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Makedonien: Ist der Bürgerkrieg noch aufzuhalten?

NATO und EU ohne Konzept - UCK lacht sich ins Fäustchen

Am Montag, den 25. Juni befasste sich die Europäische Union auf ihrer Sitzung in Luxemburg mit der Lage in Makedonien. Die makedonische Außenministerin Ilinka Mitreva, die als Vertreterin des Regierungschefs Ljubco Georgievski zur Berichterstattung nach Luxemburg bestellt wurde, hatte keinen leichten Stand. Mitunter musste sie sich wohl vorkommen wie vor einem Tribunal. Die EU, so verlautete aus Delegationskreisen, sei enttäuscht über den Fortgang des seit April laufenden bzw. stockenden "Versöhnungsprozesses zwischen (slawischen) Makedoniern und der albanischen Minderheit im Land. Die Vorsitzende des EU-Gipfels, die schwedische Außenministerin Anna Lindh, warf der Regierung in Skopje vor, zu wenig für diesen Prozess getan zu haben.

Die 15 EU-Staaten verabschiedeten am Ende auch eine Erklärung, in der sie zwar keine Schuldzuweisungen vornahmen, aber doch deutlich machten, dass sie von Skopje weitere Zugeständnisse an die albanische Seite verlangen würden. Die makedonische Regierung und die UCK wurden in der Erklärung - ohne namentlich genannt zu werden, es heißt dort nur: "Alle politischen Führer" - praktisch auf eine Stufe gestellt. Beide Seiten trügen eine Verantwortung für die zugespitzte Lage im Land, die von einem Bürgerkrieg nicht mehr weit entfernt sei. Militärische Lösungen - auch dies darf auf beide Seiten bezogen werden - seien keine Option, sondern der politische Dialog müsse wieder aufgenommen werden. Erst wenn dies geschehe, könne Skopje auch wieder Hilfe von Seiten der EU erwarten.

Das Ausbleiben konkreter Hilfszusagen, ja sogar das Einfrieren bereits zugesagter Finanzhilfen ist für Makedonien natürlich ein schmerzlicher Punkt. Wenn sich Bundesaußenminister Fischer in Luxemburg hinstellt und die Geldforderungen Mitrevas damit vom Tisch fegt, dass jetzt "politische Lösungen Vorrang" hätten, so verkennt er die politische Wirkung, die eben auch in finanziellen Hilfszusagen liegen kann. Fischer meinte sich auf der sicheren Seite, wenn er es ablehnte, für eine der beiden Konfliktgegner Partei zu ergreifen. Es ist aber sehr die Frage, ob die EU in ihrer scheinbaren Vermittlerrolle hier nicht einen großen Fehler begeht und eben doch Partei ergreift: für die albanischen Sezessionisten und ihren militärischen Arm, die UCK. Seit Monaten ergeht sich die EU-Politik darin, einerseits die Rechtspositionen der makedonischen Regierung zu unterstützen und der UCK rechtswidrige terroristische Aktivitäten vorzuwerfen, andererseits aber alle militärischen Gegenmaßnahmen der Regierung ebenfalls zu kritisieren - ganz nach dem Motto: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass! Auch die Aussage, die laut Frankfurter Rundschau aus EU-Kommisionskreisen kolportiert wurde, die EU könne nicht einen Staat unterstützen, "der Krieg gegen seine Bürger" führe (FR, 26.06.2001), macht stutzig. Was ist damit gemeint? Die Militäroffensive gegen die UCK? Sind das die "Bürger" Makedoniens? Muss man dann nicht mit demselben Argument die Maßnahmen der spanischen Regierung gegen die Terroranschläge der baskischen ETA als "Krieg gegen seine Bürger" qualifizieren? Oder sollen wir über Nordirland reden?

Damit soll nicht einer militärischen Lösung der Makedonienfrage das Wort geredet werden. Auch darf nicht darüber hinweg gesehen werden, wenn makedonisches Militär in ihren Antiterrormaßnahmen über jedes vernünftige Maß und Ziel hinausschießen, etwa wenn ganze Dörfer und Landstriche unter Beschuss genommen und damit Zivilisten gefährdet werden. Wenn allerdings solche Kritik aus den Reihen jener Regierungen geäußert wird, die vor nicht gar so langer Zeit einen regelrechten Abnutzungskrieg aus der Luft gegen Jugoslawien geführt haben, dann lugt moralische Unaufrichtigkeit und politische Doppelzüngigkeit hervor. Und schon längst scheinen einige EU-Regierungen die in Makedonien operierende UCK liebend gern als gleichberechtigten Verhandlungspartner mit ins Boot nehmen zu wollen, auch wenn die offizielle Sprachregelung das noch nicht zulässt. Auch das seit Tagen anhaltende Schweigen der USA könnte signalisieren, dass die Waffenbrüderschaft mit der (Kosovo-)UCK doch noch ihre langen Schatten bis nach Makedonien wirft. Die Vorwürfe gegenüber der KFOR-Truppe, insbesondere dem US-amerikanischen Kontingent im Kosovo, in den letzten beiden Jahren nichts oder nur symbolisch etwas zur Entwaffnung und Entmachtung der UCK beigetragen zu haben, sollten noch nicht vergessen sein.

Doch auch wenn man nicht so weit gehen will und den Akteuren aus NATO und EU keine klammheimliche Komplizenschaft mit der UCK (Makedonien) unterstellt, bleibt ein höchst merkwürdiger Zick-Zack-Kurs übrig. Da beschließt die NATO noch vor wenigen Tagen, für eine Entwaffnungsaktion der UCK ein Truppenkontingent bereit zu stellen. (Nebenbei: Dieses Angebot war an die Bedingung geknüpft worden, dass UCK und Skopje sich gemeinsam darauf verständigen und die UCK-Kämpfer die Waffen freiwillig abgeben. Nur: Wozu braucht man dann eine NATO? Da würde doch eine aufmerksame UN- oder OSZE-Mission genügen.) Und am 25. Juni begleiten NATO-Soldaten im Gewande von KFOR den Abzug der Albaner-UCK aus ihrer Hochburg Aracinovo ins nicht weit entfernt gelegene Kumanovo, damit die UCK-Kämpfer unbehelligt vor Angriffen der makedonischen Armee bleiben. Und dies alles, obwohl sich die UCK ausbedungen hatte, ihren Rückzug mitsamt ihren Waffen zu absolvieren. Dürfen wir uns da noch wundern, wenn am Abend desselben Tages in Skopje Tausende Makedonier zum Sturm auf das Parlament ansetzen und Sprechchöre gegen die NATO und die EU sowie Verratsvorwürfe gegen die eigene Regierung skandieren?

Es läuft (fast) alles so, wie es sich die aus dem Kosovo ausgeliehene UCK erträumt hat. Stück für Stück zieht sie sich mit ihren militärischen Provokationen den - mitunter hilflosen - Zorn des Regimes in Skopje zu, die sich zu teils verhaltenen, teils unangemessenen militärischen Reaktionen hinreißen lässt und innenpolitisch zunehmend unter Druck (von fast allen Seiten) gerät. Stück für Stück weicht sie damit auch die anfängliche Ablehnungsfront des Westens auf, der mit dem Schlachtruf von der "politischen Lösung" Skopje vor schier unlösbare Aufgaben stellt. Vor allem verweigert der Westen nun auch finanzielle Hilfe und erschwert damit letztendlich auch eine politische Lösung. Alles spricht also für eine weitere Eskalation der Lage in Makedonien.

Peter Strutynski



Und hier die letzten Nachrichten, die unseren Kommentar zum Teil illustrieren.

Am 25. Juni berichteten die Zeitungen über die Waffenruhe für Aracinovo:

"Es gibt einen Waffenstillstand, der sich hoffentlich auf das ganze Land ausdehnen wird", sagte der EU-Repräsentant Solana am 24. Juni in der Hauptstadt Skopje nach Gesprächen mit beiden Seiten. Am Vormittag hatten mazedonische Regierungstruppen, unterstützt von Kampfhubschraubern und schwerer Artillerie, ihre Offensive gegen albanische Extremisten fortgesetzt. Militärsprecher Blagoja Markovski sagte, die Soldaten hätten bei ihren Angriffen auf Aracinovo mehrere Rebellengruppen aufgerieben. "Jetzt sollte der politische Dialog fortgesetzt werden", sagte Solana. Er erklärte laut Agenturen weiter: "Ich sehe eine Chance für den Frieden." Die Situation in Mazedonien sei nicht einfach, derzeit sei aber kein neuer Krieg auf dem Balkan zu erwarten, sagte er nach seiner Rückkehr aus Skopje. Am frühen Nachmittag flaute der Gefechtslärm in der Nähe von Aracinovo ab. Aus Regierungskreisen verlautete, die Rebellen hätten weiße Flaggen gehisst und würden über die Bedingungen für eine Kapitulation verhandeln. Nach Angaben von Diplomaten trat der Waffenstillstand um 14 Uhr in Kraft. Internationale Beobachter würden die Einrichtung einer entmilitarisierten Zone überwachen.

Nach einem Treffen der mazedonischen Staatsführung mit Sicherheitsexperten hatte Ministerpräsident Ljubco Georgievski am späten Vormittag gesagt, die Angriffe würden weitergehen, "bis alle Seiten bereit sind, ihre Rolle zu übernehmen". Dabei bezog er sich offensichtlich auf die geforderte Entwaffnung der Albaner-Rebellen und das Einsammeln der Waffen durch die Nato. "Wir sind für den politischen Dialog, aber jetzt müssen wir handeln." Präsident Boris Trajkovski sagte, mit dem Angriff sollten wichtige Zentren der Stadt und deren Kommunikationseinrichtungen geschützt werden. Diese Anlagen würden auch von der Nato und den KFOR-Truppen im benachbarten Kosovo genutzt. Nato und EU hatten den Bruch der fast zweiwöchigen Waffenruhe scharf verurteilt. "Neue Ausbrüche von Gewalt, von welcher Seite auch immer, sind Wahnsinn", hieß es in einer Erklärung von Nato-Generalsekretär George Robertson. Er forderte beide Seiten zu ernsthaften Verhandlungen auf.

Am 25. Juni berichteten die Agenturen und die Nachrichtensendungen u.a.:

Die EU will erstmals mit dem Einsatz von internationalen Vermittlern den Reformprozess im krisengeschüttelten Mazedonien wieder in Gang bringen. "Mazedonien hat dem zugestimmt", sagte der EU-Beauftragte für die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, Javier Solana, am Montag in Luxemburg am Rande des EU-Außenministerrats. Die bisher auf die mazedonische Stadt Aracinovo beschränkte Waffenruhe müsse dauerhaft auf das ganze Land ausgedehnt werden.

Die EU-Außenminister ernannten den früheren französischen Verteidigungsminister Francois Léotard (59) zum Sonderbeauftragten der Union in Skopje. Als weitere Vermittler seien der französische Verfassungsexperte und frühere Justizminister Robert Badinter, der Vertreter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) in Skopje, Max van der Stoel, und Solana selbst im Gespräch, berichteten EU-Diplomaten.

Und am 26. Juni wird die "gespannte Ruhe" beschrieben, die in Skopje herrscht.

In der mazedonischen Hauptstadt Skopje herrschte am Dienstagmorgen (26.06.2001) gespannte Ruhe, nachdem am Vorabend Tausende erboste Demonstranten das Parlament gestürmt und den Rücktritt von Staatspräsident Boris Trajkovski gefordert hatten. Rund 15.000 Menschen waren aus Protest gegen den ungehinderten Abzug albanischer Rebellen aus dem umkämpften Ort Aracinovo auf die Straße gegangen. Sie beschuldigten Trajkowski und seine Regierung, "terroristischen Forderungen" nachgegeben zu haben. Am frühen Morgen zogen sich die Demonstranten dann zurück.

Stunden später verließ ein Bus-Konvoi mit albanischen Rebellen Arancinovo in unbekannter Richtung. Der Konvoi benutzte eine Ausweichstraße, um den Ort zu verlassen, da mazedonische Zivilisten die Straße in Richtung Kumanovo blockiert halten, wie aus Polizeiquellen bekannt wurde. Der Konvoi wurde von Fahrzeugen der Kosovo-Friedenstruppe Kfor begleitet.

Die Nato hatte am Montag mit der Regierung in Skopje und den Rebellen einen Abzug aus Arancinovo vereinbart. Die Rebellen durften ihre Waffen behalten. Zivilisten sollen auch Straßenblockaden um Aracinovo errichtet haben, um die Rückkehr der bewaffneten Rebellen zu verhindern.

Quellen: Netzeitung, 24., 25. und 26. Juni 2001; Süddeutsche Zeitung 25. und 26. 06.2001)



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