Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Droht ein neuer Krieg auf dem Balkan?

Die UCK lässt nicht locker - Die NATO in Nöten

Solange Milosevic in Belgrad das Sagen hatte, war die Welt zumindest aus westlicher Sicht noch in Ordnung. Das heißt, man konnte die Unordnung auf dem Balkan, die verheerenden Kriege um die Loslösung aus dem jugoslawischen Staatsverband, die Revitalisierung nationalistischer, ethnischer oder religiöser Konflikte auf die Politik der serbischen Unperson Nr. 1 zurückführen. Seit Oktober letzten Jahres regiert in Belgrad ein "demokratisches Regime", das mit dem beinahe korrekt gewählten neuen Präsidenten Kostunica und dem - im Dezember - demokratisch bestätigten Regierungschef Djindjic die besten Voraussetzungen erfüllt, um vom Westen (der NATO und der EU) voll anerkannt zu werden. Selbst einen NATO-Beitritt hält man in Belgrad nicht mehr für ausgeschlossen. Soweit könnte der siegreich beendete NATO-Krieg gegen Jugoslawien also als voller Erfolg einer "robusten" Friedenserzwingung in die jüngste Geschichte des Balkan eingehen.

Keine Stabilität nach dem Krieg

Doch mit dem militärischen Sieg stellte sich keineswegs auch der politische Erfolg ein. Im Gegenteil: Weder konnte die politische "Stabilisierung" der Region erreicht noch das Versprechen eines multinationalen bzw. multiethnischen Kosovo eingelöst werden. Zwei Jahre nach dem "Kosovo-Krieg" ist das Kosovo faktisch von Serbien/Jugoslawien abgetrennt (entgegen der UNO-Resolution 1244), albanische Separatisten setzen mittlerweile unter dem Signum UCPMB ("Befreiungsarmee von Presevo, Medeva und Bujanovac") ihre Terrorangriffe in südserbischem Gebiet fort, das Kosovo selbst ist zu einer von Serben, Roma und anderen Minderheiten weitgehend "befreiten" Zone geworden, rund 200.000 Menschen sind - vermutlich auf Dauer - aus der Region vertrieben worden und zu allem Überfluss wird nun auch noch die Republik Makedonija, die sich schiedlich-friedlich schon 1991 von Jugoslawien verabschiedet hatte, vom Krieg heimgesucht. Und was das Schlimmste dabei aus Sicht des Westens ist: Es gibt keinen Anhaltspunkt mehr dafür, dass der als "Hitler des Balkan" verfemte Ex-Präsident Milosevic seine schmutzigen Hände im Spiel hat. Die Hauptakteure des makedonischen Dramas gehören vielmehr zu den gehätschelten Weggefährten und Kampfesbrüdern der NATO: Es sind die albanischen "Rebellen", "Widerstandskämpfer", "Freiheitskämpfer" oder wie sie auch immer genannt wurden, die den Krieg über die Grenzen des Protektorats Kosovo hinaus- und in die Republik Makedonien hineingetragen haben.

Die NATO war schon in Erklärungsnöte geraten, als die UCPMB in der südserbischen Pufferzone vor gut einem Jahr ihr Unwesen begann und nach dem Muster der kosovarischen UCK serbische Polizeistationen überfiel und Ortschaften terrorisierte. Im Jahr 2000 zählte man immerhin 313 Überfälle, bei denen mindestens 17 Menschen getötet und 41 verletzt wurden. In den ersten 10 Wochen des Jahres 2001 kam bei fast täglichen Angriffen noch einmal mindestens dieselbe Zahl von Getöteten hinzu. Nachdem die NATO dem Treiben fast 14 Monate zugesehen hatte, erlaubte sie Mitte März, dass die Serben ihre Sicherheitskräfte in der Pufferzone verstärken dürften, um die zum Teil schwer bewaffneten Einheiten der UCPMB wenigstens in Schach halten zu können. Am 14. März rückten einige hundert serbische Soldaten in einen fünf Kilometer breiten und fünf Kilometer langen Landstück ein und bezogen dort ihre Stellungen. Die NATO hatte den Einmarsch ins Dreieck zwischen Makedoniens Nordgrenze, dem Kosovo und dem südserbischen Presevotal aber nur unter strikten Auflagen gebilligt. Dazu gehört beispielsweise, dass nur Grenzsoldaten und Polizisten in dieses kleine Gebiet einrücken und dass sie keine gepanzerten Fahrzeuge mitbringen dürfen. An die Adresse der Albaner kam vom Befehlshaber der KFOR, Carlo Cabigiosu, die Beruhigung, sie müssten "keine Angst" haben. Es gehöre zum Prozess der "Normalisierung", die Serben mit anderen Augen zu sehen. (FR, 14. 03. 2001) Die Botschaft lautet: Ihr Serben dürft euch etwas besser gegen albanische Angriffe schützen, aber den Albanern soll bitteschön dabei nichts geschehen.

UCK, UCPMB, UCK und die Unzuständigkeit der NATO

Auch im angrenzenden Makedonien gerät die NATO in Gefahr, Gefangene der eigenen Ideologie und Propaganda zu werden. Seit einigen Wochen operiert im Nordwesten des Landes, der mehrheitlich von Albanern bewohnt wird, eine "Befreiungsarmee", die sich wie ihre kosovarische Vorgängerin UCK nennt. Im Januar griff sie eine Polizeistation im westmakedonischen Tearce an. Im Februar lieferte sie sich Gefechte mit der makedonischen Polizei, nachdem diese ihrem Hauptquartier im abgelegenen Bergdorf Tanusevci zu nahe gekommen war. Tanusevci, unmittelbar an der Grenze zum Kosovo gelegen, diente schon während des Bürgerkriegs mit den Serben im Kosovo als Trainings- und Nachschublager für die UCK. Die makedonischen Behörden haben schon seit Jahren keinen Zugriff mehr auf diesen Ort. Von hier aus wird auch die UCPMB in Südserbien versorgt. Und seit Mitte März belagert und beschießt die UCK von den Ausläufern des Sar-Gebirges herunter die zweitgrößte Stadt Mekedoniens, die 60.000 Einwohner große Stadt Tetovo. Damit erhält der Guerillakampf zweifellos eine neue Qualität. Er soll in die Städte hinein getragen werden und die albanische Minderheit in Makedonien zum Aufstand aufwiegeln. Der UCK geht es um nicht mehr und nicht weniger als um eine Angliederung des albanisch majorisierten Teils Makedoniens an das Kosovo mit der späteren Option eines großalbanischen Balkanstaates.

Der NATO sind angeblich die Hände gebunden. Sie habe kein Mandat, in die Kämpfe in Makedonien einzugreifen, sagte der Generalsekretär der NATO George Robertson, als habe die NATO bei ihrem Krieg gegen Jugoslawien vor zwei Jahren auf ein "Mandat" gewartet. Die Kämpfe seien eine innere Angelegenheit Makedoniens. Das Problem ist nur, dass in Makedonien NATO-Truppen und andere Einheiten von KFOR stationiert sind, unter anderem auch eine Einheit (rund 1.200 Soldaten) der Bundeswehr. Ein weiteres Problem besteht darin, dass Makedonien mit der NATO kooperiert hatte, als es darum ging, in die "inneren Angelegenheiten" Jugoslawiens einzugreifen - vor zwei Jahren nämlich, als die NATO ihren Krieg gegen Jugoslawien zum Teil von Makedonien aus führte. Schließlich hatte sich Makedonien großzügig an der Aufnahme von albanischen Flüchtlingen aus dem Kosovo während des Krieges beteiligt. Zum Dank dafür erklärt sich die NATO nun für nicht zuständig. Dafür gibt es eigentlich nur zwei Erklärungen. Einmal ist es für die NATO tatsächlich schwer, den einstigen Verbündeten, die UCK, so ohne weiteres fallen zu lassen, auch wenn sie sich nicht mehr an die ursprünglich vereinbarten Spielregeln hält. Die Unabhängigkeit des Kosovo hatte man wohl in Aussicht gestellt, ein "Großalbanien" war den Albanern aber nicht versprochen worden. Zum anderen droht der NATO, was sie schon während des Krieges gegen Jugoslawien fürchtete wie der Teufel das Weihwasser: eine Verwicklung in einen Bodenkrieg mit einer zu allem entschlossenen Bürgerkriegsarmee. Nur so sind die Appelle an die Regierung in Skopje zu verstehen, maßvoll zu handeln und eine Eskalation zu vermeiden, während der UCK signalisiert wird, sie habe von der NATO nichts zu fürchten, solange sie sich nicht an ihr vergreift.

"Zwinkern mit den albanischen Kämpfern"

Doch es kommt noch etwas hinzu. Der NATO waren keineswegs die Hände gebunden, die UCK im Kosovo zu entwaffnen, die Grenze vom Kosovo nach Makedonien zu sichern und - zumindest für UCK-Kämpfer - undurchlässig zu machen. Dies hat sie gründlich versäumt. Willy Wimmer, CDU-Bundestagsabgeordneter kritisierte in einer Stellungnahme vor allem die US-Streitkräfte. Sie hätten, so wird er in der Welt am Sonntag vom 18. März 2001 zitiert, die "albanischen Extremisten unterstützt", die jetzt makedonische Sicherheitskräfte angriffen. "Was wir hier erleben, ist kein Zufall, sondern unter den Augen und durch die Förderung der Armee der Vereinigten Staaten entstanden." Im Kosovo könne sich "keine Maus bewegen, ohne dass die KFOR es mitbekommt", sagte Wimmer weiter. Wenn albanische Kämpfer in benachbarte Regionen einsickerten, müsse dies mit Billigung der USA geschehen sein. Willy Wimmer, bis vor wenigen Monaten Vizepräsident der Parlamentarischen Versammlung der OSZE war, appellierte an die Bundesregierung, sie solle Washington dazu bewegen, seine Balkan-Politik mit den Europäern abzustimmen. "Es darf kein Zwinkern mit den albanischen Kämpfern der UCK geben." Weiter wird Wimmer folgendermaßen zitiert: "Der Terrorismus muss gestoppt werden, auch wenn er unter eigener Hilfestellung entstanden ist." Seit langem versuchten die Kosovo-Albaner, einen eigenen Nationalstaat zu gründen. Dies dürfe nicht "duldend" hingenommen werden, warnte Wimmer, denn damit "öffnen wir die Büchse der Pandora. Das zerreißt die europäische Friedensordnung."

Willy Wimmer war schon mit seiner hellsichtigen Kritik am Jugoslawien-Krieg ein Außenseiter in der politischen Klasse der Bundesrepublik. Mit seinen warnenden Worten zielt er natürlich wieder ins Schwarze und es steht zu befürchten, dass er auch diesmal in Berlin nicht gehört wird. Die "Büchse der Pandora": Sie ist ja schon Anfang der 90er Jahre geöffnet worden, als man dem Zerfall des jugoslawischen Staates nicht nur untätig zusah, sondern ihn durch eine aktive Politik der Anerkennung von Slowenien und Kroatien und schließlich durch eine militärisch gestützte Abtrennung Bosniens und des Kosovo förderte. Mit welchen Argumenten kann man nun den makedonischen Albanern verweigern, wozu man den Albanern im Kosovo tatkräftig verholfen hat? Wie will man eine blutige Auseinandersetzung in Makedonien verhindern, wenn man Skopje nicht mehr anzubieten hat als eine freundliche Ermahnung, die UCK-Terroristen "maßvoll" zu behandeln (so hieß es in einer Erklärung des Europaparlaments vom 15. März 2001)?

Dass der Konflikt in Makedonien und die mögliche Verwicklung deutscher Truppen innenpolitisch ausgeschlachtet wird, konnte natürlich nicht ausbleiben. CDU- und FDP-Politiker nutzen die Krise, um mehr Geld für die Bundeswehr herauszuschlagen. Scharping wird seine Freude daran haben. Der FDP-Wehrexperte Günther Nolting forderte beispielsweise einen Verzicht auf die beabsichtigte Kürzung der Auslandszulage für Bundeswehrsoldaten im Kosovo von täglich 180 Mark auf 155 Mark. "Ich fordere Verteidigungsminister Scharping auf, Klarheit über den Fortbestand der Auslandszulage zu schaffen", sagte er. Angesichts der angespannten Lage auf dem Balkan brauche die Bundeswehr jetzt "klare Zeichen nach innen", wird Nolting zitiert. Außerdem solle der Verteidigungsminister prüfen, ob weitere Soldaten zum Schutz des deutschen Logistik-Regiments nach Makedonien entsandt werden müssten. Der Deutsche Bundeswehrverband wurde noch deutlicher und forderte, das Kommando Spezialkräfte (KSK) im baden-württembergischen Calw oder vergleichbare Truppenteile in erhöhte Alarmbereitschaft zu versetzen. Im Notfall müssten sie die deutschen Soldaten in Makedonien retten, so Verbandssprecher Jürgen Meinberg. Bei der Gelegenheit warnte Meinberg davor, dass der "Sparkurs" der Regierung die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr im Ausland gefährden könnte. "Es ist schon schlimm genug, dass der Betrieb im Inland nahezu lahm gelegt wird. Daher muss alles getan werden, um die Einsatzbereitschaft auf dem Balkan zu gewährleisten." (Zit. n. Welt am Sonntag, 18. 03. 2001)

Was fehlt, ist ein politisches Konzept

Die Crux der westlichen Balkan-Politik liegt aber vor allem darin, dass sie jenseits der Zerschlagung Jugoslawiens kein politisches Konzept für die Region anzubieten hat. Sie war sich noch einig in der Entmachtung des Erzfeindes Milosevic, sie hat aber keine Vorstellung, wie sie die nationalistischen Geister, die sie selbst gerufen hatte, nun wieder los werden kann. Makedonien ist ein Staat mit zwei Millionen Einwohnern, ein Viertel davon besteht aus ethnischen Albanern. Auf die Restgebiete gibt es historische Ansprüche von Seiten Griechenlands, aber auch Bulgariens. Rund 70.000 Menschen bekennen sich auch in der jugoslawischen Teilrepublik Montenegro, das sich insgesamt selbstständig machen will, zur albanischen Entität. Eine mittlere Explosion Makedoniens könnte zu weiteren Kettenreaktionen führen. Dass sich Kroaten und Serben aus dem in Dayton kreierten bosnischen Staatswesen lieber heute als morgen verabschieden würden, ist ebenfalls bekannt. Jeder Schuss, der heute von den Hügeln oberhalb Tetovos abgefeuert wird, signalisiert das Scheitern der Balkan-Politik des Westens im Allgemeinen und das Debakel des NATO-Kriegs vor zwei Jahren im Besonderen.
Peter Strutynski



Online-Nachrichten vom Kampfgeschehen am 18. März 2001

Nachdem auch die Kaserne, in der sich deutsche KFOR-Soldaten aufhalten, von albanischen Terroristen beschossen wurde, hat die Bundeswehr das deutsche KFOR-Kontingent mit Kampfpanzern verstärkt. Nach Angaben des Verteidigungsministeriums wurden "Leopard"-Kampfpanzer und "Marder"-Schützenpanzer nach Tetovo verlegt. Die Panzer waren zuvor im Kosovo stationiert. Außerdem wurde etwa die Hälfte der 1.200 Bundeswehrsoldaten aus Tetovo in ein sichereres Feldlager in etwa acht Kilometer Entfernung verlegt.

Der Generalinspekteur der Bundeswehr, Harald Kujat, sagte am Samstag (17.03.2001) in Tetovo, die deutschen Einheiten würden die in Stellung gebrachten Waffen auch nutzen. Kujat machte sich in der makedonischen Stadt ein Bild der Lage. Er sei nicht bereit hinzunehmen, "dass auch nur einem Soldaten ein Haar gekrümmt wird", sagte er in den ARD-Nachrichten. "Für mich ist es völlig unerheblich, ob dies absichtlich oder unabsichtlich passiert." Der Generalinspekteur meinte, bei den auf einem nahen Berg verschanzten Rebellen, der so genannten albanischen Nationalen Befreiungsarmee (UCK), handele es sich um "sehr gut ausgerüstete, sehr gut ausgebildete und sehr gut geführte Leute".

Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) sagte, die Verlegung von Panzern nach Tetovo solle den albanischen Extremisten unmissverständlich klar machen, dass die Bundeswehr im Notfall entschlossen sei zu handeln. Die Soldaten hätten "das Recht, sich selbst und ihre Kameraden zu verteidigen. Das werden sie entschlossen tun - falls erforderlich". (Zit. n. Bild am Sonntag)

Unterdessen gab es neue Schießereien am Rande von Tetovo. Auch in der Stadt wurde sporadisch gefeuert. Die mazedonische Albaner-Guerilla UCK rief zur massiven Unterstützung im Kampf gegen mazedonische Sicherheitskräfte auf. In einer Erklärung der Rebellengruppe hieß es, alle kampffähigen albanischen Bürger Makedoniens sollten Wege finden, um sich der "Nationalen Befreiungsarmee" UCK anzuschließen.

Makedoniens UN-Botschafter Naste Calovski sagte unterdessen, sein Land werde um eine "direkte Beteiligung der NATO und der KFOR in dem Konflikt bitten". Die Nato äußerte sich trotz der Eskalation der Gewalt zurückhaltend. Ein Nato-Sprecher sagte in Brüssel: "Wir haben keine Kampftruppen in Makedonien". Das Mandat der unter Nato-Kommando stehenden Friedenstruppe KFOR beziehe sich nur auf das Kosovo.



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