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Überraschung in Malaysia

Oppositionsführer Anwar Ibrahim freigesprochen. Schlappe für Regierung

Von Thomas Berger *

Die Überraschung hätte nicht größer sein können: Der High Court in Kuala Lumpur hat am Montag Malaysias Oppositionsführer Anwar Ibrahim vom Vorwurf der »Sodomie« freigesprochen. Richter Mohamad Zabidin Diah sagte zur Begründung, die Anklage sei nicht aufrechtzuerhalten, da die DNA-Spuren, das wichtigste Belastungsmaterial, offenbar manipuliert worden seien. »Das Gericht ist stets sehr zögernd, in Prozessen mit sexuellem Hintergrund ohne ausreichende Beweise ein Urteil zu fällen«, sagte der Richter. Der Beschuldigte müsse deshalb konsequenterweise freigesprochen werden. Unzählige Anhänger Anwars brachen in Jubel aus, und auch er selbst konnte es anfangs kaum fassen, das Gericht tatsächlich als freier Mann verlassen zu können. Anwar, der in den vergangenen Tagen im ganzen Land Kundgebungen der Opposition abgehalten hatte, war nach eigener Aussage darauf gefaßt gewesen, zu einer 20jährigen Freiheitsstrafe verurteilt zu werden. Allerdings, so der nun Freigesprochene noch am Wochenende kämpferisch, würde auch seine erneute Inhaftierung das weitere Erstarken der Opposition nicht verhindern.

Ein früherer junger Mitarbeiter Anwars hatte ausgesagt, sein Chef habe mit ihm Geschlechtsverkehr gehabt. Homosexuelle Handlungen gelten in dem islamisch dominierten Land als Straftat, auch wenn in solchen Fällen selten Anklage erhoben wird. Zweifel an der Aussage des 25jährigen Belastungszeugen hatte es schon früh gegeben, und einen ersten Teilerfolg in dem seit 2008 laufenden Prozeß konnte Anwar im März vorigen Jahres verbuchen, als der gleiche Richter bereits die Art und Weise der Sicherung von DNA-Spuren rügte. Sie waren aus der Zelle Anwars nach seiner damaligen Verhaftung von seiner Zahnbürste, einem Handtuch und einer Wasserflasche entnommen worden, ohne daß ihm ihre Verwertung vor Gericht mitgeteilt wurde. Dort behauptete die Staatsanwaltschaft, daß sie mit Spermaspuren des vermeintlichen Geschlechtsaktes übereinstimmen würden.

Die Regierung beeilte sich, den Richterspruch als Indiz für eine freie Justiz im Land zu bewerten. Vor allem aber ist das Urteil eine schallende Ohrfeige für die Regierung von Premier Najib Razak. Er und sein Vorgänger Abdullah Ahmad Badawi hatten nichts unversucht gelassen, ihren prominentesten Gegenspieler mundtot zu machen. Wie ein Kartenhaus ist das, was nicht nur Anwar und seine Getreuen, sondern auch internationale Menschenrechtsgruppen als Inszenierung kritisiert hatten, in sich zusammengefallen.

Schon 1998 war Anwar Ibrahim, seinerzeit unter dem langjährigen Premier Mahathir Mohamad dessen Vize und Finanzminister, in gleicher Weise angeklagt worden – doch nur eine zweite, möglicherweise ebenfalls nicht rechtmäßig zustande gekommene Verurteilung wegen Korruptionsvorwürfen hatte letztlich Bestand. 2004 kam Anwar frei und erlebte wenig später ein politisches Comeback, als seine eigene Keadilan-Partei zusammen mit der ebenfalls säkular-liberalen Democratic Action Party (DAP) und der religiösen Islamischen Partei (PAS) ein oppositionelles Dreierbündnis schmiedete. Dieses brachte die seit Malaysias Unabhängigkeit vor mehr als einem halben Jahrhundert mit geradezu unumschränkter Macht herrschende Nationale Front (BN) unter Führung der Vereinten Malaysischen Nationalorganisation (UMNO) in Bedrängnis. Bei den Wahlen 2008 verlor sie erstmals ihre Zweidrittelmehrheit im Parlament. Wahrscheinlich stehen noch im Verlauf dieses Jahres vorfristig Neuwahlen an, und Anwar Ibrahim ist nach wie vor der einzige, der über genügend Charisma und Regierungserfahrung verfügt, um Premier Najib Razak herauszufordern.

* Aus: junge Welt, 10. Januar 2012


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