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USA und EU einig über Mazedonien

Regierung und Opposition beenden nach Druck aus Washington und Brüssel Staatskrise in Skopje

Von Roland Zschächner *

Am Donnerstag wurden die letzten Zelte vor dem Parlament in Skopje abgebaut. Seit 17. Mai demonstrierten Aktivisten der sozialdemokratischen Opposition dort gegen die konservative Regierung von Nikola Gruevski. Doch nun ist Schluss. Am Mittwoch morgen schlossen die Vertreter der vier größten Parteien unter Aufsicht von EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn eine Vereinbarung über die Lösung der Staatskrise. An dem Gesprächen nahmen neben der regierenden rechten VMRO-DPMNE und ihrem albanischen Koalitionspartner DUI auch die oppositionelle SDSM sowie die albanische DPA teil.

In der Übereinkunft wurde sich darauf verständigt, ein gemeinsames Kabinett zu bilden. Außerdem sollen am 24. April 2016 vorgezogene Neuwahlen stattfinden. 100 Tage davor, am 15. Januar, werden »Experten«, auf die sich noch geeinigt werden muss, die Staatsführung übernehmen. So soll der Vorwurf des Machtmissbrauchs verhindert werden. Außerdem wird die sozialdemokratische SDSM unter Zoran Zaev ab Oktober wieder in das Parlament zurückkehren, das sie seit der Wahl 2014 boykottiert.

Das Land steckte seit Anfang dieses Jahres in einer politischen Krise, die von den USA angeheizt wurde. Seit Februar veröffentlichte Zaev abgehörte Telefonaten, die vom Geheimdienst stammen sollen. Die genaue Herkunft der Mitschnitte ist jedoch unklar. Die Regierung behauptet, sie seien durch ausländische Behörden lanciert worden, die Opposition spricht indes von »patriotischen Kräften« im Apparat. Gegen Zaev wurden mehrere Strafverfahren eingeleitet.

Durch die Aufnahmen wurde den Mazedoniern eine Regierung präsentiert, die Morde vertuscht und sich ungeniert am Staatsbudget bereichert. Insgesamt sollen über 20.000 Personen – von Politikern der Opposition und Regierung über Journalisten bis hin zu Geistlichen – überwacht worden sein. Ab Herbst soll nun ein Sonderermittler den Skandal untersuchen, was nicht anderes bedeutet, als die Sache unter den Teppich zu kehren.

Nachdem Gruevski im März angekündigt hatte, sich an dem russischen Gaspipelineprojekt »Turkish Stream« zu beteiligen, eskalierte die Lage. Die SDSM machte zunehmend brisanteres Material öffentlich, woraufhin es zu Antiregierungsdemonstrationen kam. Anfang Mai lieferten sich bewaffnete albanische Separatisten der UÇK in der Grenzstadt Kumanovo Feuergefechte mit der Polizei. Acht Beamte und mindestens 14 Angreifer wurden getötet. Die Innenministerin und der Geheimdienstchef mussten zurücktreten.

Die Umstände der Attacke sind bis heute nicht aufgeklärt. Doch die Regierung verstand die Nachricht, die ihr die USA über die Bande UÇK mitteilte. Dass es mit Mazedonien ausgerechnet den von Deutschland zum »Musterschüler« erkorenen EU-Beitrittskandidaten traf, zeigt, dass zwischen Berlin und Washington in ihrer Balkanpolitik unterschiedliche Interessen bestehen: Die BRD betrachtet die Region als ihren angestammten Hinterhof. Die Vereinigten Staaten verfolgen indes das geostrategische Ziel, Russland einzukreisen, wofür vor allem die Kontrolle der Energieversorgung bedeutend ist.

Das am Mittwoch unterzeichnete Abkommen ist ein Kompromiss zwischen den USA und Deutschland. Nicht zufällig besuchte US-Außenstaatssekretärin Victoria Nuland zwei Tage zuvor die ehemalige jugoslawische Republik. Berlins Mann in Skopje, Gruevski, muss nun einen Teil seiner Macht abgeben. »Wir sind sehr zufrieden, mit der EU zusammenzuarbeiten«, sagte Nuland am Montag auf einer Pressekonferenz mit dem Premier. Nun sei »Mazedonien wieder auf dem gewählten Weg der euroatlantischen Integration zurückgeführt«, erklärte die US-Diplomatin.

Die Übereinkunft bedeutet das vorläufige Ende der sozialen Proteste gegen die neoliberale und nationalistische Politik der Machthaber. Armut und massenhafte Auswanderung sind die Folgen der vom Westen verordneten »Strukturreformen«, durch die sowohl die Rechte der Arbeiter beschnitten als auch die öffentliche Daseinsvorsorge zusammenstrichen wurden. Durch die sozialdemokratische Vereinnahmung wurden die Forderungen der Demonstranten allein auf die Gegnerschaft zu Gruevski beschränkt – ganz so, als diente der Staat der SDSM während ihrer Regierungszeit nicht als Selbstbedienungsladen.

* Aus: junge Welt, Samstag 18. Juli 2015


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