Zur Situation vor dem drohenden Mazedonieneinsatz der Bundeswehr
Eine Einschätzung von Tobias Pflüger (IMI Tübingen)
1. Bei der jetzt bevorstehenden Entscheidung geht es um die dritte
langfristige Stationierung von Bundeswehr-Einheiten auf dem Balkan.
Nach der SFOR-Mission in Bosnien und der KFOR-Mission im Kosovo folgt
nun eine MFOR-Mission in Mazedonien. Schon seit 1992 sind in Mazedonien
US-Militärs stationiert. Während des NATO-Krieges gegen Jugoslawien
begann Mazedonien ein von NATO-Truppen militärisch besetztes Land zu
werden. 400 Bundeswehr-Soldaten haben in Tetovo, also mitten im
Konfliktgebiet schon jetzt ihre "Heimatkaserne". Die Dauer von 30 Tagen
für die Bundeswehr- und NATO-Mission sind völlig unrealistisch. Die
Finanzplanungen (s.u.) zeigen, daß der Militäreinsatz langfristig
angelegt ist. Die frühe Ankündigung einer NATO-Truppe und die jetzt
begonnene Stationierung in Mazedonien haben nicht zu einer Abnahme der
Spannungen vor Ort geführt, im Gegenteil. Viele Menschen in Mazedonien
empfinden schon die bisherige Einmischung von EU, USA und NATO als
einseitig zugunsten der UCK. Nicht wenige Menschen wollen die
NATO-Truppen gar nicht in Mazedonien haben.
2. Es geht um einen Kampfeinsatz der Bundeswehr.
Der offizielle Auftrag der NATO-Truppen der Operation "Essential
Harvest" (ein vielsagender Name!) ist "Waffeneinsammeln" bei den
UCK-Truppen. Eine freiwillige Waffenabgabe bedarf keiner 3.500
NATO-Soldaten, auch keinen der vorgesehenen 500 Bundeswehr-Soldaten.
Offensichtlich wissen alle, daß es sich um einen - in der Militärsprache
- "robusten" Einsatz handelt, also einen Kampfeinsatz. Die Indizien für
einen Kampfeinsatz der Bundeswehr sind vielfältig: Die albanische
Nationalarmee (ANA), eine UCK-Abspaltung hat den von den EU- und
US-Vertretern diktierten "Friedensvertrag" abgelehnt. Aber auch die UCK
selbst wird sich nur bedingt an den von ihr nicht unterzeichneten
"Friedensvertrag" halten. Das mazedonische Parlament hat den Vertrag
noch nicht ratifiziert, ob das überhaupt der Fall sein wird, ist offen.
Die Amnestie für die UCK-Kämpfer ist noch nicht vollzogen und zudem bei
der Bevölkerung in Mazedonien äußerst umstritten, schließlich haben die
UCKler Menschen auf dem Gewissen. Nach der Unterzeichnung des Vertrages
gingen die Kämpfe - wenn auch abgeflaut - weiter. Durch die jetzige
Regelung können einzelne durch Anschläge oder ähnliches den
geschlossenen "Friedensvertrag" torpedieren.
Es wurde vorübergehend darüber spekuliert, daß die Bundeswehr-Einheiten
innerhalb der Operation "Essential Harvest" eine spezielle Rolle
zugewiesen bekommen hätten: Die Sonntags-FAZ schrieb, sie seien eine Art
"Feuerwehrverband", der im Krisenfall "die Verbände anderer Nationen
unterstützt und notfalls verteidigt", also ein absoluter Kampfeinsatz:
Inzwischen wurde die Meldung vom "Verteidigungsministerium" wieder
dementiert. Die Einsatzoptionen beschreiben dennoch einen klaren
Kampfeinsatz.
3. Die Anzahl der einzusammelnden Waffen ist völlig strittig - die
Herkunft dagegen ist klar.
Die UCK spricht von 2.000 bis 3.000 Waffen, die mazedonische Regierung
von ca. 8.000, die NATO bewegt sich dazwischen. Was sind das für Waffen,
Kleinwaffen, mittleres oder großes Gerät? Die Waffen der UCK stammen zu ca. 70 Prozent aus westlichen Staaten,
insbesondere aus den USA. Hier soll eingesammelt werden, was zuvor an
den NATO-Bündnispartner UCK geliefert wurde.
Folgende Frage kann bisher niemand beantworten: Warum soll ein
"Waffeneinsammeln" bei der UCK nun im Bereich Mazedonien funktionieren,
obwohl dies seit zwei Jahren, seit dem Ende des NATO-Krieges gegen
Jugoslawien, seit Juli 1999 im Bereich Kosovo nicht möglich war.
Insbesondere die Überwachung der Waffenlieferungen, Einmärsche und
Beschüsse über und von der Grenze zum Kosovo konnten (bewußt ?!) nicht
unterbunden werden. Für den Grenzabschnitt zwischen dem Kosovo und
mazedonien ist die Bundeswehr zuständig. Die mazedonische Regierung warf
deshalb auch der Bundeswehr und der deutschen Regierung vor, zu
versagen.
4. Der Bundestag soll (letztmalig?) wieder unter falschen
Voraussetzungen einem Kampfeinsatz der Bundeswehr zustimmen.
Aus dem NATO-Angriffskrieg gegen Jugoslawien haben mindestens 30
Abgeordnete von SPD und Grünen einige Konsequenzen gezogen und werden
dem geplanten Mazedonien-Einsatz nicht zustimmen (hoffentlich bleiben
sie dabei). CDU/CSU/FDP werden dem Einsatz wohl schlußendlich doch
zustimmen, es wird ja etwas mehr Geld für die Bundeswehr geben (s.u.).
In der CDU machen sich derweil die alten aussenpolitischen Vordenker
Wolfgang Schäuble und Karl Lamers Gedanken, die Zustimmung des
Bundestages mit einfacher Mehrheit zu Einsätzen der Bundeswehr
auszuhebeln. Schäuble und Lamers wollen allein der Regierung das Recht
zubilligen, Truppen in den Krieg zu schicken. "Der Parlamentsvorbehalt
beeinträchtigt die Handlungsfähigkeit unseres Landes ... Die operative
Leitung militärischer Einsätze muss Sache der Regierung und der
Bundeswehr sein", so Karl Lamers gegenüber dem Spiegel. Das Parlament
könne Entscheidungen dieser Tragweite nicht treffen. Schäuble und Lamers
denken damit konsequent zu Ende, was Aussenminister Joschka Fischer vor
dem Bundesverfassungsgericht bei der Anhörung zur Klage der PDS gegen
die neue NATO-Strategie formuliert hat: Die "aussenpolitische
Handlungsfähigkeit" sei durch den "Parlamentsvorbehalt" beeinträchtigt.
"Fischer warnt vor Parlament" titelte die taz. Rupert Scholz (CDU) sah
an gleichem Ort den Bundestag mit den ständigen Zustimmungen zu
Militäreinsätzen "nahe an die Grenze der Überforderung gebracht". Bei
diesen Überlegungen ist die höchste Alarmstufe angesagt!
5. Die Bundeswehr bekommt für den Mazedonieneinsatz zusätzliches Geld,
CDU/CSU/FDP werden weitgehend zustimmen
CDU/CSU und FDP machten ursprünglich ihre Zustimmung zum Kriegseinsatz
in Mazedonien von deutlich mehr Geld für die Bundeswehr abhängig.
Gerhard Schröders Gerede von der Staatsräson (bei diesem
Bundeswehreinsatz) hat bei CDU/CSU/FDP gezogen, sie werden den
Bundeswehreinsatz nicht mehr (geschlossen) verhindern (wollen).
120 Millionen DM soll die Bundeswehr für den Mazedonieneinsatz
zusätzlich erhalten und dazu 15 Millionen DM monatlich (!). Dies obwohl
der Militäreinsatz offiziell ja nur 30 Tage dauern soll. Wieviel
umgerechnet das "Einsammeln" der einzelnen Waffen kostet, kann nun jeder
selbst errechnen: Ein teurer "Spaß".
Das zusätzliche Geld wird bei der Bundeswehr insbesondere für die
beschleunigte Herausbildung kriegsführungsfähiger Einheiten
("Einsatzkräfte") und neue Beschaffungen von Kriegsgerät genutzt werden.
6. Mobilmachen gegen den Mazedonieneinsatz der Bundeswehr
Es ist dringend Zeit gegen den Mazedonieneinsatz der Bundeswehr mobil zu
machen. Sehenden Auges laufen die Regierenden in einen neuen gefährlichen
Kampfeinsatz, die Militarisierung der Außenpolitik wird munter
vorangetrieben. Nur die Konstellationen haben sich geändert
Bundeswehrverband (und mit ihm viele Soldat/inn/en) und Friedensbewegung
gegen den Harakiri-Militäreinsatz, schwarz-gelb läßt sich mit
Staatsräson einbinden und "kaufen", die rot-grüne Regierung kämpft für
den nächsten Kriegseinsatz.
Die Bevölkerung lehnt nach einer vom Militärmagazin IAP veröffentlichten
Umfrage von Forsa im Juli 2001 den Mazedonieneinsatz ab: 53 % sind
dagegen, 42 % dafür, 5 % wissen nicht.
Die Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. ruft zu Aktionen gegen
den Mazedonieneinsatz der Bundeswehr auf, insbesondere zum Antikriegstag
am 1. September! Der Appell der Friedensbewegung gegen die Bundeswehr
als Interventionsarmee "Kriege verhindern - Einsatzkräfte auflösen" hat
schreckliche Aktualität erlangt.
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