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Krieg im Wüstenstaat

Die ehemalige Kolonialmacht Frankreich setzt in Mali Soldaten und schweres militärisches Gerät gegen islamistische Gruppierungen ein. Die Konfliktursachen werden verdrängt, die Interessen der Tuareg bleiben auf der Strecke

Von Gerd Bedszent *

Der heutige Staat Mali leitet seinen Namen von einem Feudalreich her, das im 13. und 14. Jahrhundert große Teile Westafrikas umfaßte. 1883 begann auf diesem ­Territorium die koloniale Landnahme durch Frankreich.

Im Zuge der Entkolonialisierung erlangte die Provinz »Französisch-Sudan« im Jahre 1960 ihre Unabhängigkeit. Als Folge der Zergliederung Westafrikas durch willkürliche Grenzziehungen der Kolonialverwaltung setzte sich die Bevölkerung des neugegründeten Staates aus über dreißig Ethnien zusammen, wobei die Ackerbau treibende Bevölkerung des Südens den Wüstennomaden des Nordens, zu denen auch die Tuareg gehören, zahlenmäßig immer weit überlegen war und es auch heute ist. Die politischen und wirtschaftlichen Schwerpunkte des Staates Mali lagen daher stets im Süden. Die sozialen und kulturellen Disproportionen zwischen den beiden höchst unterschiedlichen Landesteilen wurden bisher von keiner malischen Regierung gelöst.

Mali verfolgte nach Erringung der Unabhängigkeit im Jahr 1960 zunächst einen antiimperialistischen und prosozialistischen Kurs. Der französische Franc wurde durch eine eigene Währung ersetzt, eine Bodenreform durchgeführt und ein Programm zur Industrialisierung auf Basis staatlichen Eigentums angeschoben, die französischen Militärstützpunkte wurden aufgelöst.

Ein Militärputsch beendete im Jahre 1968 das sozialistische Experiment. Der neue Machthaber Oberst Moussa Traoré errichtete eine repressive Diktatur und lieferte die Wirtschaft des Landes der ehemaligen Kolonialmacht aus. Nach einem erneuten Militärputsch im Jahre 1991 wurde 1992 die parlamentarische Demokratie eingeführt.

Der 1968 gestürzte Präsident Modibo Keita starb 1977 unter ungeklärten Umständen im Gefängnis. Von den unter seiner Herrschaft angeschobenen Industrialisierungsprojekten sind in der Gegenwart nur noch Reste vorhanden.

Wüstenkrieger ohne Heimat

Das Siedlungsgebiet der Tuareg befindet sich im östlichen Teil der Zentralsahara. Von den derzeit zwei bis drei Millionen Tuareg lebt die Mehrzahl in den Staaten Niger und Mali, kleinere Gruppen in Algerien, Burkina Faso und Libyen. In den fünf Staaten bilden sie jeweils nur eine winzige Bevölkerungsminorität. Im Norden Malis leben außer den Tuareg noch weitere Völkerschaften wie die Songhai, Fulbe und Bidhan. Eine übergreifende Zentralgewalt hat es bei den Tuareg nie gegeben. In der Zeit, als die Europäer in das Gebiet vordrangen, hatten sich die Tuaregstämme zu mehreren Föderationen zusammengeschlossen, die sich gelegentlich bekämpften, meist aber ihre Konflikte auf dem Verhandlungsweg austrugen. Die Tuareg lebten hauptsächlich von Handel und Viehzucht, erhoben Abgaben von Oasenbauern und durchziehenden Handelskarawanen.

Es handelte sich bei dieser Nomadenkultur allerdings nicht um eine egalitäre Gesellschaft, sondern um ein hochkompliziertes Kastensystem. Als Tuareg war man entweder Angehöriger der Stammesaristokratie, Schriftgelehrter, Tributpflichtiger, Handwerker, Freigelassener oder Sklave. Die Tuareg bekennen sich seit Jahrhunderten zum Islam, wobei sie diesen pragmatisch an ihre Stammeskultur angepaßt hatten. Beispielsweise trugen bei ihnen nicht Frauen, sondern Männer den Gesichtsschleier. Strenggläubige Muslime bezeichneten sie als »Tawariq« (arabisch: von Gott Verstoßene) – davon leitet sich der Name Tuareg ab, unter dem sie in Europa allgemein bekannt wurden. Bemerkenswert war bei der Mehrzahl der Beduinenstämme die herausragende Rolle der Frau. Es sind Fälle überliefert, bei denen Stammesoberhäupter von Frauen ein- und wieder abgesetzt wurden. Die wirtschaftliche Macht lag beim weiblichen Bevölkerungsteil; die Vererbungslinie ging von der Mutter auf die Tochter. Bei Trennung von Ehepaaren ging das Familieneigentum in den Besitz der Frau über, dem Mann blieben lediglich das persönliche Reittier und seine Waffen. Die Tuareg hatten eine sehr reiche, hauptsächlich mündlich weitergegebene Literatur. Ihr uraltes Tifinagh-Alphabet – außer dem Amharischen in Äthiopien die einzige noch lebende afrikanische Schrift – nutzen die Nomaden hauptsächlich für wirtschaftliche und persönliche Korrespondenz.

Der europäischen Kolonisation setzten die Wüstenkrieger erbitterten Widerstand entgegen; sie konnten die französische Eroberung der Zentralsahara um mehrere Jahrzehnte verzögern. Erst in den 1920er Jahren erlosch ihr letzter Widerstand. Mit der kolonialen Unterwerfung setzte ein wirtschaftlicher Niedergang der Nomadenkultur ein. Die Franzosen erhoben Steuern, untersagten Raubzüge und das Eintreiben von Tributen. Der Siegeszug von Auto und Flugzeug schädigte die Kamelzucht der Beduinen irreparabel.

Die Unabhängigkeit der gewesenen Kolonialprovinzen wurde von der Mehrzahl der Beduinen nicht als Befreiung, sondern lediglich als Wechsel der Fremdherrschaft empfunden. Bei den auf Modernisierung und Fortschritt bedachten Eliten der neugegründeten Staaten war kein Platz für Vertreter einer im Niedergang begriffenen Nomadenkultur.

Die neuen Grenzziehungen zwischen Nationalstaaten anstelle der bisher rein verwaltungstechnischen Abgrenzungen zwischen verschiedenen Kolonialterritorien erwiesen sich für die Nomadenvölker als Katastrophe. Die meist willkürlich auf der Landkarte gezogenen Linien unterbrachen traditionelle Wanderrouten und Handelswege, zerteilten Stammesgebiete und Weidegründe. Aus dieser Zeit datiert die bis heute bestehende Forderung der Beduinen nach einem eigenen Staat.

Schon 1963, also in der Phase sozialistischer Ausrichtung, kam es in Mali zu einer ersten Revolte von Tuaregstämmen gegen die Zentralgewalt, die vom malischen Militär brutal niedergeschlagen wurde.

Tuareg in Libyen

Der äußerste Südwesten Libyens gehört traditionell zum Siedlungsgebiet der Tuareg. Viele der 1963 aus Mali flüchtenden Nomaden fanden dort Aufnahme. Der stockkonservative libysche König Idris I. war ein entschiedener Gegner des in Mali eingeschlagenen sozialistischen Kurses.

In dieser Zeit setzte der Ölboom ein; viele der Vertriebenen fanden Arbeit bei Erschließung der libyschen Erdölfelder. Andere wanderten ins benachbarte Algerien, wo die Ölindustrie ebenfalls boomte. Da die Dürreperioden der 1970er Jahre die Nomadenstämme in Niger und Mali weiter verarmen ließen und sie Schritt für Schritt ihrer Lebensgrundlagen beraubten, nahm die Auswanderung von Tuareg in die reicheren, weil ölfördernden Staaten weiter zu.

Die guten Beziehungen zwischen den Tuaregstämmen und der libyschen Regierung wurden auch fortgesetzt, als 1969 ein Revolutionärer Kommandorat die Monarchie stürzte und das Land auf einen strikt antiimperialistischen Kurs brachte. Revolutionsführer Ghaddafi betrachtete – wahrscheinlich nicht zu Unrecht – die Tuareg als Ureinwohner Libyens, die bei der Invasion arabischer Stämme im 7. Jahrhundert ins Landes­innere abgedrängt wurden.

Eingewanderte Tuareg erhielten zu Beginn der Ghaddafi-Zeit problemlos einen libyschen Paß, unterlagen keinerlei Diskriminierung, hatten Zugang zu Wohnraum und Schulbildung und konnten ohne weiteres eine gut bezahlte Beschäftigung in der Ölindustrie oder beim Wohnungsbau finden. Ghaddafi sprach sich im Jahre 1980 für die Gründung einer Tuareg-Republik in der westlichen Zentralsahara aus, unternahm jedoch keinen ernsthaften Versuch, deren Verwirklichung durchzusetzen. Schon auf sein bloßes Versprechen hin ließen sich aber viele Tuareg vom libyschen Militär rekrutieren, erlangten zum Teil sogar hohe Kommandopositionen. Zahlreiche Tuareg kämpften und starben in den Grenzkriegen zwischen Libyen und dem benachbarten Wüstenstaat Tschad.

Der libysche Bürgerkrieg von 2011, in dem zahlreiche Tuareg bis zuletzt auf der Seite Ghaddafis gekämpft hatten, brachte das Ende. Die Rache der Sieger sowie eine Welle hochkochenden antiafrikanischen Rassismus sorgten dafür, daß zusammen mit anderen nicht-arabischen Ethnien fast alle Tuareg aus Libyen vertrieben wurden.

Traum vom eigenen Staat

Mit dem Ende des Ölbooms geriet in den 1980er Jahren die Tuareg-Diaspora in eine erste Krise. Zehntausende ehemalige Nomaden, die in Libyen und Algerien ein Auskommen gefunden hatten, verloren ihre Arbeitsplätze. 1990 wies die algerische Regierung etwa 25000 aus Niger und Mali geflüchtete Tuareg aus, die in der Folge in ihre Heimatländer zurückkehrten.

Die wirtschaftliche Situation in der Zentralsahara hatte sich inzwischen weiter verschlechtert. Die führenden Eliten der zunehmend verarmenden Wüstenstaaten vertraten vordergründig die Interessen der eigenen Ethnie und zeigten wenig Bereitschaft, aus beständig schrumpfenden Staatsmitteln Gelder zur Unterstützung der Nomadenstämme abzuzweigen.

Internationale Hilfsgelder für eine Wiedereingliederung der geflüchteten Tuareg kamen nie bei den Betroffenen an und versickerten in den geräumigen Taschen einer korrupten Bürokratie. In Niger reagierten die in Lager eingepferchten Tuareg im Mai 1990 mit einem verzweifelten Aufstand, der wenige Monate später auch auf Mali übergriff. Die Rebellengruppen verlangten politische Autonomie, Gleichstellung und Wirtschaftshilfe. Mehrmals kam es in den Folgejahren zum Waffenstillstand und zu Verhandlungen zwischen Gruppen aufständischer Tuareg und den Nationalarmeen Malis und Nigers. Getroffene Vereinbarungen hatten jedoch nie lange Bestand, da die strukturellen Ursachen des Konfliktes, der wirtschaftliche Niedergang der Saharastaaten und die ungerechte Verteilung der schwindenden Staatseinnahmen, nicht beseitigt wurden.

Die Rückkehr Tausender Tuareg in ihre Heimatregionen nach dem libyschen Bürgerkrieg führte zum sofortigen Wiederaufflammen der Kämpfe in Mali. Die Rückkehrer, die in Libyen ein gesichertes Einkommen hatten und von einem für afrikanische Verhältnisse vorbildlichen Gesundheits- und Sozialsystem profitieren konnten, wollten sich mit den elenden Bedingungen in den heruntergekommenen Wüstenregionen nicht abfinden. Die von den Tuareg dominierte Befreiungsbewegung MNLA (Mouvement national pour la libération de Azawad; Nationale Befreiungsbewegung für das »Land der Nomaden«) erhielt Zulauf durch zahlreiche gewesene Offiziere und Soldaten der libyschen Armee, die häufig noch Waffen besaßen. So gestärkt, konnten die Rebellen binnen weniger Monate die Armee Malis aus dem von ihnen beanspruchten Norden des Landes vertreiben und riefen die Unabhängigkeit aus, welche allerdings von keinem Nachbarstaat anerkannt wurde.

Der Traum vom unabhängigen Staat Azawad erwies sich damit als ein sehr kurzer. Zwar siegreich gegen die Armee Malis, unterlagen die Tuareg-Nationalisten der MLNA wenige Monate später einer Koalition islamistischer Gruppen.

Koloniale Hypothek

Wie den meisten afrikanischen Staaten gelang es auch Mali nie, sich aus wirtschaftlicher Abhängigkeit von der ehemaligen Kolonialmacht zu lösen. Hinzu kam das Fortbestehen einer aus Kolonialzeit ererbten, korrupten und inkompetenten Staatsbürokratie. Der Sturz der Militärherrschaft 1992 und die Einführung eines parlamentarischen Systems nach westlichem Vorbild wurde von einem neoliberalen Strukturanpassungsprogramm flankiert. Die auf Druck westlicher Geldgeber durchgezogene Privatisierung ehemals staatseigener Infrastruktur erwies sich zwar häufig als volkswirtschaftliches Desaster, was aber weder einheimische Eliten noch die Strategen an den Schreibtischen der Weltbank in irgendeiner Weise beeindruckte.

Mali gehört demzufolge zu den zehn ärmsten Ländern der Welt. 36 Prozent der Bevölkerung leben nach offiziellen Angaben unterhalb der Armutsgrenze. Die Alphabetisierungsrate beträgt 40 Prozent, die durchschnittliche Lebenserwartung 48 Jahre, die Kindersterblichkeit 11,8 Prozent. Nur 17 Prozent der Beschäftigten sind in Industriebetrieben tätig. Von dem riesigen Territorium Malis sind nur vier Prozent für Ackerbau nutzbar. Auf diesen wenigen Flächen im Süden des Landes werden hauptsächlich exportorientierte Monokulturen angebaut – Mali ist in Afrika eines der Hauptanbaugebiete für Baumwolle. Ein wichtiger Wirtschaftszweig ist der Bergbau, in dem aber hauptsächlich ausländische Spezialisten beschäftigt sind. Mit zehn Prozent des Bruttoinlandproduktes ist die Rücküberweisung von Geldern durch Arbeitsmigranten eine der Haupteinnahmequellen der Bevölkerung.

Der Außenhandel Malis ist stark defizitär, der Export extrem abhängig von den schwankenden Preisen des Weltmarktes. Obwohl Mali von dem Schuldenerlaß des Jahres 2005 profitieren konnte, ist das Land derzeit wieder mit über drei Milliarden US-Dollar verschuldet. Folge des Programms neoliberaler Grausamkeiten und der »Verschlankung« eines ohnehin instabilen Staates war die Schaffung einer langfristig »überflüssigen« Bevölkerung. Nach offiziellen Angaben beträgt die Arbeitslosigkeit derzeit 30 Prozent, tatsächlich dürfte sie wesentlich höher liegen.

In multiethnischen Staaten führt die Anhäufung von sozialem Sprengstoff oft zur Ausdifferenzierung entlang ethnischer Grenzen und zu Verteilungskämpfen. Ein solcher Verteilungskampf findet in Mali seit Jahrzehnten statt. Sämtliche staatliche Investitionen und Förderprogramme gingen in den dominanten Süden, während die Wüstenregionen des Nordens der Dürre und der Armut überlassen blieben. Die angeblich für afrikanische Verhältnisse vorbildliche Demokratie in Mali war tatsächlich eine Demokratie auf tönernen Füßen. Die Revolte des Nordens und die darauf folgende erneute Machtergreifung des Militärs waren absehbar.

Mit dem Zerfall der traditionellen Nomadenwirtschaft und der fehlenden Unterstützung durch die Regierung in der Hauptstadt Bamako blieb einem großen Teil der Bevölkerung Nordmalis als einzige Überlebensmöglichkeit die Verstrickung in die kriminelle Schattenwirtschaft. Schon seit Jahren fungieren die Staaten der Zentralsahara als Transitroute für Waffen- und Rauschgiftschmuggler, die die faktische Abwesenheit staatlicher Gewalt in den unzugänglichen Wüstenregionen ausnutzen. Die grenzübergreifenden Netzwerke rekrutieren sich aus den nachwachsenden Generationen zerfallender und verarmter Nomadenstämme, aber auch aus Flüchtlingen, denen die Grenzschutzagentur FRONTEX den Zugang nach Europa verwehrt.

Der Norden von Mali fungiert zudem auch als Rückzugsgebiet der im algerischen Bürgerkrieg der 1990er Jahre geschlagenen Islamisten. Durch einen Militärputsch wurde Anfang 1992 in Algerien ein Wahlsieg der Islamischen Heilsfront (FIS) verhindert. Infolge der massiven Menschenrechtsverletzungen von Militär und Geheimdienst bei der Unterdrückung der islamischen Opposition kam es zum Erstarken radikaler Gruppen. Die Massaker salafistischer Terrorkommandos, insbesondere der Groupe Islamique Armé (GIA), an unbeteiligten Zivilisten und der Gegenterror des von Frankreich gestützten Militärs kosteten zwischen 60000 bis 150000 Menschen das Leben. Die islamistischen Gruppen finanzierten sich unter anderem durch kriminelle Aktionen, zum Beispiel Lösegelderpressung. Ende der 1990er Jahre hatten sie ihren Rückhalt in der algerischen Bevölkerung weitgehend verloren. Im Jahre 2000 löste sich die größte Organisation selbst auf. Die verbliebenen Kommandos der GIA und der von ihnen abgespaltenen Groupe salafiste pour la prédication et le combat (GSPC) zogen sich schließlich in schwer zugängliche Wüstenregionen oder über die Landesgrenzen zurück.

Im schon damals weitgehend außerhalb der Kontrolle der Regierung stehenden Norden Malis kam es zunehmend zu einer Verschmelzung der kriminellen Schattenwirtschaft mit der in verschiedene Teilgruppen zerfallenen GSPC. Dank krimineller Geschäfte sowie den Geldern, die aus den reaktionären Golfmonarchien flossen, konnten sich die mittlerweile multinational zusammengewürfelten islamistischen Gruppen nach dem Ende des libyschen Bürgerkrieges aus den geplünderten Arsenalen der Ghaddafi-Truppen massiv aufrüsten.

Als es über eine Einführung der Scharia im neugegründeten Staat Azawad zum Konflikt mit der laizistisch geprägten Befreiungsbewegung MLNA kam, konnten sich die Islamisten dank ihres finanziellen Rückhaltes und ihrer besseren Bewaffnung militärisch durchsetzen. Ihr dann folgender Vormarsch nach Süden rief schließlich die ehemalige Kolonialmacht Frankreich auf den Plan.

Das westliche Eingreifen in Mali nun zum »Kampf gegen den Drogenhandel« zu deklarieren, wie es beispielsweise ein Beitrag in Y – Das Magazin der Bundeswehr tat, dürfte allerdings an der Realität vorbeigehen. Erfahrungsgemäß lassen sich kriminelle Netzwerke nicht militärisch bekämpfen. Unter den Augen westlicher Besatzer blüht und gedeiht beispielsweise in Afghanistan seit Jahren der unter der Taliban-Herrschaft zuletzt verbotene Anbau und Export von Schlafmohn. Der von der NATO herbeigebombte und von der EU bis zuletzt verwaltete Kleinstaat Kosovo ist mittlerweile ein Zentrum der organisierten Kriminalität und Drehscheibe des europäischen Drogenhandels.

Öl, Uran, Gold

Die Zentralsahara ist reich an Bodenschätzen. Aus dem Tuareg-Gebiet im Norden von Niger bezieht Frankreich einen großen Teil des Urans für das Betreiben seiner Atomkraftwerke. Der französische Minenkonzern Areva beschäftigt hauptsächlich europäische Spezialisten. Die Einheimischen haben also wenig Nutzen davon, müssen aber mit den strahlenden Hinterlassenschaften einer vom Bergbau zerstörten Landschaft leben.

Weitere, noch nicht erschlossene Uranlagerstätten befinden sich im Norden Malis. Bei Taoudenni, kurz vor der algerischen Grenze, wurde vor einigen Jahren bei Probebohrungen Erdöl gefunden. Zentrale Gründe für das militärische Eingreifen Frankreichs dürften daher die in Nordmali lagernden Rohstoffvorkommen sowie die Sicherung der hauptsächlich im französischen Besitz befindlichen Wirtschaft Südmalis sein.

Am 11. Januar begann ie »Operation Serval«. Französische Truppen griffen auf Seiten der malischen Armee in den Konflikt ein. Der französische Präsident Francois Hollande verkündete als Ziel der Operation die Sicherung der territorialen Souveränität Malis gegen »terroristische Elemente«. Eine Begründung, die weltweit akzeptiert wurde. War doch bekannt, daß es sich bei den derzeit im Norden herrschenden Islamisten um ausgesprochen unappetitliche Gruppierungen handelt.

Daß durch das französische Engagement ein Militärregime gestützt wird, dessen Ursupation noch vor einigen Monaten weltweit verurteilt wurde, war für Hollande kein Thema. Auch nicht, daß es dem im Süden Malis herrschenden Regime keineswegs um eine Lösung des Konfliktes, sondern um eine Rückeroberung des Nordens geht. Ebensowenig, daß es im Bürgerkrieg mit aufständischen Tuareg in der Vergangenheit zu massiven Menschenrechtsverletzungen durch das malische Militär gekommen ist.

Mehrere westafrikanische Staaten wollen ebenfalls Truppen nach Mali schicken. Europäische Staaten kündigten logistische Unterstützung an sowie die Entsendung von Militärausbildern. Die Kosten des Einsatzes werden derzeit auf 500 Millionen US-Dollar geschätzt. Wäre nur ein Bruchteil dieser Summe in Nordmali investiert worden, hätte man dazu beigetragen können, daß es erst gar nicht zum Bürgerkrieg und zum Vormarsch der Islamisten gekommen wäre.

Es ist anzunehmen, daß sich die bewaffneten Islamisten der militärischen Übermacht nicht stellen, sondern durch die Wüste auf das Territorium der Nachbarstaaten flüchten. Und es ist ebenfalls anzunehmen, daß das malische Militär seine Wut über die Niederlage des vergangenen Jahres an der schutzlos zurückgelassenen Bevölkerung der Tuareg ausläßt. Doch das wird die Koalition der »Antiterrorkrieger« dann schon nicht mehr interessieren.

»Der Terrorismus in Mali ist nicht nur eine Bedrohung für Afrika, sondern auch eine Bedrohung für Europa.« Damit rechtfertigte Angela Merkel ihre ohne vorherige Befragung des Bundestages getroffene Entscheidung, den französischen Militäreinsatz zu unterstützen. Daß es in Mali auch deutsche Wirtschaftsinteressen zu verteidigen gibt, wurde von der Kanzlerin nicht erwähnt. Mali ist seit 2000 ein Schwerpunkt deutscher Entwicklungsarbeit. Beispielsweise hält die in Frankfurt/Main ansässige Investmentgesellschaft Pearl Gold AG 25 Prozent der Anteile des im Süden Malis tätigen Bergbauunternehmens Wassoul’Or. Wie die Namen verraten, geht es um Gold. Mali ist der drittgrößte Goldproduzent Afrikas. Und für dieses Metall hat man in der Vergangenheit Kontinente verwüstet und ganze Völker massakriert.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 23. Januar 2013


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