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Der "Schatzhüter" von Mua

Ein Priester aus Kanada hat in Malawi ein Kultur- und Kunstzentrum aufgebaut

Von Hilmar König, Mua *

Im malawischen Mua hat ein kanadischer Missionar ein Zentrum für Kultur und Kunst aufgebaut. Es sichert Einheimischen ein Einkommen und bewahrt das Kulturerbe der Ethnien der Chewa, Ngoni und Yao.

Pater Claude Boucher »Chisale« hält sich nicht an die »Kleiderordnung« seines katholischen Ordens »Missionare Afrikas«, die auf dem schwarzen Kontinent besser als »weiße Väter« bekannt sind. Der 1856 gegründete französische Orden entstand im Verlaufe der Kampagne gegen Sklavenhandel auf afrikanischem Boden. Zu »weißen Vätern« wurden die Missionare nicht wegen ihres Hautteints, sondern weil sie seit der Einrichtung ihrer ersten Mission in Algerien die dort üblichen muslimischen weißen Gewänder tragen. Der 72-jährige Kanadier hingegen bevorzugt heutzutage bunte lose Hemden und Hosen aus Baumwolle, bedruckt mit afrikanischen Motiven und Mustern. Ein äußerliches Zeichen dafür, dass er in den fast 40 Jahren in Malawi zu einem Einheimischen geworden ist, der stolz den Namen »Chisale« trägt, den ihm die Chewa verliehen, nachdem sie ihn in ihre Riten eingeweiht und in den Stammesverband aufgenommen hatten.

Der Priester kam 1967 nach Malawi, ging in die Dörfer, lernte die hier verbreiteten Sprachen Chichewa und Ngoni, um die Bevölkerung in seinen Predigten überhaupt erreichen zu können. Und ihm fielen viele fantasievolle Bilder und Schnitzarbeiten auf, angefertigt von Männern und Frauen mit künstlerischen Fähigkeiten, Neigungen und Talenten. Er bemerkte aber auch, dass durch die lange Kolonialherrschaft das Selbstwertgefühl der Menschen verschüttet worden war, die Alten als Träger der Kultur und Traditionen kaum noch Gehör fanden, die Jungen auf Arbeitssuche in die Stadt oder nach Südafrika gingen. Pater Boucher erklärt uns bei einem Besuch im Kungoni-Zentrum von Mua: »Der Verlust dieses wertvollen kulturellen Erbes drohte. Und das wollte ich nicht zulassen.« So gründete er unter dem Motto »Vergiss deine Kultur nicht!« zunächst eine Schnitzwerkstatt, dann einen Malzirkel, eine Tanzgruppe und einen Chor.

Dass das Engagement Chisales Früchte getragen hat, erleben wir bei einem Rundgang durch den Ausstellungsraum und das Museum, bewundern die unglaublich faszinierende Sammlung von Masken, Gerätschaften, Musikinstrumenten, Kultgegenständen und Bildern. Der 32 Jahre alte Robert Kalindiza, der uns mit unverkennbarer Begeisterung durch die Räume führt, sagt: »Wir sind stolz auf unsere Kultur.«

Claude Boucher, der durchaus ein weltlicher Mann ist, raucht, Bier trinkt und gutes Essen mag, hat, je tiefer er sich in die Materie einarbeitete, sein Wissen erweitert, in Uganda und London Anthropologie studiert und sich danach erneut auf Entdeckungsreise durch seine zweite Heimat Malawi begeben. Er besuchte und befragte die Chiefs, die alten, weisen Männer und Frauen, notierte ihre Legenden, zeichnete ihre Lieder auf und filmte die traditionellen Tänze, sammelte die heiligen Masken und erforschte ihre Bedeutung, beispielsweise des Gule Wamkulu, des großen rituellen Maskentanzes des Chewa-Volkes. Ihn erläutert Boucher in dem 2012 erschienenen Buch »Wenn Tiere singen und Geister tanzen«. Er trug die heute im Kungoni-Zentrum zu sehenden Schätze zusammen. Das ist die eine Seite seines Wirkens.

Die andere ist, dass er damit hunderten Menschen Arbeit gibt, mit der sie ihren Lebensunterhalt verdienen können. Schnitzwerk und Gemälde werden gern von Touristen erworben und sind in Ausstellungen im Ausland, angeblich sogar im Vatikan-Museum und im Buckingham Palace zu finden. Besucher des Mua-Zentrums können gegen ein Entgelt in mehrtägigen Vorträgen tiefer in die Sitten und Bräuche der Völker Malawis eindringen. Für Übernachtung und Verpflegung ist gesorgt.

Das jüngste Projekt heiß »Kumbewu«. Es dient der Familienentwicklung. Frauen lernen hier nicht nur Batik, Schmuck aus Fasern, Saat, Pflanzen sowie Kunsthandwerk zum Verkauf anzufertigen, sondern sie werden in Kursen auch über HIV/Aids, andere Gesundheitsprobleme, Familienplanung, über Hygiene, bäuerliche Kleinwirtschaft und Nahrungszubereitung aufgeklärt. Und sie können Alphabetisierungszirkel besuchen. Das Kungoni-Zentrum liegt auf dem Gelände der christlichen Mua-Mission, zu der neben der Gemeindekirche auch ein Krankenhaus und eine Gehörlosenschule gehören.

Der »Schatzhüter« von Mua folgt, wie er uns mit Genugtuung verkündet, einer »kosmischen Liturgie«, mit der er sich auch an die Nichtchristen und Muslime in Malawi wendet: »Wir alle sind Brüder, unabhängig von Bildung und Glaube. Wir sollten unsere Weisheiten austauschen, voneinander lernen, Toleranz üben und Unterschiede respektieren.«

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 4, Februar 2014


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