Mazedonien: NATO übernimmt drittes Protektorat
"Es ist Zeit für eine Exit-Strategie" - Von Stefan Gose*
Die NATO im Herbst. Seit Ende August 2001 sollen 4.500 NATO-Soldaten in der "Operation Essential Harvest" in Mazedonien ernten, was sie im Frühjahr 1999 im Kosovo säten: Waffen und Gewalt. Gegen die Stimmen von PDS und 95 Abgeordneter anderer Fraktionen beschloß der deutsche Bundestag am 29. August, daß auch 500 Bundeswehrsoldaten dabei helfen sollen, in einem Monat das Kriegsgerät "etnisch albanischer bewaffneter Gruppen" (Bundesregierung) in Mazedonien einzusammeln. Dürfen sich Linke diesem Balkaneinsatz verweigern, denen ernsthaft an einem Ende der Gewalt gelegen ist?
Wenn Pistoleros freiwillig die Hände heben...
Entwaffnung klingt so verführerisch, gibt es doch sogar ein Friedenspapier vom 13. August, das unter Druck der europäischen NATO-Fraktion entstand: Partizipation und Amnestie für "albanisch-stämmige Extremisten" (Bundeswehr-Sprachregelung) gegen Waffen. Am Ende soll dieses Tauschgeschäft durch eine mazedonische Verfassungsänderung besiegelt werden. Gewalt zahlt sich aus! Und da soll nun die UCK ihr pyrotechnisches Lebenselexier freiwillig aufgeben?
Auf 3-4.000 Kämpfer wird die UCK von der NATO geschätzt. Über die Zahl ihrer Waffen gehen die Schätzungen zwischen UCK (3.300), NATO (offiziell 3-4.000, inoffiziell bis zu 35.000) und der mazedonischen Regierung (70-85.000) weit auseinander. Vereinbart ist die Abgabe aller UCK-Waffen, mindestens 3.300 will die NATO einsammeln - pro Gewehr schickt sie anderthalb Soldaten.
148,1 Millionen DM hat der Bundestag für die 500 deutschen Erntehelfer bewilligt. Das sind anteilig fast 10.000 DM pro Soldat am Tag (zusätzlich zu den regulären Sold- und Materialkosten) oder anteilige 300.000 DM pro eingesammeltes Gewehr (auf dem Schwarzmarkt kostet eine Kalaschnikov etwa 2.000 DM). Tatsachlich erhalten die Soldaten neben ihrem Sold eine Auslandszulage von 2.000 DM sowie 180 DM pro Einsatztag. Da mindestens 40% der deutschen Waffensammler als KFOR-Soldaten aus dem benachbarten Kosovo kommen, sinken die Kosten für das übrige Personal entsprechend. Anders gesagt: die deutschen Missionskosten sind vorwiegend ein neuer Schattenhaushalt, mit dem Verteidigungsminister Scharping im Jahr 2002 zusätzliche Waffensysteme (Dingo-Transporter, Wiesel-Kleinpanzer, Nachtsichtgeräte, Schutzwesten, GPS-Satellitenempfänger, EDV etc.) finanziert.
Weitere Kameraden von SFOR und KFOR können dem deutschen Mazedonien-Kontingent helfen - und wenn's mal wieder länger dauert, genügt ein "Einvernehmen" der Minister Scharping und Fischer, damit die deutsche Truppe auch über 30 Tage hinaus in Mazedonien bleiben kann.
Die NATO-Rechnung ist simpel: ca. 4.000 Kämpfer, etwa 4.000 eingesammelte Waffen - und Ruhe ist auf dem Balkan. Auch die UCK-Rechnung ist einfach: 4.000 Kämpfer, 4.000 mal Gewehr gegen Amnestie, die Mehrzahl der besseren Waffen vergraben oder verschoben, garniert mit einer UCK-freundlichen Verfassungsänderung - übrig bleibt eine mazedonische Bananenrepublik, deren Zahnlosigkeit der UCK von der NATO garantiert wird. Déjŕ vu? 1998 trugen die Provokationen der UCK ähnlich zur Eskalation im Kosovo bei, das die UCK heute im Schatten der NATO kontrolliert. Und die mazedonische Regierung? Vor der Alternative, das Land mit ukrainischen Söldnern in einem Regionalkrieg aufzulösen, hat sie sich murrend aber bedingungslos an den Strohhalm der NATO geklammert.
Bundeswehreinsätze als Etikettenschwindel
Und wieder beteiligt sich die Bundeswehr an einem wohlklingenden Auslandseinsatz, der vielen dient, nur nicht Frieden und Konfliktbearbeitung. Von Kambodscha über Somalia und Ruanda, von Bosnien über den Kosovo-Krieg bis Ost-Timor wurde bisher jeder Bundeswehreinsatz mit heren Zielen begründet - geblieben ist stets ein unbefristeter Scherbenhaufen. Bei mindestens der Hälfte der bisher 15 deutschen Balkan-Einsätze war der parlamentarische Marschbefehl nur ein Vorwand für einen ganz anderen Militäreinsatz:
-
Seit April 1993 beteiligten sich deutsche AWACS-Mannschaften im Rahmen der "Operation Deny Flight" an der Überwachung des Flugverbotes über Ex-Jugoslawien. De facto lieferten Sie damit dem kroatischen Despoten Franjo Tudjman im Mai 1995 Rückendeckung für seinem Bodenkrieg gegen kroatische Serben in West-Slawonien.
- Ab August 1995 sollten 1.800 Bundeswehrsoldaten als Teil eines Schnellen Einsatzverbandes den Abzug von UNPROFOR aus Bosnien-Herzegowina sichern. Doch UNPROFOR zog nicht ab und die Bundeswehr blieb als Teil der neuen IFOR im Land.
- Als IFOR sollten 4.000 Bundeswehrsoldaten ab Dezember 1995 bei der Durchsetzung des Dayton-Abkommens helfen. Doch IFOR widersetzte sich weder den fortschreitenden "ethnischen Säuberungen" noch führte es die vorgesehenden Entwaffnungen der Konfliktparteien durch. Stattdessen überwinterte die Bundeswehr als Puffer zwischen den Fronten in Bosnien.
- Aus IFOR wurde im Dezember 1996 SFOR, 3.000 Bundeswehrsoldaten beteiligten sich an dieser Stagnationstruppe bis Juni 1998 in Bosnien, bis heute gefolgt von der ebenso wirkungslosen "Operation Joint Forge".
- Im März 1997 evakuierten 240 SFOR-Soldaten ohne vorherigen Bundestagsbeschluß in der völkerrechtswidrigen Nacht-und Nebel-"Operation Libelle" 116 Personen aus dem albanischen Tirana, die darum nicht gebeten hatten. Öffentlichkeit und Haushaltsausschuß sollte ein Bedarf für die neue KSK-Elitetruppe vorgeführt werden.
- Neben 370 Bundeswehrsoldaten der "Operation Eagle Eye" wurden im November 1998 im mazedonischen Tetovo 350 Bundeswehrsoldaten der "Extraction Forces" stationiert. Ihr Auftrag: die Evakuierung der OSZE-"Kosovo Verification Mission" (Oktober 1998 bis März 1999) im Krisenfall. Doch als die NATO am 24. März 1999 mit der Bombardierung Jugoslawiens begann, kümmerte sich niemand um die unbewaffneten OSZE-Beobachter im Kosovo. Stattdessen wurde die "Extraction Force" in Mazedonien zum Kern von KFOR-Bodentruppen hochgerüstet.
- Während des Kosovokrieges wechselte der Bundeswehrauftrag unter dem stets gleichen Bundestagsmandat wöchentlich: Heranbomben von Slobodan Milosevic an den Verhandlungstisch, Unterbindung von Menschenrechtsverletzungen, Kapitulation Jugoslawiens, Stop von "ethnischen Säuberungen", Zerschlagung der jugoslawischen "Sicherheitskräfte", Verhinderung von Flüchtlingsbewegungen in die EU, Zerstörung von Logistik und Infrastuktur, Durchsetzung von Demokratie und Menschenrechten usw. Wieder wurde außer Zerstörungen nichts vom parlamentarischen Einsatzauftrag eingelöst. Im Gegenteil, unter NATO-Regie der "Operation Allied Force" wurden die UCK-Freischärler zur Bodenguerilla ausgerüstet.
- Auch die 8.500 deutschen KFOR-Soldaten sahen ab Juni 1999 den brutalen Vertreibungen und der wuchernden Kriegsökonomie der UCK im Kosovo tatenlos zu. Laut Waffenstillstandsvereinbarung vom 9. Juni 1999 dürfte es das UCK-Problem heute gar nicht mehr geben, denn dort wurde bereits die Entwaffnung der UCK durch die NATO beschlossen. - Nicht zum ersten mal übrigens: bereits 1995 hatten die UNPROFOR in Bosnien und Kroatien einen solchen Entwaffnungsauftrag, auch IFOR und SFOR sollten auf freiwilliger Basis Waffen einsammeln - das Ergebnis von deren "wesentlichen Ernte" ist nun der Mazedonien-Krieg. Anders gesagt: zum Waffeneinsammeln bedürfte es keiner neuen Mazedonien-Truppe, denn diesen Auftrag haben die etwa 45.000 SFOR- und KFOR-Soldaten bis heute. Doch niemand bringt der NATO eine Kalaschnikov, ein G3 oder ein M60 umsonst - und die NATO möchte keinem Desperado zu nahe treten.
Auch als die UCK-Kriegsfürsten ihren Geschäftsbereich über den Kosovo auf die entmilitarisierte Zone und auf Mazedonien ausweiteten, schaute die NATO wohlwollend zu. US-Militärs bildeten bis mindestens Juni 2001 UCK-Kämpfer aus, liefern Ihnen per Satellit Funkverbindungen und Lagebilder, halfen mit modernsten Nachtsichtgeräten aus und unternahmen nichts gegen den UCK-Grenzverkehr nach Mazedonien - den sie hätten unterbinden sollen. Im Jahr 2000 schauten im mazedonischen Tetovo 1.200 Bundeswehrsoldaten der KFOR den wachsenden UCK-Umtrieben zu. Als schließlich im Frühjahr 2001 die ersten Schüsse fielen, floh Scharpings starke Truppe überstürzt ins Kosovo.
Nun scheint der Zauberlehrling endgültig außer Kontrolle geraten, drum möchte ihm die NATO seine Spielzeuge wieder wegnehmen. Was also ist dran am neuen Entwaffnungsfeldzug der NATO?
Entwaffnung als Persilschein für Kriegsökonomie
Fünf Gründe kennt die Kriegsgeschichte, die zur Abgabe von Waffen motivieren (täglich etwa in Nordirland zu studieren): Sieg, Niederlage oder Kriegsmüdigkeit, eine taktische Verschnaufpause oder ein gutes Geschäft. Von Sieg oder Niederlage der UCK spricht niemand, von Kriegsmüdigkeit auch nicht, schließlich ist der Kampf zur Existenzgrundlage der UCK-Warlords geworden. Daß der "Friedenskompromiß" vom 13. August 2001, Albanisch als zweite Amtssprache in Mazedonien einzuführen und den Funktionärsanteil der albanisch-stämmigen Bevölkerung zu erhöhen, ein gutes Geschäft für die UCK ist, wird selbst NATO-Militärs nicht beruhigen. Denn außer gewaltsamer Expansion besitzt die UCK kein politisches Konzept. Solange die populistische Forderung eines Großalbaniens mobilisierend wirkt, stehen auch berechtigte Partizipationswünsche unter dem Verdacht, als taktische Manöver mißbraucht zu werden. Zusammen mit der beschlossenen Amnestie ist hinter dem Entwaffnungsabkommen ein Etappensieg und eine Verschnaufpause der UCK für ein paar rostige Karabiner zu vermuten. Ein solches Selbsterhaltungsmanöver hat die UCK bereits im Kosovo vorgeführt. Nicht zufällig haben sich im Sommer 2001 einige ANA-Freischärler "abgespalten", die sich an das Abkommen des parlierenden UCK-Flügels nicht gebunden fühlen. Die UCK-Warlords wissen, nur solange sie marodieren, existieren sie weiter - das ist das erste Gesetz der Kriegsökonomie. Denn - soviel weiß auch die NATO - Soldaten säen nicht, sie ernten nur. Das zweite Gesetz der Kriegsökonomie allerdings lautet: Raubökonomie zwingt zum weiterziehen, verbrannte Erde bietet keine Beute mehr. Deshalb tausche Deine Waffengewalt gegen strukturelle Gewalt, werde seßhalt und erzwinge eine Ordnung zu Deinem Nutzen. Vor allem aber stelle Dich gut mit den ausländischen Investoren, wenn Du die eigenen Jagdgründe erschöpft hast. Bei diesem Sprung in die ehrenwerte Zivilgesellschaft ist nun die NATO der UCK behilflich.
NATO erneut in eigener Prestigefalle
Im Gegensatz zur NATO hat die UCK viel Zeit. Das UCK-Kalkül: einen Guerillakrieg wird die "stärkste Militärallianz der Welt" nie riskieren. Vielmehr wird sich die NATO den mazedonischen "Sicherheitskräften" bei deren Verfolgung der UCK in den Weg stellen - peace, Jungs! Die durchsichtige Drohung der NATO-Erntehelfer: wenn jemand schießt, gehen wir sofort nach Hause! Denn "Operationsplan 10416 Essential Harvest" gilt laut Bundestagsbeschluß nur unter der Voraussetzung eines dauerhaften Waffenstillstandes (Der erste britische Waffensammler wurde bereits am 27. August getötet, bevor seine Kameraden ihre Sammelstellen eröffneten). Wen wundert's, daß die mazedonische Bevölkerung diesen Pappkameraden nicht traut!
Nach bosnischem und kosovarischem Vorbild bietet die nordatlantische Schönwettertruppe vorzügliche Rahmenbedingungen zur Ausweitung der korrupten Schattenwirtschaft auf Mazedonien. Bald werden die NATO-Parlamente die Wirkungslosigkeit der "Operation Essential Harvest" erkennen. Aus Kosten- und Prestigegründen werden sie auf einen NATO-Abzug ohne Gesichtsverlust drängen. Also muß Befriedung inszeniert werden, und das geht für die NATO am billigsten, wenn sie die mazedonische Regierung zu weiteren Konzessionen an die UCK drängt. Erneut würde die NATO zur Hilfstruppe der UCK. Übrig bliebe ein destabilisiertes Mazedonien, bei dem sich die NATO wie in Bosnien und Kosovo zwischen kapitulationsgleichem Abzug und perspektivlosem Protektorat entscheiden kann. Wenige gezielte Anschläge würden genügen, um die NATO unbefristet in Mazedonien zu halten. Das stillschweigende Agreement: solange niemand zu oft schießt, kann jeder Clan - ob regierungsoffiziell oder als Mafiosi - seinen Geschäften unbehelligt nachgehen.
Aktionismus statt Verantwortung
Bereits heute glaubt niemand im Deutschen Bundestag und bei der NATO ernsthaft an den eigenen Einsatzbefehl, daran also, daß die NATO in 30 Tagen zu einer substanziellen Entwaffnung der UCK beitragen wird oder daß die Soldaten nach einem Monat wieder gesund zu Hause sind. Aber parlamentarische Glaubwürdigkeit verlangt entschlossenes Kettenrasseln, wenn die eigene Politikunfähigkeit übertönt werden soll.
Seit fast zehn Jahren bedeutet NATO-Konfliktbearbeitung in verschiedenen Balkanregionen: stillgestanden! Durchsetzungsfähige Gewaltmonopole existieren nicht, weil jede Fraktion die Waffen der anderen fürchtet. Auch viele Friedensengagierte bevorzugen diese Konfliktvermeidung gegenüber dem Gewaltrisiko einer Konfliktaustragung. Ergebnis sind dezentrale Klientelwirtschaften, die die Kontrahenten weiter voneinander entfernen und die Bildung von lebensfähigen Gemeinwesen verhindern. Was nach 20 Jahren zu Entspannung führen könnte (häufiger jedoch später erneut als Kriegsvorwand bemüht wird), geht mit begrenzten Entwicklungsmöglichkeiten und entsprechend hoher externer Abhängigkeit dieser Regionen einher. Beispiele, daß diese militärischen und wirtschaftlichen Einflußnahmen uneigennützig zur versöhnlichen Entwicklung der Konfliktregion eingesetzt wurden, sind seit Bestehen der NATO nicht bekannt. Denn diese Konfliktvermeidung klingt nicht nur human, sie ist auch funktional: Seit über 30 Jahren sprechen US-Militärs von "Low Intensity Conflict"-Areas. Das Ziel - soviel hat das State Department den Hobbystrategen des Bundestages noch nicht erklärt - solcher Divide-et-Impera-Strategien ist nicht die Sammlung von perspektivlos teuren Protektoraten, sondern der Aufbau lebensfähiger Trabantenstaaten - der Bundesrepublik sollte diese Rolle geläufig sein. Kalkulierte Instabilität schafft steuerbare Abhängigkeiten und damit auf dem Balkan nicht zuletzt eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für die emanzipationseifernde Europäische Union.
Die Interessen der Bundesregierung und anderer EU-Regierungen auf dem Balkan sind sicher nicht deckungsgleich mit dem geopolitischen Optionsfächer der USA. Doch es ist ein Trugschluß, wenn die Regierungen der EU "Essential Harvest" für ihre erste eigenständige NATO-Entscheidung jenseits amerikanischer Interessen halten. Warum sollte die US-Regierung ihre UCK-Schützlinge entwaffnen? Großbritannien wird die Ernte im amerikanischen Sinne leiten - burden sharing für eine bessere Kontrolle der Region. Sollten tatsächlich etwa deutsche Fallschirmjäger übereifrig werden, stellen die USA bereits fürsorglich Sanitäter bereit.
Alternativen erfordern Rückrat
Unterstellt, ein Ende der Gewalt in Mazedonien sei tatsächlich das politische Ziel der Bundesregierung, so müßte sie sich nicht nur der Einsicht öffnen, daß das Gewaltproblem auf dem Balkan mindestens auch eine Lösung für Bosnien-Herzegowina, den Kosovo, Serbien, Montenegro, Albanien und wahrscheinlich auch Kroatien erfordert, sondern das die NATO selbst ein Teil des Gewaltproblems ist. Denn die Gewaltunternehmer des Balkans - soviel dürfte auch zur Grundausbildung bei NATO oder BWL-Studenten gehören - zogen stets weiter in jene Region des größten Standortvorteils. Kurz,
-
eine Balkankonferenz aller Interessengruppen ist erforderlich, die Minderheitenrechte jenseits von Grenzen festschreibt, Besitz- und Partizipationsansprüche regelt und statt ethnische Reservate wie den Kosovo als casus belli zu konservieren eine föderale Struktur jenseits nationalstaatlicher Grenzen entwirft. Kein NATO-Mitglied kommt hierbei als ehrlicher Makler in Frage, allerdings muß die EU die finanziellen Voraussetzungen zur substanziellen Stabilisierung des Balkan bereitstellen.
- Zur Aufarbeitung der verschiedenen Kriegs- und sonstigen Gewaltverbrechen muß zwischen Justiz, Tribunal, Wahrheitskommission, Amnestie und anderen Möglichkeiten eine für alles Seiten akzeptable Form gefunden werden, wobei sich der Kriegsteilnehmer NATO seiner Verantwortung nicht verweigern darf.
- Zur Entwaffnung der paramilitärischen Verbände müssen deren langjährige Mentoren die ersten Konfliktpartner der Bundesregierung sein - im Falle der UCK die US-Regierung (der Nahe Osten lehrt, daß der lange US-Arm so einflußlos nicht ist). Ziel muß die Unterbindung allen materiellen und finanziellen Waffennachschubs unter internationaler Kontrolle sein, bei gleichzeitigen Demobilisierungs- und Reintegrationsangeboten für die bewaffneten Kräfte. Auch die "regulären Sicherheitskräfte" (Militär, Paramilitär, Polizei) der genannten Länder müssen unter der Frage zur Disposition gestellt werden, welchen konfliktverschäfenden Beitrag sie nach einem NATO-Abzug darstellen. Daß sich die NATO-Regierungen diese Frage selbst stellen, darf kein frommer Wunsch bleiben.
- Gleichzeitig muß ein polizeiliches Gewaltmonopol in allen Konfliktregionen aufgebaut werden, bei dem - wie bei allen Funktionsposten - darauf geachtet werden muß, daß alle Bevölkerungsgruppen deeskaliernd repräsentiert sind.
- Bei der Gewaltfrage sollten sich allerdings auch Friedensbewegte keinen Illusionen hingeben: Anreize und Freiwilligkeit werden nicht ausreichen, um auch die letzte Kalaschnikov aus dem Keller zu locken. Wer also ernsthaft ein Ende des mafiösen Faustrechts wünscht, darf vor dem Konflikt mit den Waffenbesitzern - sprich, vor einer flächendeckenden internationalen bewaffneten Polizeiaktion, nicht zurückschrecken, die sicher nicht ohne Zinksarg zu haben sein wird.
Friedensbewegte mögen hier aufschreien: Gewalt! Demgegenüber möchte ich aus der Kind-im-Brunnen-Perspektive (der sich manche begründet aber wirkungslos verweigern) zwei Lebenslügen zu bedenken geben: Wie gewaltlos waren die bisherigen UNPROFOR/IFOR/SFOR/KFOR-Protektorate denn wirklich, wieviel Versöhnung haben sie erreicht, sollen sie unbefristet fortbestehen? War es nicht (verkürzt) linke Analyse, die Anerkennung Sloveniens und Kroatiens für den Bosnien-Krieg mitverantwortlich zu machen, Dayton für Kosovo, Kosovo für Mazedonien - kurz, Konfliktvermeidung als spätere Kriegsursache zu erkennen? Und zweitens, weil es bei Allied Force wie bei Essential Harvest ein strapaziertes Argument ist, wenn praktische Alternativen kompliziert werden: Der Ruf nach Völkerrecht, UNO-Mandat, ziviler OSZE und NGOs ist zwar durchaus berechtigt, aber auch unter Linken leider oft nur Alibi für Ratlosigkeit und Schuldzuweisungen. Hätte ein UNO-Mandat (Golfkrieg) den Kosovo-Krieg oder den Mazedonien-Einsatz zivilisiert?
Friedenspolitische Verantwortung bedeutet, der Gewalt materiell und ideell den Nährboden zu entziehen. Sie erfordert also bereits auf unterer Eskalationsstufe, den Konflikt auch unter "NATO-Freunden" zu suchen und dabei Anwendung, Export und Unterstützung von Waffengewalt gegenseitig zu verhindern. Stattdessen haben EU und NATO bis heute durch untätiges Appeasement und bornierte Waffengewalt die Zerstörung unterstützt, um schließlich mit den Kriegsgewinnlern zu kollaborieren. Das Ergebnis ist kein Ende des Faustrechts, sondern die Salonfähigkeit der Gutsherrengewalt.
Über die skizzierten Schritte zur Balkanstabilisierung läßt sich streiten. Da offenkundig Militär keine Konfliktlösung verspricht, ist erneutes Nachdenken hilfreicher, als martialischer Aktionismus. Nach fünf Jugoslawien-Kriegen in 10 Jahren ist es Zeit für eine Exit-Strategie, die nur gelingen kann, wenn Bundesregierung, EU und USA ihre Mitverantwortung nicht länger leugnen und ihre politische, juristische und finanzielle Verantwortung übernehmen. Sollte die Bundesregierung jedoch an ihrer symbolischen Power-Projection-Politik festhalten, die Milliarden nutzlos verschwendet, nicht nur die eigenen Soldaten unverantwortlich gefährdet und die Konflikte auf den St. Nimmerleinstag verschiebt, trägt dies weder zu Stabilisierung von EU, NATO oder gar Ex-Jugoslawiens bei.
* Stefan Gose ist Redakteur der ami-antimilitarismus information, Berlin
Weitere Berichte über Makedonien
Zurück zur Homepage