Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Zustände wie in der Sklaverei

Der Kampf um Frauen- und Arbeiterrechte muss internationalisiert werden

Die Malaysierin Irene Fernandez wurde am 29. September mit dem alternativen Nobelpreis (Right Livelihood Award) für ihren "herausragenden und mutigen Einsatz zum Stopp von Gewalt gegen Frauen und den Missbrauch von Arbeitsmigranten und armen Arbeitern" ausgezeichnet. (Siehe hierzu: Alternativer Nobelpreis 2005 an "Pioniere der Gerechtigkeit, fairen Handels und kultureller Erneuerung".) Im Folgenden dokumentieren wir ein Interview mit der Preisträgerin aus Malaysia, das wir der Zeitung "Neues Deutschland" entnommen haben..



ND: Sie sind Mitbegründerin und Direktorin der 1991 gegründeten Organisatin »Tenaganita«. Welche Schwerpunkte setzen Sie in Ihrer Arbeit?

Fernandez: »Tenaganita« heißt so viel wie »Frauenpower«. Eine große und weit gehend erfolgreiche Kampagne war die für die 30 000 meist indischen Plantagenarbeiterinnen. Sie arbeiteten fast ohne jede Schutzmaßnahme mit Pestiziden. Wir haben über zwei Jahre eine Studie dazu erarbeitet, vor allem über die Wirkung des Pestizids Paraquat. Die malaysische Regierung hat aufgrund unseres Reports die Nutzung der Chemikalie verboten.

Ein anderer Schwerpunkt sind die Probleme von Frauen mit unehelichen Kindern, von denen es in Malaysia 800 000 gibt. Die müssen oft zu Minimallöhnen von 450 Ringgit monatlich (das sind knapp Euro 100) im Schnitt zwölf Stunden täglich arbeiten, können sich daher kaum um ihre Kinder kümmern. Wir versuchen, den Kindern einen Platz anzubieten, wo sie betreut werden und ihre Mahlzeiten einnehmen können.

Außerdem haben wir ein Programm für die meist ausländischen Hausangestellten, von denen es über 300 000 in Malaysia gibt. Es ist schwierig, diese Frauen zu erreichen, weil sie sehr vereinzelt arbeiten. Wir haben eine Hotline eingerichtet, wo jeder anrufen kann, der Fälle von Missbrauch und Misshandlung kennt. Dadurch haben wir in den letzten drei Jahren 1053 Fälle bearbeiten können. Mitunter sind die Frauen vergewaltigt worden. Wir arbeiten eng mit der Polizei zusammen, die tätig wird und die Frauen aus den Häusern holt, wenn wir Informationen vorlegen.

Zur Zeit berichten die Tageszeitungen Malaysias fast täglich über ausländische Arbeiter, denen über Monate kein Lohn gezahlt wurde. Dabei werden häufig die Namen »Tenaganita« und Irene Fernandez genannt.

»Tenaganita« ist in der Tat zu einer Anlaufstelle für ausländische Arbeiter und Arbeiterinnen geworden, die zum Teil unter unglaublichen Bedingungen arbeiten. Mitunter ist das wie Sklaverei. Mit großen Versprechungen von privaten Agenturen aus Vietnam, Bangladesch, Indien, Myanmar und Indonesien ins Land geholt, sind viele den Agenten ausgeliefert, bekommen nicht den versprochenen, oft sogar gar keinen Lohn. Die Pässe sind in der Regel in den Händen der Agenturen oder der Firmen. Wer sich beschwert, wird bedroht, etwa damit, dass die Arbeitserlaubnis zurückgenommen werde, wodurch die betreffenden illegal im Lande wären. Wir haben in den letzten drei Jahren 30 Millionen Ringgit (6,6 Millionen Euro) an nicht gezahlten Löhnen für die ausländischen Kollegen und Kolleginnen erstritten. Wenn man die Gelder für den EPF-Fonds (ein Rentenfonds) mitrechnet, sind es sogar über 140 Millionen (30,8 Millionen Euro). Daneben haben wir Rechtsschutz gewährt und Rechtsanwälte besorgt.

Im Ausland findet Ihre Arbeit Anerkennung. Ende September erhielten Sie den Right Livelihood Award 2005 (alternativer Nobelpreis), dann waren Sie als eine von 1000 Frauen aus 150 Ländern für den Friedensnobelpreis nominiert. Was bedeutet Ihnen das?

Viel. Ich betrachte es als Anerkennung der großen Probleme, die diese Menschen haben, mit denen wir zusammenarbeiten, also vor allem Frauen und ausländische Arbeiter und Arbeiterinnen. Es geht uns darum, die Würde dieser Menschen wieder herzustellen und ihre Rechte anzuerkennen. Das hat für mich viel mit Frieden zu tun.

Bei den Machthabern im Inland sind Sie weniger wohl gelitten.

In der Tat: Dieses Land hat mich nach der Anklage im März 1996 im Oktober 2003 wegen Verbreitung falscher Nachrichten zu 12 Monaten Gefängnis verurteilt. Das Widerspruchsverfahren ist vor dem Obersten Gericht anhängig. Mein Verfahren ist das längste in der malaysischen Geschichte. Ich habe inzwischen über 300 Tage bei Gericht verbracht.

Was wird Ihnen vorgeworfen?

1992/93 war ich an einer Untersuchung über HIV und Immigranten in den Lagern beteiligt. Die Menschen waren nicht interessiert, über HIV zu sprechen. Sie waren verhaftet worden und mussten in Lagern leben, sie hatten keine Jobs und keine Pässe, sie wussten nicht, wie es weiter gehen sollte. Das waren ihre Probleme. Also haben wir neben unserer eigentlichen Untersuchung auch einen Bericht über die Lage der Gefangenen erstellt. Dafür haben wir mit rund 300 Menschen gesprochen und festgestellt, dass in allen neun Lagern ein ähnliches Muster zu erkennen war: Überall hörten wir von Misshandlungen und sogar von Folter, es gab nicht genug Verpflegung, die tägliche Wasserration war häufig auf zwei Tassen reduziert. Die Camps waren für 150 Insassen gebaut, tatsächlich lebten da über 300.

Hat sich durch den Bericht etwas geändert?

Da hat sich im Wesentlichen nichts geändert. Zwar hat sogar der Premierminister zugegeben, dass es in den Camps 89 Tote gegeben hatte. Im Memorandum wiesen wir auch auf das System der illegalen Agenten hin, die Arbeiter in anderen Ländern rekrutieren und nach Malaysia einschleusen. Der damalige Premierminister Mahathir und die zuständigen Behörden stritten alles schlichtweg ab. Niemand ist zur Rechenschaft gezogen worden. Die Polzei missbrauchte sogar diesen Report, um wegen angeblicher Verleumdung gegen mich zu ermitteln

Was halten Sie für Ihren größten Erfolg?

Die Tatsache, dass es uns gelungen ist, die Situation der ausländischen Arbeiter und Arbeiterinnen ins öffentliche Bewußtsein zu rücken, sowohl im Lande selbst als auch international. Der mir verliehene Preis hilft enorm dabei, unsere Arbeit global bekannt zu machen, und wird uns erleichtern, die notwendigen Spenden zu bekommen. In diesem Zusammenhang hat mein Prozess auch etwas Gutes: Er hat die malaysische Regierung und ihre repressive Politik gegenüber Menschenrechtsaktivisten und marginalisierten Gruppen, beispielsweise Immigranten, bloßgestellt.

Außerdem haben wir die Gewerkschaften an unserer Seite und die internationale Arbeitsorganisation ILO. Die Arbeiterbewegung entwickelt sich; und das ist sehr, sehr wichtig, weil man über Grenzen hinweg zusammenarbeiten kann. Die Probleme sind nicht mehr nur in einem Land zu lösen. Sie haben eine globale Dimension.

Interview: Alois Leinweber

Aus: Neues Deutschland, 25. Oktober 2005



Zurück zur Malaysia-Seite

Zur Seite "Friedenspreise"

Zurück zur Homepage