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"Die EU trägt Verantwortung"

Abgeschobene Flüchtlinge aus Mali berichten auf einer Rundreise über ihre Situation

Ousmane Diarra ist Mitglied im Verband für die Abgeschobenen in Mali (AME). Zusammen mit anderen Mitgliedern veranstaltet er eine Info-Tour durch die Bundesrepublik. Veranstaltungen finden in Hamburg, Rendsburg, Rostock, Oldenburg, Jena und Hannover statt. Die Rundreise wird unterstützt von The Voice Refugee Forum, medico international und dem Flüchtlingsrat Hamburg. Mit Diarra sprach für das "Neue Deutschland" (ND) Birgit v. Criegern.



ND: Der Verband Abgeschobener in Mali wurde 2006 in Bamako nach dem Weltsozialforum gegründet. Welche Ziele verfolgen Sie?

Diarra: Wir leisten Nothilfe, medizinische Hilfe und beziehen Stellung gegen die Menschenrechtsverletzungen, die an Flüchtlingen auf dem Transitweg oder im Zielland verübt werden. AME ist die erste Organisation, die von Flüchtlingen anlässlich der erzwungenen Rückkehr nach Mali gegründet wurde. Dabei ging es zuerst darum, die Verhörmethoden und willkürlichen Inhaftierungen in Lagern mit demütigenden Bedingungen anzuprangern, die internationalem Recht widersprechen. Wir fordern die Freilassung von Inhaftierten und Entschädigungen für den Verlust ihrer Habe.

Wegen der Probleme für die ankommenden Abgeschobenen in Mali haben wir Empfangsräume am Flughafen und an Orten an der Landesgrenze geschaffen, wohin Flüchtlinge von Marokko und Libyen über Mauretanien und Algerien zurückgedrängt werden. Zu unseren Aktivitäten für die Abgeschobenen gehören auch eine Bereitstellung von Unterkünften, Begleitdienste zu Verwaltung, Gericht und Arzt sowie regelmäßige Erkundungen in den Regionen der Transitmigration, z.B. Nouadhibou, Oujda und Tamanrasset, um die Lebens- und Rückführungsbedingungen der Flüchtlinge festzustellen und davon zu berichten.

Am 28. Mai beginnen Sie eine Info-Tour, um über die Flüchtlinge in Mali und Europa zu berichten. Wie ist die Situation für die Abgeschobenen Malis?

In Mali werden wir täglich Zeugen von Abschiebungen aus Frankreich und Spanien in regulären Linienflügen, und von systematischer Rückdrängung von Gruppen subsaharischer Flüchtlinge aus Mauretanien, Algerien, Marokko und Libyen, die dort arbeiteten oder auf dem Transitweg waren. Diese kommen in Mali nach langen Entbehrungen und Versagung der Grundrechte an. Sie wurden, oft mitten in der Wüste, zur Grenze zurückgedrängt und festgehalten - in ungesetzlichen Haftanstalten, wo sie nur eine Mahlzeit am Tag bekommen und keine medizinische Betreuung. In diesen Lagern wird der Zutritt für Nichtregierungsorganisationen (NGO) erschwert, die für die humanitären Rechte der Flüchtlinge eintreten. Die Flüchtlinge, die von dort kommen, weisen körperliche Spuren von Verhören und Haft auf. Nach den Berichten, die wir erhalten, sind viele zwischen vier und neun Monaten, oft in mehreren Lagern, inhaftiert worden, ehe man sie in Gruppen zur Grenze zurückschickte. Bei der Ankunft sind sie krank, die meisten von ihnen traumatisiert von der Zeit im Lager.

Wie beurteilen Sie die Rolle der EU-Staaten bei diesen Abschiebungen?

Man muss wissen, dass alle diese Rückführungslager mit EU-Geldern bezahlt werden - mit italienischem Geld an Libyen und spanischem Geld für das Lager »Guantananino« im mauretanischen Nouadhibou. Der Maghreb soll die Flüchtlinge von den europäischen Küsten fernhalten. Und die Geldzuweisungen befestigen den Stand der Dinge: Repressionen, mit denen Migranten der Krieg erklärt wird. Spanien und Italien zeigen mit Grenzschutzwachen und der Ausstattung mit Sicherheitstechnologien ihre Mittäterschaft, wie letztlich die gesamte EU.

Wie müsste die EU handeln, um die Rechte der Flüchtlinge zu stärken?

Wir wiederholen, was NGOs und Zivilgesellschaften gesagt haben: Um die Würde der Flüchtlinge auf dem Transitweg und im Zielland zu schützen, müssen die EU-Mitglieder ihre Verantwortung an den Geschehnissen der Grenzregionen außerhalb der EU anerkennen und sie in Einklang mit gewohntem Recht bringen. Das Recht auf Asyl und das daraus folgende Prinzip der Nicht-Zurückweisung muss gewährt werden. Auch muss eine demokratische unabhängige Kontrolle durch NGOs und Zivilgesellschaft zur Wahrung der Menschenrechte von Flüchtlingen und Asylbewerbern eingerichtet werden.

* Aus: Neues Deutschland, 26. Mai 2010


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