Ist der Bürgerkrieg in Makedonien noch zu vermeiden
Der Westen steht vor kaum lösbaren Problemen - Ein Blick in die Presse
Man erinnere sich: Vor sechs Wochen, nach dem ersten Aufflammen bewaffneter Überfälle von albanischen UCK-Kämpfern auf militärische Einrichtungen in Nordmakedonien, schien wieder Ruhe eingekehrt zu sein. Die Regierung in Skopje, moralisch unterstützt von den westlichen Staaten, begann einen Dialog mit albanischen Oppositionsgruppen, nicht aber mit der UCK, der sie "Terrorismus" vorwarf. Die Medien hier zu Lande, aber auch die westlichen Regierungen, glaubten der Spuk sei vorbei und widmeten sich wieder anderen Dingen. Vor wenigen Tagen (Anfang Mai) machte die UCK mit neuerlichen Angriffen, denen zahlreiche makedonische Soldaten zum Opfer fielen, auf sich aufmerksam. Die makedonische Staatsmacht reagierte mit einer militärischen Offensive, in deren Gefolge auch Zivilisten zu Tode kamen. Die Ausrufung des Kriegszustands musste sich Skopje aufgrund des internationalen Drucks (EU und NATO) allerdings bisher verkneifen. Außenminister Fischr telefonierte am 7. Mai mit dem Präsidenten und dem Regierungschef von Makedonien und versuchte ihnen zu vermitteln, dass mit militärischer Gewalt die Situation nicht zu lösen sei - eine Einsicht, die der deutsche Außenminister wohl nur anderen Regierungen abverlangt, nicht aber der eigenen und dem eigenen Militärbündnis. Doch wie dem auch sei: Das Phänomen Makedonien wirft dann jede Menge Rätsel auf, wenn man den Einsatz von militärischer Gewalt grundsätzlich für ein probates Mittel zur Lösung von politischen und sozialen Konflikten hält - und das tun fast alle Kommentatoren, die nachfolgend zu Wort kommen - und wenn gleichzeitig eine solche Option augenscheinlich die Probleme doch nur verschärfen würde.
Der Berliner "Tagesspiegel" schrieb am 8. Mai 2001 u.a.:
Nur Nato und EU können den Bürgerkrieg - vielleicht - noch verhindern (Christoph von Marschall)
...
Die Erfahrungen der Prävention helfen leider wenig. Der Krieg, der Mazedonien jetzt
droht, ist ein völlig anderer als jener, der seit 1991 verhindert wurde. Den Angriff von
außen durch Milosevics Truppen haben die USA verhindert - durch Abschreckung: Beim
Abzug aus Berlin verlegten sie einen Teil ihrer Berlin-Brigade nach Mazedonien. Mit
Amerika wollte sich Milosevic nicht direkt anlegen.
Heute steht die kleine Republik vor einem Bürgerkrieg. Partisanen der
Kosovo-Befreiungsarmee UCK, die den Anschluss der albanischen Siedlungsgebiete in
Mazedonien erzwingen wollen, dringen über die bergige, schwer kontrollierbare Grenze
und beschießen Städte - der Zündsatz für den Bürgerkrieg zwischen den slawischen
und den albanischen Mazedoniern, die sich politisch benachteiligt sehen. Je härter
Mazedoniens Armee die UCK bekämpft und dabei unvermeidbar albanische Dörfer in
Mitleidenschaft zieht, desto größer wird der Hass der albanischen Minderheit auf die
mazedonische Mehrheit. Genau das will die UCK erreichen.
Deshalb fordern Nato und EU: bloß keine militärische Eskalation. Skopje dagegen sagt:
Appeasement beeindruckt niemanden auf dem Balkan. Wenn wir die UCK nicht
bekämpfen, fühlt sie sich noch ermuntert. Gegensätzliche Strategien nach
unterschiedlichen Erfahrungen. Frieden ist für EU-Europa die Geschichte der Integration
sowie des politischen Ausgleichs im Westen - und, was den Ostblock angeht, der
Entspannungspolitik. Auf dem Balkan denkt man, Frieden könne nur erhalten werden,
wenn man den Friedensstörern energisch entgegentritt. Eben weil das nicht rechtzeitig
und ausreichend geschah, fühlte sich Milosevic ermutigt zu seinen Vertreibungskriegen
im Dienste Großserbiens. Bis auf Mazedonien, wo US-Truppen Milosevic glaubwürdig
abschreckten.
Beide haben Recht. Militärische Auseinandersetzungen mit der UCK in den
Albanergebieten werden die Lage verschlimmern - und wenig helfen. Das ist auf dem
Balkan nicht anders als in Tschetschenien: Militärisch kann man gewalttätige
Seperatisten in diesem Gelände kaum besiegen. Aber es stimmt auch, dass
großzügige Autonomierechte für die albanische Minderheit in Mazedonien die UCK nicht
davon abhalten werden, ihre Großalbanienträume weiter zu verfolgen.
Der entscheidende Kampf ist der um die Sympathien der albanischen Minderheit. Nur
wenn sie daran glaubt, dass es ihr in Mazedonien besser geht als in Groß-Kosovo, und
wenn sie der UCK den Boden entzieht, lässt sich der Krieg - vielleicht - noch verhindern.
Skopje werden sie das nicht mehr glauben, die Regierung hat das Vertrauen durch
Lavieren und Korruptionsaffären verspielt.
Nato und EU müssen sich engagieren, müssen den Ausgleich mit den Albanern
erzwingen und die Militäraktionen mäßigen - als wäre Mazedonien ihr Protektorat. Tun
sie es nicht, bricht der Bürgerkrieg aus, dann wird Mazedonien bald offiziell ihr
Protektorat. Keinem der Kriege auf dem Balkan hat der Westen auf Dauer untätig
zusehen können.
Aus: Der Tagesspiegel, 8. Mai 2001
Die "Süddeutsche Zeitung" kommentierte lakonischer, aber auch skeptischer, was die militärische Option betrifft:
Koalitionen und Kanonen
Mazedonien ist ein kleines Land, dem die Probleme so über den
Kopf gewachsen sind, dass plötzlich alles "groß" sein muss. Eine
große Koalition wollen die slawischen und albanischen
Parlamentsparteien in Skopje nach den Worten des
Premierministers bilden. Das ist gewiss eine großartige Idee.
Doch ein paar Kilometer außerhalb der Hauptstadt setzt die
Armee im Auftrag des Premiers gleichzeitig ihre Großoffensive
gegen die Albaner-Miliz UCK fort. Das droht die großen
politischen Pläne zur großen Pleite werden zu lassen.
Denn Kanonen passen nicht zu Koalitionen. Der militärische Eifer
der Regierung in Skopje unterminiert den politischen
Reformprozess, weil bei einer solchen Doppelbotschaft im Zweifel
der Gefechtslärm den Dialog übertönt. Regierungschef Ljubco
Georgievski muss sich also zwischen seinen beiden
Großprojekten entscheiden. Und wenn er es ernst meint mit
einem Ausgleich zwischen Slawen und Albanern, muss er den
Plan aufgeben, die UCK-Guerilla militärisch zu besiegen und
stattdessen die Kraft darauf richten, sie politisch zu erledigen.
Das kann nur gelingen, wenn der UCK die Angriffsflächen
genommen werden. Die so titulierte Regierung der nationalen
Einheit böte tatsächlich die Chance zu politischen Reformen, die
der albanischen Bevölkerung einen angemessenen Raum - und
auch Freiraum - im mazedonischen Staat gewährt. Doch die
große Koalition birgt auch ein großes Risiko, denn beide Seiten
stehen erstens unter enormem Zeitdruck und zweitens unter
einem beträchtlichen Rechtfertigungsdruck gegenüber ihrer
jeweiligen Klientel. Und wenn sie scheitert, werden Mazedoniens
Probleme größer sein als je zuvor. pm
Aus: Süddeutsche Zeitung, 9. Mai 2001
In eine etwas andere Richtung ging der Kommentar in der Tageszeitung taz:
ZUMINDEST NATO UND EU HABEN AUS DEM KOSOVOKONFLIKT GELERNT
Der Mythos "nationale Einheit"
Nicht mehr Panzer und Kampfhubschrauber, sondern eine
allumfassende politische Koalition: So wollen die
Verantwortlichen in Skopje jetzt den albanischen Kämpfern
entgegentreten und einen Bürgerkrieg in Makedonien verhindern.
Das Zauberwort heißt "Regierung der nationalen Einheit".
Zugegeben, das klingt gut, ist aber auf dem Balkan keine neue
Idee. Auch in Bulgarien wurde 1997 der Mythos einer Regierung
zur nationalen Rettung bemüht, als das Land nach wochenlangen
Demonstrationen gegen die regierenden Sozialisten am Rand des
Abgrunds stand. Nur: Dieses Modell erledigte sich durch den
Wahlsieg des Bündnisses der Demokratischen Kräfte.
Im Falle Makedoniens ist nun die Frage, wie eine politische
Lösung angesichts der eskalierenden Gewalt und der vielen
Flüchtlinge aussehen soll. Denn parallel zu Verhandlungen nahm
die makedonische Armee gestern erneut albanische Stellungen
ins Visier. Und auch die Warnung der UÇK-Kämpfer vor
weiterem Blutvergießen deutet nicht gerade auf Rückzug hin.
So könnte sich der gut gemeinte Ansatz bald in sein Gegenteil
verkehren: Anstatt die radikalen Albaner zunehmend zu isolieren,
bliebe als Ultima Ratio aus Sicht Skopjes wohl nur der erneute
Einsatz von Waffen. Und der einzige Unterschied bestünde darin,
dass das Militär dabei auch von den Sozialdemokraten und der
Albanerpartei für Demokratischen Fortschritt (PDP) unterstützt
würde. Ob jedoch gerade Letztere diesen Spagat lange leisten
kann, ist fraglich.
So ist die weitere Entwicklung vorerst offen. Dennoch muss man
der Internationalen Staatengemeinschaft eine gewisse
Lernfähigkeit attestieren. Mit ihrem vehementen Einsatz für eine
politische Lösung in Makedonien haben Nato und EU
dokumentiert, dass sie die Fehler der jüngsten Vergangenheit
nicht wiederholen wollen. Denn eines ist klar: Der jetzige
Konflikt in Makedonien ist nicht zuletzt auch durch die
Unterlassungssünden des Westens entstanden, der die UÇK viel
zu lange als verlässlichen Partner betrachtete und entsprechend
aufgerüstet hat. BARBARA OERTEL
Aus: taz, 9. Mai 2001
Und bei den Pressestimmen darf natürlich die Frankfurter Allgemeine Zeitung nicht fehlen.
Mazedoniens letzte Chance
Von Matthias Rüb
Wenigstens in einem sind sich die politischen Führer der
Mazedonier und der Albaner sowie die Emissäre des Westens
einig: Mazedonien hat eine letzte Chance. Noch tobt in dem
Land kein Bürgerkrieg. Noch hat es keine Massaker und
Vertreibungen in einem Ausmaß wie im Kosovo, in Bosnien
oder Kroatien gegeben. Noch hat der unversöhnliche ethnische
Haß nicht die Mehrheit beider Volksgruppen infiziert.
... Doch der Sturm des Krieges kann
sie jeden Augenblick zuschlagen, und deshalb muß diese letzte
Chance ohne Zögern genutzt werden. Vielleicht müßte man
sogar von einer allerletzten Chance sprechen, denn eine letzte
Chance wurde schon vor gut vier Wochen vertan. Ende März
hatte es die mazedonische Armee nach tagelangen Kämpfen
endlich vermocht, die Extremisten der albanischen "Nationalen
Befreiungsarmee" (UÇK) aus den Bergen bei Tetovo zu
vertreiben. Das Land atmete hörbar auf. Der Unterzeichnung
des Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommens mit der EU
am 9. April folgte ein weiterer kollektiver Stoßseufzer.
Doch in Tetovo und anderswo mußte jedem klar sein, daß die
UÇK nicht geschlagen war. Sie verschwand nur so rasch, wie
sie zwei Wochen zuvor aufgetaucht war. Ebensowenig war mit
dem halben militärischen Erfolg der schwachen Streitkräfte der
tiefer liegende politische Konflikt zwischen
slawisch-mazedonischer Titularnation und albanischer
Minderheit gelöst. Den führenden Politikern in Skopje aber ist
vorzuwerfen, daß sie die Dramatik der Lage viel zu lange
verdrängt haben. Über die am Dienstag endlich vereinbarte
große Koalition wird schon seit mehr als einem Monat geredet.
... Bei den entscheidenden Streitfragen gab es zumal auf mazedonischer Seite keine wirkliche Kompromißbereitschaft. Dabei sind die Forderungen
der Albaner, die etwa ein Drittel der zwei Millionen Einwohner
des kleinen Landes stellen, nicht unbillig: Anerkennung als
zweites staatsbildendes Volk statt nur als große Minderheit;
Gebrauch des Albanischen als Amtssprache; Beteiligung an der
Führung in Politik, Gesellschaft und bei den Sicherheitskräften
entsprechend dem Anteil an der Gesamtbevölkerung.
Das Argument mancher mazedonischer Politiker, man wolle
nicht der verhängnisvollen Logik des Ethnoproporzes folgen,
sondern eine Bürgergesellschaft aufbauen, in der jeder
Einwohner ohne Ansehen von Herkunft und Volkszugehörigkeit
die gleichen Rechte und Pflichten habe, ist nur vorgeschoben.
In den jungen Demokratien des Balkans ist es unausweichlich,
daß sich für eine Übergangsperiode der demokratische
Gedanke der gerechten Teilhabe an der Macht im Staate an die
Zugehörigkeit zur jeweils eigenen Volksgruppe und auch
Religion bindet. Zudem wäre seit der Unabhängigkeit des
Landes vor fast zehn Jahren schon reichlich Gelegenheit
gewesen, der albanischen Minderheit mehr Bürgerrechte
einzuräumen. Dennoch haben die Albaner in Mazedonien bis
heute weniger Bildungs- und Aufstiegschancen in der
mazedonischen Gesellschaft, werden oft diskriminiert und
manchmal auch von Polizei und Behörden offen schikaniert.
Das ist der Humus, auf dem der Nationalismus unter den
Albanern wachsen kann, der in seiner extremen Ausformung
freilich nicht weniger rassistisch und derzeit noch gewalttätiger
ist als der mazedonische, gegen den er sich richtet.
Das Krisenmanagement des Westens ist in Mazedonien gewiß
besser als in den Fällen Kroatien, Bosnien und Kosovo. Man hat
rascher reagiert, und man zieht in Nato und Europäischer
Union an einem Strang. Dennoch hat der Westen, zumal in den
letzten vier Wochen, wertvolle Zeit verloren. Es hätte mehr
politischer Druck ausgeübt werden müssen. Natürlich galt es
den Eindruck zu vermeiden, man mische sich in die inneren
Angelegenheiten eines souveränen Staates ein. Aber hatte sich
Mazedonien nicht aus freien Stücken der EU angenähert? Dann
wird es doch den führenden Außenpolitikern der EU erlaubt
sein, mit Nachdruck Ratschläge zu erteilen. ...
Indes sitzt einer Täuschung auf, wer glaubt, alle Kämpfer der
neuen UÇK kämen aus dem Kosovo. Deshalb taugt die
internationale Friedenstruppe dort auch nicht zum Sündenbock.
Sie hat in den vergangenen Monaten vieles unternommen, um
die Grenze zu Mazedonien besser zu sichern, auch wenn man
das unwegsame alpine Gelände nie ganz wird versiegeln
können. Es gibt gewiß personelle und strategische
Verbindungen der mazedonischen UÇK zu ihrer einstigen
"Mutterarmee" mit dem gleichen Kürzel im Kosovo. Doch der
Konflikt in Mazedonien ist hausgemacht. Er muß deshalb in
Mazedonien gelöst werden. ...
Gewiß haben manche Führer der UÇK eine verborgene
Agenda, die auf den Anschluß der albanischen Siedlungsgebiete
im Norden und Westen des Landes an das Kosovo zielt. Doch
diese Pläne können die gemäßigten Führer der Mazedonier und
der Albaner gemeinsam mit dem Westen nur dann
durchkreuzen, wenn man den Menschen in Mazedonien zeigt,
daß mit einem ernsthaften und ehrlichen Dialog beide Seiten
nur gewinnen können. Eine erste Tranche der
Friedensdividende muß bald ausgezahlt werden.
Aus: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 9. Mai 2001
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