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Malaysias Polizei in Rambo-Manier

Friedliche Demonstration für Wahlrechtsreform niedergeschlagen

Von Alois Leinweber, Kuala Lumpur *

Mit Schlagstöcken, Tränengas und Wasserkanonen haben Polizisten in Malaysias Hauptstadt Kuala Lumpur am Samstag (9. Juli) den Protest von Demonstranten niedergeschlagen und mehr als 1600 von ihnen festgenommen. An der von den Behörden untersagten Demonstration für eine Wahlrechtsreform nahmen nach Angaben der Organisatoren rund 50 000 Menschen teil.

Es ist ein Standardargument: Die Demonstranten hätten versucht, Chaos zu schaffen, um dadurch das Ansehen der Autoritäten zu schädigen, hieß es aus Regierungskreisen im Malaysia am Sonntag. Damit verteidigte die Regierung das gewaltsame Vorgehen gegen die Teilnehmer einer Massenkundgebung in der Hauptstadt Kuala Lumpur. Hingegen kritisierten Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch und Amnesty International die Behörden scharf. Amnesty betonte, dass Malaysia als gegenwärtiges Mitglied des UN-Menschenrechtsrates anderen Ländern als Beispiel dienen und die Menschenrechte fördern sollte anstatt diese zu unterdrücken.

Zu dem Protest am Tag zuvor hatte das aus 62 Nichtregierungsorganisationen und Oppositionsparteien bestehende Bündnis Bersih 2.0 (Bersih: malaiisch für sauber) aufgerufen. In 30 Städten außerhalb Malaysias, von Hongkong bis Sydney, kam es mittlerweile zu Solidaritätskundgebungen.

Die Polizei ging mit Tränengas und Wasserwerfern gegen mehr als 20 000 Menschen, die Organisatoren sprechen von 50 000, vor. Laut der offiziellen Facebook-Seite der malaysischen Polizei wurden 1667 Menschen festgenommen. Gegen sie sollte wegen des Verstoßes gegen das Versammlungsverbot ermittelt werden. Mehrere hundert Festgenommene seien aber bereits wieder freigelassen worden, teilten die Behörden am Sonntag (10. Juli) mit.

Nach Ansicht der Organisatoren ist eine Reform des Wahlprozesses dringend erforderlich. Es gehe darum, den Wahlvorgang transparent und kontrollierbar zu machen. Bersih fordert in einem Memorandum, das dem König übergeben werden soll, unter anderem eine Überholung des Wählerverzeichnisses und die Streichung von Phantomwählern.

Das Briefwahlsystem soll allen, nicht nur den Wahlberechtigten im Ausland und den Mitgliedern der Polizei und der Streitkräfte, zur Verfügung stehen, wobei vor allem letztere zur Wahlurne gehen sollen, wenn sie nicht am Wahltag zum Dienst eingeteilt sind. Zudem sollen alle Parteien, die zur Wahl stehen, einen gleichen Zugang zu den bisher von den Regierungsparteien kontrollierten großen Tageszeitungen, sowie zu den staatlichen Radio- und Fernsehsendern erhalten. Die Zeit für den Wahlkampf, die bei den letzten Wahlen im Jahre 2008 nur acht Tage dauerte, soll mindestens 21 Tage betragen. Vor allem, so Bersih, müsse die Korruption, »die alle Aspekte des Lebens in Malaysia infiziert hat«, gestoppt werden.

Am Tag der Demonstration waren Zufahrtsstraßen zur City gesperrt, zentrale Stationen der Stadtbahn ebenfalls. Die City war im Belagerungszustand. Trotzdem schafften es Zehntausende Demonstranten, sich in fünf Marschsäulen auf den Weg zum Merdeka Stadion zu machen. Das war stellenweise eine Atmosphäre wie im Karneval, die Menschen sangen, hatten Blumen in der Hand und schwenkten die malaysische Flagge.

»Gewalt ging ausschließlich von der Polizei aus«, meinte ein Teilnehmer. Der 70-jährige Nationale Literaturpreisträger A Samad Said wurde wegen eines Gedichts, das er zur Unterstützung der Bersih 2.0 Kampagne geschrieben hatte, 90 Minuten lang verhört. A Samad Said berichtete später vor der Presse, er habe noch nie eine solche Brutalität erlebt und verwies auf den Einsatz von Tränengas und auf blutende Demonstranten. Nach Angaben der Opposition vom Sonntag starb ein Mann während der Proteste an Atemproblemen. Ob diese im Zusammenhang mit dem Einsatz von Tränengas standen, war zunächst unklar. Ein Polizeisprecher bestätigte den Tod, erklärte aber, der Mann habe am Rande der Demonstration einen Herzinfarkt erlitten. Es habe keinerlei Gewalteinwirkung gegeben.

Die erste große Demonstration des Bündnisses fand im Jahre 2007 statt. Die Wahlen ein Jahr später brachten der Opposition die Mehrheit in fünf Bundesstaaten. Die nächsten Wahlen werden für 2012 erwartet. Die Regierungsparteien, die seit über 50 Jahren an der Macht sind, haben laut Beobachter eine große Chance verpasst, mit einem kompromissbereiten Bersih 2.0 ins Gespräch zu kommen. Durch den Polizeieinsatz werde der Kampf um eine Reform des Wahlsystems ausgeweitet auf den Kampf um eine saubere, demokratische und transparente Regierungspolitik.

* Aus: Neues Deutschland, 11. Juli 2011


Niedergeknüppelt

Sicherheitskräfte in Malaysia lösen Massendemonstration der Opposition gewaltsam auf

Von Thomas Berger **


Mehr als 1600 Menschen sind bei einer Massendemonstration oppositioneller Gruppen in Malaysia am Samstag verhaftet worden. Das brutale Vorgehen der Polizei mit Schlagstöcken und Tränengas forderte zudem zahlreiche Verletzte. An den Protesten für Wahlrechtsreformen in der Hauptstadt Kuala Lumpur hatten sich bis zu 50000 Demonstranten beteiligt.

Diese forderten einen angemessenen Zugang zu den staatlichen Me­dien, eine längere Vorbereitungs- und Wahlkampfphase zwischen Ankündigung und Durchführung von Wahlen sowie die Bereinigung der fehlerhaften Wählerlisten und die Verwendung nicht abwaschbarer Tinte bei der Registrierung am Wahltag.

Hintergrund ist die Tatsache, daß die regierende Nationale Front (Barisan Nasional BN) rund um die tonangebende Malaiische Nationalorganisation (UMNO) seit Jahrzehnten die Macht in den Händen hält und bei Wahlen gewinnt. 2007 war es dem aus der Islamischer Partei (PAS) und den beiden säkular-liberalen Gruppen Demokratische Aktionspartei (DAP) und Keadilan Rakyat (PKR) bestehenden Oppositionsbündnis erstmals gelungen, die Zweidrittelmehrheit der Nationalen Front zu brechen. 2012 steht der nächste Urnengang an.

Premier Najib Razak hatte seine Gegner ausdrücklich vor Massenprotesten gewarnt. Sowohl er als auch der Polizeichef wollten unbedingt verhindern, daß die Demonstranten das Merdeka-Stadion im Herzen der Hauptstadt für einen Aufmarsch nutzen. Bereits seit Freitag nacht war deshalb die Innenstadt von Sicherheitskräften abgeriegelt worden. Dennoch schafften es unzählige Aktivisten der oppositionellen Front Bersih 2.0, sich am Sonnabend zu versammeln. Die meisten wollten vom Puduraja-Busbahnhof Richtung Stadion ziehen.

Daß die Beamten so brutal auf die ordnungsgemäß angemeldete Versammlung reagieren würden, hatten viele nicht für möglich gehalten. Die Attacken führten bei einigen Demonstranten zu ernsthaften Verletzungen. Unter anderem mußte Oppositionschef Anwar Ibrahim von der PKR nach einem Angriff der Sicherheitskräfte in ein Krankenhaus gebracht werden.

Der Versuch der Regierung, die Massendemonstration und Aktionen im Vorfeld als »kommunistische Unruhestiftung« zu diskreditieren, ist jedenfalls kläglich gescheitert. Die Opposition blieb moralischer Sieger des Wochenendes. Die Front hinter den Protesten geht weit über das Bündnis aus PKR, PAS und DAP hinaus. Auch verschiedene linke Organisationen sind Teil der Opposition. Diese haben es in Malaysia allerdings besonders schwer. Schon seit Ende Juni etwa sind um die 30 Aktivisten, darunter mehrere Mitglieder der Sozialistischen Partei Malaysias (PSM), in Haft.

Auch wenn die Ordnungshüter am Ende des Tages nominelle Sieger der Auseinandersetzung blieben, der Ruf nach politischen Reformen – »Reformasi!« – ist angesichts ihrer Reaktion auf die friedlichen Proteste nur stärker geworden. Auch in Hongkong und Südkorea lebende Malaysier übten scharfe Kritik am Vorgehen von Regierung und Polizei ihrer Heimat.

** Aus: junge Welt, 11. Juli 2011


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