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Französische Reconquista

Begründung für Militärintervention in Mali entspricht nicht den Tatsachen. Frankreichs Alleingang verstößt gegen UN-Beschluß

Von Knut Mellenthin *

Frankreich strebt »die totale Rückeroberung« Malis an. Das offenbarte Verteidigungsminister Jean-Yves Le Drian am Sonntag im französischen Fernsehen. »Wir werden kein einziges Widerstandsnest übriglassen«, setzte er hinzu. Damit sind die verharmlosenden Lügen vom Tisch, mit denen Paris vor zehn Tagen seine Militärintervention begründet hatte: Man habe ganz dringend eine Offensive der Aufständischen stoppen müssen, um die – mindestens 550 Kilometer von der Frontlinie entfernte – Hauptstadt Bamako zu retten. Das französische Eingreifen sei »nur eine Sache von ein paar Wochen« versicherte Außenminister Laurent Fabius am vorigen Dienstag.

»Frankreich war verpflichtet, sehr, sehr schnell zu intervenieren, denn anderenfalls würde es kein Mali mehr geben«, behauptete derselbe Fabius am Sonnabend. Das entspricht jedoch nicht den anhand der Meldungen aus Mali nachvollziehbaren Tatsachen: Ganz sicher gab es, bevor Präsident François Hollande am 11. Januar den Beginn der Militärintervention bekanntgab, keinen großangelegten Angriff der Aufständischen auf die im wesentlichen seit Monaten stabile Frontlinie. Einen Tag zuvor hatte die malische Regierung die Rückeroberung der Stadt Douentza gemeldet, die im September 2012 von bewaffneten Islamisten besetzt worden war. Außerdem seien die malischen Streitkräfte dabei, die Rebellen auch aus der Stadt Konna zu vertreiben.

An diesem Tag, dem 10. Januar, hätten eigentlich Friedensverhandlungen zwischen der malischen Regierung und zwei Organisationen der Aufständischen stattfinden sollen. Sie waren kurzzeitig mit der Begründung verschoben worden, beiden Seiten mehr Zeit zu geben. Am 9. Januar hatte in Bamako eine offenbar vom Militär bestellte Demonstration stattgefunden, auf der die »Befreiung« des von Rebellen kontrollierten Nordens und der Rücktritt von Übergangspräsident Dioncounda Traore gefordert wurde.

Für die Regierung des Nachbarstaates Burkina Faso, die von der aus 15 Staaten bestehenden westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS mit der Vermittlung zwischen Bamako und den Aufständischen beauftragt ist, war die Lage am 10. Januar so wenig eindeutig, daß sie »alle Seiten« dazu aufrief, das Feuer einzustellen. »Alle kriegführenden Parteien« wurden ermahnt, »Bedingungen des Vertrauens und der Ruhe zu schaffen, die einen konstruktiven und friedlichen Dialog ermöglichen«. Einen Tag später nahmen Frankreichs Kampfflugzeuge ihre Arbeit auf.

Die französische Regierung behauptet, sie würde damit die Resolution 2085 umsetzen, die der UN-Sicherheitsrat am 20. Dezember 2012 einstimmig verabschiedet hatte. Das entspricht jedoch nicht der Wahrheit. Erstens sieht die Entschließung die Aufstellung einer »afrikanisch geführten« Blauhelm-Truppe, aber nicht einseitige, unabgesprochene Militäraktionen ehemaliger Kolonialmächte vor. Zweitens enthält die Resolution eine wichtige Klausel: »Vor dem Beginn offensiver Operationen muß die militärische Planung weiterentwickelt werden.« Und: Der Sicherheitsrat müsse zuvor sein Einverständnis mit dieser Planung kundtun.

Paris kann allenfalls darauf verweisen, daß der Rat nachträglich, am 14. Januar, die seit drei Tagen stattfindende französische Intervention abgenickt habe. Das geschah allerdings weder durch eine gemeinsame Erklärung noch durch eine neue Resolution. Es gibt zu diesem Vorgang nur die Aussage des französischen UN-Botschafters Gerard Araud, daß alle Ratsmitglieder »Verständnis und Unterstützung« für das französische Vorgehen geäußert hätten. Da niemand dementiert hat, wird es wohl stimmen.

Trotzdem widerspricht dies Vorgehen den Vorbehalten, die aus guten Gründen in die Resolution 2085 eingebaut worden waren. Sie resultierten aus der Einschätzung, daß die Voraussetzungen für eine »afrikanisch geführte« Mission noch nicht gegeben waren – allgemein wurde deren Einsatz frühestens im September erwartet – und sie berücksichtigten den Wunsch mehrerer Ratsmitglieder, zuvor Kenntnis von der Operationsplanung zu erhalten. Nichts davon wurde realisiert.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 22. Januar 2013


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