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Malis Absturz ins Chaos

Nicht nur Tuareg und Islamisten sind verantwortlich für Krise und Krieg im Wüstenstaat

Von Olaf Standke *

Malis Präsident Dioncounda Traoré hat am Wochenende den Ausnahmezustand für den westafrikanischen Wüstenstaat verkündet. Er forderte von der Bevölkerung Geschlossenheit im Kampf um die Rückeroberung der von Islamisten besetzten Landesteile.

Lange galt Mali als ein demokratischer Musterstaat Afrikas. Ein Mehrparteiensystem sorgte zwischen 1992 und 2012 für friedliche Machtwechsel nach Wahlen. Doch nach einem Militärputsch gegen Präsident Amadou Toumani Touré in der im Süden gelegenen Hauptstadt Bamako am 22. März 2012 eroberten die Tuareg der Nationalbewegung MNLA gemeinsam mit mehreren Islamistengruppen wie der Bewegung für Einheit und Dschihad in Westafrika (MUJAO) den Landesnorden. Tuareg-Söldner, die als Angehörige von Gaddafis »Grüner Legion« gekämpft hatten, waren nach dem Krieg in Libyen mit schweren Waffen über Niger nach Mali gezogen.

Im April wurde dort dann die unabhängige Islamische Republik Azawad ausgerufen, in der die Scharia mit eiserner Hand durchgesetzt werden soll. In der Weltkulturerbe-Stadt Timbuktu zerstörten Islamisten jahrhundertealte Mausoleen und andere Kulturschätze. Bald gab es zwischen den Gruppen selbst blutige Gefechte, Islamisten übernahmen in Nordmali endgültig die Macht. Laut westlichen Geheimdiensten zählen sie heute 6000 Mann, darunter Dschihadisten aus Ägypten, Sudan und anderen Ländern. In ihren Reihen kämpfen auch Angehörige des Tuareg-Volkes, die sich Ansar Dine nennen, und angeblich neuerdings Mitglieder der nigerianischen Islamistengruppe Boko Haram. Hinzu kämen bis zu 15 000 Bewaffnete ohne Militärausbildung. Angeführt von den Kämpfern der Terrororganisation Al Qaida im islamischen Maghreb (AQM) rückten sie in den vergangenen Wochen immer weiter Richtung Süden vor. Die demoralisierte malische Armee, die nach Expertenschätzungen nur noch 4500 bis 6000 Mann stark sein soll und von einigen Tausend Milizionären unterstützt wird, ergriff die Flucht. Die Streitkräfte seien nach dem Putsch entlang ethnischer Linien tief gespalten, was nach Meinung von Beobachtern auch europäische Militärausbilder nicht ändern könnten. Am 11. Dezember vergangenen Jahres zwang das Militär auch Cheick Modibo Diarra - erst Mitte April 2012 zum Chef der Übergangsregierung ernannt - zum Rücktritt. Interimsstaatschef Traoré, einst Parlamentspräsident, bestimmte Django Sissoko zum neuen Premier. Starker Mann in Bamako aber ist Putschistenführer Oberst Amadou Sanogo. »So lange das Problem in Bamako nicht gelöst ist, kann man das Problem des Nordens auch nicht lösen«, sagt deshalb der malische Autor und Filmemacher Manthia Diawara. Seit der Machtübernahme der Extremisten im Norden flohen Hunderttausende aus dem Gebiet und leben als Vertriebene im Sahel-Staat oder als Flüchtlinge in Nachbarländern. Der Konflikt hat den Kampf ums tägliche Überleben in dem bitterarmen Land weiter verschärft. Mali verfügt zwar über diverse Bodenschätze und ist einer der wichtigsten Baumwollproduzenten Afrikas, doch besteht sein Territorium auch zu 60 Prozent aus Wüste. Das jährliche Bruttonationaleinkommen pro Kopf betrug 2011 umgerechnet nur 610 US-Dollar. Die durchschnittliche Lebenserwartung der knapp 16 Millionen Einwohner liegt bei 51 Jahren. Durch den Bürgerkrieg leiden UN-Angaben zufolge inzwischen 4,6 Millionen Menschen an »Nahrungsmittelunsicherheit«.

In Westafrika befürchtet man schon länger eine Destabilisierung der Region. Vor allem Länder wie Côte d'Ivoire und Nigeria mit ihren großen muslimischen Bevölkerungsgruppen dringen auf eine schnelle Entsendung von Kampftruppen. Andere wie Algerien, das hofft, über einen Tuareg-Staat in Mali das eigene Tuareg-Problem lösen zu können, bremsen dagegen. Der UNO-Sicherheitsrat hat der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) das Mandat für eine Eingreiftruppe erteilt; die EU beschloss eine militärische Ausbildungsmission. Beides war aber erst im Lauf des Jahres geplant. Nun versucht Frankreich, mit Luftangriffen im Alleingang in der einstigen Kolonie früher Fakten zu schaffen - obwohl die »Menschen in Mali einer Militärintervention von außen sehr skeptisch gegenüberstehen«, wie Odile Tendeng, Programmkoordinatorin der Alliance for Peace Initiatives am Institut Gorée (Senegal), gegenüber »nd« betonte.

* Aus: neues deutschland, Montag, 14. Januar 2013


Hollande interveniert in Mali

Frankreichs Linke kritisiert »Alleingang« / SPD fordert deutsche Unterstützung

Von Ralf Klingsieck, Paris **


Französische Kampfflugzeuge haben am Wochenende ihre Angriffe auf islamistische Rebellen in Mali fortgesetzt. Aus Sorge vor Racheakten wurde die Terrorabwehr in Frankreich verstärkt.

Durch den französischen Militäreinsatz am Wochenende in Mali wurde der Vormarsch bewaffneter Islamisten aus dem Landesnorden auf die Hauptstadt Bamako gestoppt. Die Rebellen hatten mit 1200 Kämpfern die Stadt Konna besetzt. Auf dringende Bitte des malischen Staatschefs Dioncounda Traoré hin ordnete Präsident François Hollande die Intervention an. Mit Jagdbombern, die in Tschad stationiert sind, wurde eine Fahrzeugkolonne der Rebellen gestoppt und zum Teil vernichtet. Die malische Armee konnte nach heftigen Gefechten mit französischer Hilfe Konna zurückerobern. Bei den Kämpfen wurde ein französischer Hubschrauber abgeschossen, der Pilot starb. Die malische Armee meldete elf Tote. Nach Luftangriffen in Léré sind Hunderte Zivilisten laut Augenzeugen über die Grenze nach Mauretanien geflohen.

Die Angriffe sollen fortgesetzt werden, kündigte Verteidigungsminister Jean-Yves Le Drian an. Zudem sind Soldaten nach Bamako eingeflogen worden, die vor allem die 6000 französischen Staatsbürger schützen sollen. Man werde in Mali »so lange wie nötig« militärisch präsent sein, betonte Hollande in einer Fernsehansprache. Während die Sozialisten hinter ihrem Präsidenten stehen und auch die Rechten - mit Ausnahme von Ex-Premier Dominique de Villepin - seine Entscheidung unterstützten, äußerten sich die Kommunistische Partei und der Linkspartei-Politiker Jean-Luc Mélenchon »besorgt« wegen der Gefahr eines sich ausweitenden Krieges und kritisierten den »Alleingang« Hollandes, der die Militäraktion ohne Konsultation der Regierung und des Parlaments beschlossen hat.

Großbritannien kündigte die Entsendung eigener Flugzeuge und Truppen an, die aber nicht in die Kämpfe eingreifen sollen. Die USA offerierten den Einsatz unbemannter Aufklärungsdrohnen. Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) begrüßte die Intervention. Ein Einsatz deutscher Truppen stehe aber nicht zur Debatte. Der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Rainer Arnold, forderte auch deutsche Hilfe für Mali. »Wenn wir in Europa zu einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik stehen, können wir uns keinen Unilateralismus leisten«, sagte Arnold dem »Tagesspiegel«

Wegen der Gefahr von Terroranschlägen sind derweil in Frankreich die Sicherheitsvorkehrungen verschärft worden. Besorgnis herrscht auch hinsichtlich des Schicksals von acht französischen Geiseln in Mali und Nachbarländern. Der Versuch einer Eliteeinheit am Wochenende, mit einem Überraschungsangriff auf einen Islamistenstützpunkt in Somalia eine seit dreieinhalb Jahren gefangen gehaltene Geisel zu befreien, scheiterte. Ein Soldat wurde getötet, ein weiterer ist vermisst und die Geisel, ein Geheimdienstagent, wurde wohl von den Islamisten ermordet.

** Aus: neues deutschland, Montag, 14. Januar 2013


Bomben auf Mali

Von Knut Mellenthin ***

Seit Freitag führt Frankreich Krieg im nordafrikanischen Staat Mali. Französische Kampfflugzeuge setzten am Sonntag ihre Luftangriffe auf vermutete Stellungen der islamistischen Rebellen fort, die seit dem Frühjahr 2012 etwa zwei Drittel des Landes kontrollieren. Als erste westliche Staaten haben Großbritannien, die USA und Deutschland ausdrücklich ihre Unterstützung für die Militärintervention erklärt. London hat die Entsendung von zwei Transportflugzeugen angekündigt, Washington nachrichtendienstlichen und logistischen Beistand in Aussicht gestellt.

Das französische Eingreifen in den malischen Bürgerkrieg begann ohne Vorankündigung, ohne klar benanntes Motiv und ohne Angaben über die Kriegsziele und die zeitliche Planung. Die ersten Aussagen von Präsident François Hollande – »Unsere Mis­sion ist noch nicht beendet« und »Die Operation werde so lange dauern, wie es erforderlich ist« – signalisieren langfristige und weitgehende Absichten. Am Sonntag deutete Verteidigungsminister Jean-Yves Le Drian an, daß Frankreich sich am Krieg bis zur vollständigen »Wiederherstellung der territorialen Integrität des Landes« beteiligen will.

Äußerer Anlaß der Intervention war die Einnahme der Stadt Konna durch Rebelleneinheiten am Donnerstag. Mit Hilfe der französischen Luftunterstützung eroberten malische Truppen die Stadt am Freitag zurück. Sie verloren dabei angeblich nur elf eigene Soldaten, während rund 100 Rebellen getötet worden seien. Ein französischer Pilot starb beim Abschuß seines Kampfhubschraubers. Internationale Hilfsorganisationen geben an, daß bei den Kämpfen am Freitag auch mindestens zehn Zivilisten, darunter mehrere Kinder, getötet wurden.

Nach Frankreichs Eingreifen kündigte auch die westafrikanische Staatengemeinschaft ECOWAS die Entsendung von Truppen »in den nächsten Tagen« an. Der UN-Sicherheitsrat hatte eine solche Mission schon im Dezember einstimmig gebilligt. Allerdings war damals mit deren Beginn nicht vor September gerechnet worden. Auf die Aufstellung einer gemeinsamen Streitmacht ist ECOWAS zum jetzigen Zeitpunkt nicht vorbereitet. Bisher haben nur Burkina Faso, Niger und Senegal angekündigt, in Kürze je 500 Soldaten nach Mali zu schicken.

Mit einem Fehlschlag endete indessen am Freitag der französische Versuch, einen seit Juli 2009 von somalischen Islamisten gefangen gehaltenen Geheimdienstagenten zu befreien. Beim Angriff mit Kampfhubschraubern und Spezialtruppen auf ein Gebäude in Bulo Marer, 110 Kilometer südlich der Hauptstadt Mogadischu, starb ein Soldat; ein weiterer gilt als vermißt. Nach französischen Angaben wurde der Gefangene »zweifellos« von seinen Entführern getötet. Diese behaupten jedoch, er habe sich gar nicht in dem Haus, sondern an einem ganz anderen Ort befunden.

*** Aus: junge Welt, Montag, 14. Januar 2013


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