukunft verhängnisvolle Konsequenzen für die Beziehungen beider Länder haben wird. Warum Algerien nicht zur Verfügung stand? Um diese Frage zu beantworten, muß man sich der Zusammensetzung des Regimes in Algier erinnern, dessen ziviler Teil lediglich eine symbolische, eine geradezu karikaturartige Rolle spielt. Politische Macht haben einerseits weder der algerische Präsident noch sein Außenminister. Andererseits bedeutet das nicht, daß etwa die militärische Hierarchie homogen wäre – sie ist vielmehr vollkommen zerfasert, jeder hohe Offizier spricht und handelt nach eigenem Gutdünken. Es gibt Dutzende von Generalen, die sich niemals in der Öffentlichkeit zeigen und die in den vergangenen Jahren niemanden zu ihrem Sprecher gemacht haben.«

Aus den inneren Machtkämpfen in der algerischen Armee ist seit den Tagen des Obersten Houari Boumediene kein einzelner Offizier mehr als Sieger hervorgegangen, sondern nur eine Institution innerhalb des Miltärs: Das »Département du Renseignement et de la Sécurité« (DRS) – der Geheimdienst. Addi: »Seit dem blutigen Antiterrorkampf der neunziger Jahre ist dieser Apparat mit all seinen Tentakeln in die Strukturen der Administration, der Kasernen und der Medien eingedrungen – ohne von, gleich welcher, höhergestellten Hierarchie kontrolliert zu werden. Das DRS hat im Fall Mali entschieden, daß ein Eingreifen im Nachbarland das Ansehen des algerischen Militärs und der Regierung stärken könnte und damit seinen Interessen zuwider liefe.«

Die französische Intervention in Mali aber ist, so sieht es nicht nur die linke Pariser Opposition, eine logische Fortsetzung dessen, was Nicolas Sarkozy, abgesehen von seinen nicht zu unterschätzenden »privaten« Absichten, in Libyen begonnen hat: Frankreich soll sich in Nordwest­afrika mit all seinen Bodenschätzen ganz wie in alten Kolonialzeiten politisch wieder festsetzen. Die durch militärisches Eingreifen – »Hilfe« und »Stabilisierung der Demokratie« genannt – gewonnenen Regionen zu kontrollieren und in Abhängigkeit zu halten, das ist der Plan.

Lösung nicht in Sicht

Was wäre zu tun? Eine der in Paris gegebenen Antworten ist die der Linken: Mali darf nicht von einer politischen Lösung ausgenommen werden. Der malische Abgeordnete Oumar Mariko von der Organisation SADI (Solidarité africaine pour la démocratie et l’indépendance) zum Beispiel fordert dies ebenso wie die ehemalige Ministerin Aminata Traoré, die sich im übrigen in einem Manifest »gegen diesen Krieg im Namen der Frauenrechte« verwahrt hat.

Daß in Paris nach einer politischen Lösung gesucht würde, nach einer Möglichkeit zum Gespräch unter gleichberechtigten Partnern aus dem Krisengebiet Nordmalis selbst und aus den Nachbarländern, ist vorläufig nicht zu erkennen. Die französische Armee hat gegenwärtig 4000 Soldaten stationiert, vor allem im Norden. Sie ist – nach eigenen Informationen – in den Städten Gao, Timbuktu, Kidal und Tessalit präsent. Spezialeinheiten suchen in der unwirtlichen Gebirgslandschaft des Adrar des Ifoghas im äußersten Nordosten des Landes nach Islamisten und Waffenlagern – aber auch nach Geisel-Verstecken der AQIM. Der Befehlshaber der französischen Truppen, Oberst Thierry Burkhard, ließ in der vergangenen Woche 200 Mal seine Düsenjäger aufsteigen, die das Adrar-Gebiet und die dort vermuteten Stützpunkte sozusagen »blind« bombardierten. Die Angriffsobjekte nach Angaben der Armee: Vermutete Sprengstoff- und Benzinlager, Trainingszentren.

Hier kann sich, wie sogar die Hurra-Presse Frankreichs inzwischen bemerkt hat, der Dassault-Verkaufsschlager, der Überschalljäger »Rafale« täglich und sozusagen unter den Augen potentieller Kunden bewähren. Auch die Tatsache, daß Krieg teuer ist, wird nun eher wahrgenommen als noch in den Siegesmeldungen zu Beginn des Mali-Abenteuers. Am 6. Februar hatte Verteidigungsminister Jean-Yves Le Drian eine erste Zwischenbilanz vorgelegt: 70 Millionen Euro sollte die »Operation Serval«, die am 11. Januar begonnen hatte, bis dahin gekostet haben. Ob die Zahlen stimmen, ist schwer zu sagen, Experten haben sie angezweifelt und gehen von Kosten nicht unter 100 Millionen Euro aus. Sicher ist, daß auch diese Zwischenbilanz schon wieder zwei Wochen alt ist und die Ausgaben bestimmt nicht gesunken sind.

Dennoch: Überzeugte oder überzeugende Kritiker an diesem speziellen Krieg, am Krieg im allgemeinen als »Mittel der Politik«, sind in Frankreich, abgesehen von den erwähnten Einlassungen der politischen Linken, weit und breit nicht zu sehen. Was die in den Sahel entsandten Kriegsberichterstatter in diesen Tagen zu beunruhigen scheint, sind nicht die immensen und ständig wachsenden Kosten der Intervention, nicht das den Krieg begleitende humanitäre Elend und auch nicht der sich in die Länge ziehende Einsatz mit ungewissem Ausgang, sondern das der Armee offenbar von oben verordnete Schweigen über die vergangenen und die geplanten Einsätze. Verstört meldet die Zeitung Libération: »Mali – ein Konflikt, der nicht von sich reden machen will«. Das traditionell »gespannte Verhältnis« zwischen Journalisten und Truppenführung habe sich längst in einen »leidigen Krieg« zwischen »Medien und Soldaten« ausgewachsen, es fehlten die »Bilder« für den braven Bürger zu Hause am Fernseher, es fehlten sogar die einfachsten Informationen für einen ordentlichen Text in der heimatlichen Tageszeitung.

Die Militärs haben darauf die aus ihrer Sicht einzige richtige Antwort gegeben: Sie produzieren die Bilder und Texte selbst. Denn für einige dieser sensationslüsternen Pressebengel sei beispielsweise die Eroberung der Stadt Gao so etwas gewesen »wie die Ankunft der Tour de France auf dem Gipfel Puy-de-Dome«, erklärte einer der verantwortlichen Presseoffiziere. Und sein Kollege ergänzte: »Was wollen die – wir haben doch Bilder angeboten, jedenfalls solche, die wir selbst gedreht haben. Es ist doch einfach falsch, wenn die dann behaupten, es gebe keine Bilder.«

Tatsache ist: Bisweilen sehen auch Journalisten den Wald vor lauter Bäumen nicht. Sie suchen Quellen im Sand des Sahels, statt einfach nur zu Hause zu graben.

Zwei Beispiele: Am Tag, als die Fernsehstationen den Präsidenten François Hollande und seine Armee in der afrikanischen Wüste als Garanten der malischen Frauenrechte feierten, kassierte daheim in Paris das Parlament klammheimlich ein 200 Jahre altes Gesetz: Es verbot bis dahin den Frauen, in der Öffentlichkeit Hosen zu tragen. Oder, wenn sie denn unbedingt Hosen tragen wollten, dafür zumindest in der Präfektur eine Genehmigung einzuholen.

Und der Historiker Pierre Boilley sagte an diesem Tag: »Vielleicht kann er (Hollande) ja die Salafisten aus dem Norden Malis verjagen, mit dem Risiko eines langen, asymmetrischen und ungewissen Krieges im Rücken. Aber das wird nicht reichen. Dafür, daß im Süden Verfassungsrecht und die Loyalität der Armee wieder garantiert werden, können nur die Malier selbst sorgen.«

* Hansgeorg Hermann ist Publizist und lebt in Paris. Er schrieb zuletzt am 4.12.2012 auf den Thema-Seiten der jungen Welt über den Meister der Bande dessinée Jacques Tardi.

Aus: junge welt, Donnerstag, 21. Februar 2013



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